Patrik Knothe
DER GEFESSELTE DIONYSOS
Ein modernes Märchen
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2014
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Copyright (2014) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte beim Autor
Titelbild © Stefan Wenger
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Inhalt
Teil 1 – Ein fast gewöhnliches Kind
Teil 3 - Dionysos und die sieben Satyren
Teil 4 - Die Jagd auf Dionysos
Für Gunar, Eike und Kevin
„So lange ihr das Licht bei euch habt, glaubt an das Licht, damit ihr Söhne des Lichts werdet.“
Johannes 12, 36
„So gewiss ist der allein glücklich und groß, der weder zu herrschen noch zu gehorchen braucht um etwas zu sein.“
Johann Wolfgang von Goethe, Götz von Berlichingen
„… Bettler, sagt er? so hat die Welt sich umgedreht, Bettler sind Könige, und Könige sind Bettler! - Ich möchte die Lumpen die er anhat, nicht mit dem Purpur der Gesalbten vertauschen - …“
Friedrich Schiller, Die Räuber
Prolog
Nachdem mich so viele Menschen nach ihm gefragt haben und immer noch fragen, habe ich mich entschlossen dieses kleine Büchlein zu schreiben. Erst vor ein paar Tagen sprach mich eine alte Frau auf der Straße an. Ich verließ gerade mein Haus um einkaufen zu gehen und wäre um ein Haar in sie hinein gerannt. Sie trug eine riesige Hornbrille und hatte nur noch lichtes Haar, so dass die Wogen des Windes ihre blanke Kopfhaut offenbarten. Ihre Augen leuchteten auf als sie mich sah: Ich sei doch der, der den Dionysos gekannt habe und sie wolle wissen was er gerne zu Mittag aß (Wurst, Tomaten und frisches Bauernbrot, falls er die Wahl hatte, was selten der Fall war – damit diese wichtige Frage gleich zu Anfang geklärt ist und der Ungeduldige sich nicht erst durch die ganzen anderen Seiten quälen muss). Woher die alte Frau mich kannte und wieso sie sich gerade dafür interessierte gehört wohl mit zu den nie zu lösenden Rätseln unseres Daseins. Nachdem ich perplex und überrascht eine Antwort stammelte, bedankte sie sich und ging lächelnd und glücklich ihres Weges. Wer weiß wie lange sie dort auf mich gewartet hatte …
Ein jedoch wahrscheinlich noch weit größerer Grund für diese Niederschrift sind meine eigenen Gedanken und Erinnerungen, die es zu ordnen gilt; manchmal klar und deutlich als wäre es, wie die Frage der alten Frau, erst neulich geschehen; oft aber verworren und verschwommen, was bei der Turbulenz und Geschwindigkeit der damaligen Ereignisse auch nicht verwunderlich ist. Vielleicht kann so vieles was noch heute im Dunkeln verborgen liegt, morgen ans Licht gebracht werden und jeder, der diese Zeilen liest, kann danach seinen eigenen Teil davon im Herzen mit sich nach Hause tragen. Ich möchte mich hier bereits bei allen bedanken die mir auf meiner Reise durch die Geschichte meines Freundes geholfen haben. Und es gibt nicht mehr viele die ihn wirklich kannten und von diesen wollen die wenigsten gefunden werden.
Hört man die Menschen reden, hat man den Eindruck, dass er für die viele nur ein heimatloser, vom richtigen Weg abgekommener Unruhestifter war. Doch ich glaube nicht, dass dem so ist und bin ebenfalls davon überzeugt, dass diese „Vielen“, nur vor anderen mal wieder ihre wahren Gefühle verbergen wollen … man möchte ja weiterhin ein angesehener Bürger bleiben. Auch die „Vielen“ denken öfter und intensiver an ihn als sie zugeben. Darüber was er tat, wie er es tat und wie sie sich wohl gefühlt hätten, wenn sie dabei gewesen wären.
Wenn ich an Dionysos denke, springt mir sofort jener eine Gesichtsausdruck von ihm ins Gedächtnis mit dem er mich damals ansah … an jenem besonderen, verhängnisvollen Mittag in dem alten Landhaus bevor er die dunkelbraune Holztür vor mir zuwarf; am Tag an dem die Jagd und unser Abenteuer endeten: Seine dunkelblauen Augen brannten sich wie Feuer in mich ein; Leidenschaft, Kraft und ein unbezwingbarer Wille lagen in seinem Blick während im linken Mundwinkel der Anflug eines Lächelns zu erkennen war. Damals in den Stunden der Dunkelheit sah ich immer nur diese Augen vor mir; auch als er schließlich hinaus ins Licht ging, der Lärm begann, das Rufen, das Schreien und das Schießen. Diese Augen begleiten mich noch heute in meinen Träumen. Doch um ihre Botschaft wirklich zu verstehen müssen wir ganz von vorne anfangen …
Teil 1 – Ein fast gewöhnliches Kind
I
Dionysos wurde nicht, wie es einige obskure Legenden oder Wichtigtuer erzählen, mitten in einem düsteren, riesigen Wald geboren. Er wuchs auch nicht dort auf oder lebte (sogar das ist mir zu Ohren gekommen) seine ganze Kindheit lang von rohem Fleisch.
Nein, Dionysos wuchs mit seinem Vater Petros und seiner Mutter Xenia in Delphi auf. Einem Ort der zwar offiziell als Stadt galt aber doch mehr ein großes Dorf war. Delphi lag auf einem Hügel und war umgeben von grünen, teils noch unberührten Wäldern und Wiesen. Schön und beschaulich war es dort. Es gab viele alte, gut erhaltene Häuser im Fachwerk-Stil, Weizen-, Maisfelder und Beete mit allen erdenklichen Sorten von Blumen; Holzbänke auf denen Mittags die Rentner saßen und über die heutige Jugend und Politik herzogen.
In Delphi passierte so wenig, dass jeder Anlass zu ein wenig Klatsch umgehend genutzt wurde. Jedes Mal, wenn der alte Diogenes wieder ein paar Tage in einer riesigen Tonne (die eigentlich Dekorationszwecken diente) vor seinem Haus schlief, weil seine Frau ihn hinaus geworfen hatte, sprach man ein paar Monate von nichts anderem.
Und so waren die Einwohner auch sehr gespannt und aufgeregt als sich das Gerücht verbreitete, der Petros hätte eine sehr seltsame und eigenwillige Frau aus einer weit entfernten Nord-Provinz geheiratet und würde bald mit ihr ein Haus in Delphi beziehen. Die Nachbarn hatten sie schon einige Male bei Petros Eltern