Richard Katz’ Von Hund zu Hund. Der Briefwechsel zwischen einem Boxerrüden, dessen Herrchen in Brasilien lebte, und einem Rauhhaardackel mit Frauchen in der Schweiz. Beide Hundebesitzer waren den üblichen Austausch von Nichtigkeiten leid und überließen die Korrespondenz ihren Hunden, die sich amüsant über ihre Menschen austauschten. Ein dicker Kloß in meinem Hals machte es mir unmöglich, etwas zu sagen, also nickte ich nur wieder stumm und schaute zur Bar. Wo blieb bloß mon vieux ami Jacques, wie wir den Cocktail lachend zu nennen pflegten?
»Ich habe das Buch sehr oft gelesen, ich kann es fast auswendig. Du hast es bei mir vergessen, als du damals Hals über Kopf auszogst.« Wieder schaute Quinn mich an.
Moment mal, hatte ich richtig gehört? Hatte er gerade behauptet, ich sei »Hals über Kopf ausgezogen«? Meine tracheale Blockade löste sich augenblicklich und machte Platz für ein wenig Galle auf ihrem Weg nach oben. So war es ja nun wahrlich nicht abgelaufen!
»Quinn, du konntest es doch gar nicht erwarten, mich loszuwerden! Du konntest mich ja nicht mal mehr ansehen, und kein Wort hast du mehr zu mir gesagt. Ich bin wohl kaum ›Hals über Kopf ausgezogen‹! Ich hatte einen ganzen Tag lang durchgeheult, und als du am nächsten Tag und den beiden folgenden auch nicht mit mir sprachst …«
Mir ging die Puste aus. Ich konnte mich auch nach all den Jahren deutlich an meine tiefe Enttäuschung und meine Verzweiflung erinnern. Was machte ich eigentlich hier? Was für eine idiotische Idee, mich mit Quinn zu treffen! Man konnte die Zeit nicht zurückdrehen, so ein Trip in die Vergangenheit verlief immer enttäuschend. Dieser, zugegeben, wirklich attraktive Mann hatte mich tief verletzt, und nun saß ich hier, um mir einen Nachschlag zu holen? Hatten denn die letzten neun Monate nicht an Demütigung gereicht? Herrje, mein ganzes Leben war eine Demütigung. Würde ich wirklich nie dazulernen? Der große, hässliche Jammerlappen schickte sich an, sich über meinem Gemüt auszubreiten. Es war wirklich höchste Zeit, mich von der Opferrolle zu befreien! Ich mobilisierte den Widerstand und funkelte Quinn böse an.
Der sah aus, als hätte ich ihn geohrfeigt. Dann schüttelte er traurig den Kopf. »Lass uns nicht streiten, Catia, bitte! Ich hab mich damals wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, aber glaub mir«, sein Blick drang bis in mein tiefstes Inneres, »ich wollte nie, dass du gehst.«
Was sollte ich dazu sagen? Wir schwiegen. Das war kein guter Auftakt.
Die Bedienung hatte uns die Speisekarte gereicht, und ich sah mir das Angebot an. Gebackener Camembert mit Preiselbeeren. Auch das hatte ich anderthalb Jahrzehnte nicht mehr genossen. Würde ich heute Abend aber auch nicht, das Zeug war reines Hüftgold! Salate beraubten mich beim Essen meines letzten Restes an Dekorum, der mit gebratener Hühnerbrust fiel also auch durch. Ich entschied mich für Penne all’arrabbiata und schickte ein Stoßgebet an Lukullus, er möge mich vor Tomatenflecken bewahren – der war zwar kein Gott, sondern nur Feldherr, aber er verstand eine Menge von üppigem Essen und war somit mein bester Ansprechpartner. Quinn nahm einen Burger mit Kartoffelecken und einer Extraportion Coleslaw.
»Ich habe gesehen, dass du immer noch den Buchladen hast«, versuchte ich den Beginn eines neutralen Gesprächs.
Quinn schluckte seinen Bissen hinunter und spülte mit Bier nach. »Wieder. Ich führe ihn wieder. Ich war zwölf Jahre lang in Irland und hatte den Buchladen deinem Nachfolger überlassen.«
»Irland? Was hat dich denn nach Irland verschlagen?«
Quinn hatte gerade wieder in seinen Burger gebissen, so dass die Antwort ein wenig auf sich warten ließ. Er hatte den Laden aufgegeben und war nach Irland gezogen? Noch mehr als dieser Umstand überraschte mich seine Antwort auf meine Frage. Wenig positiv allerdings.
»Meine Frau. Aileen ist Irin, und ich beschloss zum Millenniumswechsel, ihr auf die grüne Insel zu folgen. Das goldene Zeitalter des keltischen Tigers war in vollem Gange. Ich dachte, es sei eine gute Zeit für einen Neuanfang.«
Aus einem mir unerklärlichen Grund war ich konsterniert. Eine Irin? »Du bist mit einer Irin verheiratet?« Meine Frage klang sicherlich nicht besonders intelligent.
Quinn zuckte mit den Schultern. »Ja. Aileen kam in den Buchladen, das muss in der Woche gewesen sein, nachdem du gegangen warst. Sie suchte einen Reiseführer für Berlin. Aileen verbrachte ein Gastsemester an der TU, sie hat einen Abschluss in Geophysik. Wir kamen ins Gespräch, ich empfahl ihr ein Buch, und wir verabredeten uns. Dann feierten wir den Jahrtausendwechsel zusammen – mit einer Million anderer Partygänger vor dem Brandenburger Tor. Da fragte sie mich, ob ich sie nach Dublin begleiten würde.« Er legte seine Hände auf den Tisch, die Handflächen nach oben. »Ich hatte feststellen müssen, dass mich in Berlin nichts mehr hielt. Den Laden überließ ich zunächst dem neuen Geschäftsführer. Aileen und ich heirateten noch im Februar 2000. Im Mai darauf lebte ich bereits in Dublin.«
Tu es nicht, sagte ich mir, frag ihn nicht! Doch ich fragte ihn: »Habt ihr Kinder?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, wir haben keine Kinder.«
Das hatte ihm sicher gut in den Kram gepasst, dachte ich. Aileen allerdings tat mir leid. Falls sie sich überhaupt Kinder gewünscht hatte. Vielleicht hatte sie ja aber auch Quinns Einstellung zu diesem Thema geteilt und hätte sich sowieso keineswegs ihre vermutlich aberwitzig gute Figur ruinieren wollen. Was ging mich diese Aileen eigentlich an? »Und warum seid ihr nach Berlin zurückgekehrt?«, fragte ich dennoch.
»Ich bin alleine zurückgekommen. Wir haben uns getrennt, und dann hielt mich wiederum nichts mehr in Dublin. Irland ist ein atemberaubendes Land, aber ich konnte einfach keine richtigen Wurzeln dort schlagen. Ich hatte dort auch einen Buchladen, mit einer deutschsprachigen Abteilung, versteht sich. Aber das war mehr ein Hobby, der Laden lief nicht so gut. Mir fehlte dann sehr bald der intellektuelle Austausch. Mein Englisch wurde zwar nach ein paar Jahren ganz passabel, aber Aileens Freundeskreis bestand nur aus Wissenschaftlern – Physikern, Chemikern, Geologen. Ein sehr eigener Menschenschlag, fand ich. Sie schienen mir zu nüchtern, ich verstand ihren Humor überhaupt nicht und sie den meinen nicht. Dann begannen Aileen und ich, mehr und mehr zu streiten und getrennte Wege zu gehen. Vor zwei Jahren zog ich die Reißleine und kam nach Berlin zurück.«
Nun gut, da gab es sicherlich auch noch einen ausgedehnten Mittelteil, aber ich bezweifelte, dass der die Geschichte besser machen würde. »Das tut mir leid für dich.« Das war nicht einmal gelogen, denn ich wusste ja, wie furchtbar man sich fühlen konnte nach einer Trennung.
Quinn legte seine Hand auf meine. Sie war warm, aber gerade nicht weich genug, um sich angenehm männlich anzufühlen. Trotz seiner feingeistigen Art war er in der Lage gewesen, die meisten praktischen Dinge in seinem Umfeld selbst zu erledigen, von der Reparatur des tropfenden Wasserhahns oder der defekten Deckenbeleuchtung bis hin zum Ein- und Aufbau seiner Küche. Ich erinnerte mich für einen kurzen Moment lang daran, wie ich seine Hände auf meiner Haut genossen hatte. Nur ein kräftiger Schluck von meinem alten Freund Jacques verhinderte, dass ich diesem Gedankenpfad folgte. Ein wenig rot wurde ich dennoch.
»Das ist lieb von dir«, sagte Quinn mit seinem strahlenden Lächeln, das ein wenig traurig wirkte. »Aber erzähl doch mal! Was ist bei dir los? Warum brauchst du Stefans Hilfe? Lässt du dich etwa scheiden?«
Täuschte ich mich, oder leuchteten seine Augen bei dieser Frage? Den Eindruck vermittelte vermutlich nur das Flackern der Kerze auf unserem Tisch, aber der Gedanke gefiel mir.
Ich hatte eine schöne Rede vorbereitet, mit der die Ereignisse der letzten Monate souverän und objektiv beschrieben werden sollten. Was ich dann aber rausblökte, war: »Ja, Hanno hat mich gegen ein neueres Modell eingetauscht. Eine langbeinige, rassige Polin. Er hat uns das Haus unter dem Hintern wegverkauft, und jetzt will er die Scheidung. So schnell wie möglich.«
Quinn pfiff leise durch die Zähne. »Das ist hart. Ihr habt doch sicher Kinder?«
Ich nickte. »Ja, drei. Helene ist dreizehn, Vincent zehn und Daniel sieben. Wir waren die verdammte Toffifee-Familie. Es hat nur der Hund gefehlt.«
»Aber