Durch meine Heirat mit einem Asylanten war es mir auch möglich, mein auf ein Jahr befristetes Arbeitsverhältnis vorzeitig aufzulösen, ohne Angst zu haben, Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung zu verlieren.
Nach einigem Suchen wurde ich schließlich fündig. Ein Spital mit einer speziellen Onkologiestation bat mich zum Vorstellungsgespräch.
Ich hatte zwar damals relativ wenig Ahnung von Onkologie; während unserer Ausbildung war dieses Spezialgebiet in der Kinderkrankenpflege zwar kurz umrissen worden, doch hatte ich von Onkologie in der Erwachsenenkrankenpflege so gut wie keine Ahnung, aber unbekümmert, optimistisch und hochmotiviert war mir das egal.
Also, neues Spiel, neues Glück.
Am 1. März sollte ich meine neue Stelle antreten.
Aber zunächst kamen die wichtigsten Tage im Jahr eines Mainzers: die Fastnachtstage. Die konnten trotz frischer Ehe nicht ohne mich stattfinden. Bartek wollte nicht mit, das sei nichts für ihn, aber ich könne getrost alleine fahren und feiern. Er vertraute mir, dass ich die tollen Tage nicht zum Fremdgehen ausnutzen würde. Das hatte ich auch nicht vor, ich war frisch verliebt und verheiratet.
Ich wollte nur feiern und Spaß haben, aber ich wollte auch endgültig mit Wolfgang abschließen. Ich musste für mich selbst sicher sein, dass dieses Kapitel für mich endgültig erledigt war.
Dass es so war, diese Erkenntnis bekam ich bei einem Besuch bei ihm zu Hause. Für mich war es vorbei. Allerdings nicht für ihn. Er war durch meine Mitteilung, ich wolle heiraten, furchtbar überrascht worden und konnte einfach nicht glauben, dass ich diesen Schritt ohne Schwangerschaft tun wollte.
Als ich dann nach einem langen Gespräch endlich gehen wollte, bat er mich für alles, was er mir angetan hatte um Verzeihung und auch darum, zu ihm zurückzukehren.
Tja, mein Lieber, das hättest du dir früher überlegen sollen. Jetzt war es zu spät.
Ich verlebte anschließend noch wunderbare Tage in Mainz, Feiern ohne Ende mit meinen Freunden bis Aschermittwoch.
So wie auch die darauf folgenden Jahre kehrte ich krank – ich erkältete mich fürchterlich und litt auch unter dem Verlust meiner Stimme -, aber glücklich und ausgepowert nach Hause zurück.
Von Barteks polnischen Freunden wurde ich als seine Frau auch recht gut aufgenommen – so dachte ich zumindest viele, viele Jahre lang – und mit den Sitten und Gebräuchen ihrer Heimat vertraut gemacht. Wir feierten ständig irgendwelche Partys, tranken literweise Wodka; der einzige Wermutstropfen waren meine nicht vorhandenen Sprachkenntnisse.
Deutsch sprach, mit wenigen Ausnahmen, niemand mit mir. Also musste ich notgedrungen irgendwie versuchen, Polnisch zu lernen. Sprachschulen gab es keine, welche Möglichkeiten hatte ich also noch? Tja, selbst ist die Frau, learning by doing. Für uns Deutsche kein leichtes Unterfangen. Zuerst einmal musste ich lernen, einzelne Wörter zu unterscheiden. Am Anfang hört sich ein polnischer Satz wie ein einziges Wort an. Man hört das Ende eines Wortes nicht. Und dann kommt das Sprachtempo dazu. Das ist so ähnlich wie „Bahnhof, Koffer klauen und Zug ist weg“. Ihr versteht, was ich meine? Katastrophe pur!
Ich nahm mir Barteks Deutschbücher, die Deutsch-Polnisch aufgebaut waren, und versuchte damit zu lernen. Aufgrund meines recht guten Sprachgehörs konnte ich auch irgendwann einzelne Worte verstehen und selbst Sätze bilden. Allgemeines Gelächter entmutigte mich schon hin und wieder, doch eines Tages viele Monate später, hatte ich die Schnauze voll und ich war es leid, mich ständig wegen meiner Aussprache und fehlender Grammatikkenntnisse zum Gespött zu machen. „Ich muss hier in der Schweiz kein Polnisch mit euch sprechen können, aber ihr müsst alle Deutsch lernen, wenn ihr hier leben wollt. Ich tue das nur euch zuliebe. Wenn ihr alle in der Relation so gut Deutsch reden könntet wie ich Polnisch, dann hätte keiner mehr was zu lachen und wir könnten uns problemlos unterhalten!“
Es hat sich nie wieder jemand über meine Sprachkenntnisse beschwert. Und im Laufe der Jahre lernte ich, auf Polnisch eine normale Konversation zu führen; die Grammatik lassen wir mal außen vor, die ist irre schwer.
Über Ostern fuhren wir in die Eifel, um meinen Vater zu besuchen.
Wer von uns beiden mehr Angst hatte, weiß ich nicht mehr. Aber da mussten wir durch.
Zur allgemeinen Überraschung verstanden sich Bartek und mein Vater auf Anhieb sehr gut. Bartek hatte eine Art, jeden von sich einzunehmen. Man musste sich einfach mit ihm verstehen. Er überrumpelte meinen Herrn Papa bei der Begrüßung gleich mit den Worten: „Hallo Vati, ich freue mich, hier zu sein“. Meinem Vater wurde somit gleich der Wind aus den Segeln genommen und nach ein paar Schnäpschen und mehreren prüfenden Blicken auf meinen nicht vorhandenen Bauch wurde eine lebenslange Freundschaft besiegelt.
So, dieses Problem war also Vergangenheit, die erste Hürde überwunden und meinen Bruder, dessen Meinung mir immer sehr wichtig war, würde ich auch noch beschwichtigen können.
Im Laufe des kommenden Sommers wollte ich meinen Mann dann noch mit meiner restlichen Familie bekannt machen. Wir besuchten meine Kusine und ihren Mann in München. Und da alle Bayern bekanntlich äußerst trinkfest sind, konnte Bartek sich auch dort sogleich gut in diesen Teil der Familie integrieren.
Der Besuch bei meinem Bruder Paul stand als Nächstes auf dem Programm. Vor ihm hatte ich noch mehr Schiss als vor meinem Vater. Ich liebte meinen Bruder wirklich von ganzem Herzen und wir verstanden uns immer sehr gut, trotzdem behandelte er mich sehr lange noch wie ein kleines Kind – o.k., er war schließlich doch 11 Jahre älter als ich -, und somit war er für mich auch so etwas wie eine Autoritätsperson. Aber auch diese Runde ging an Bartek, er eroberte erst Dorotheas Herz und nach einiger Zeit und vielen Gläsern Wodka wurden er und Paul doch Freunde fürs Leben. Irgendwann stellte ich meinen Mann auch meiner Schwester Erika vor und wie hätte es anders sein können, sie verstanden sich prächtig.
Blieb nur noch Barteks Familie übrig. Nicht in 1.000 Jahren konnte ich damals ahnen, welch schreckliche Last, welches Horrorszenario am Ende auf mich zukommen sollte. Heute bin ich schlauer, zu spät!
Auf der Onkologiestation in Basel hatte ich mich mittlerweile auch gut eingelebt. Die Arbeit machte sehr viel Spaß. Das Personal war anders als im Kanton Aargau. Es gab wesentlich mehr ausländische Kollegen und auch die Patienten waren netter und Deutschen gegenüber zugänglicher. Und wieder lernte ich neue Schweizer Worte kennen. Ging man im Aargau zum Frühstück, sagte man zum „znüni“, in Basel hieß es auf einmal „zmörgele“. Witzige Sprache.
Da Helena sich in dem Spital, in dem ich vorher gearbeitet hatte, auch nicht so recht wohlfühlte, konnte ich ihr in Basel auch zu einem neuen Arbeitsplatz verhelfen.
So ging der Sommer ins Land, der Herbst zog ein. Und mit ihm meine Schwiegereltern. Leider bekamen sie eine Ausreisebewilligung für einen 6-wöchigen Besuch bei uns. Es heißt immer, Mädchen verstehen sich nicht mit ihren Schwiegermüttern. Nun gut, ich wollte mit diesem „alten Zopf“ brechen und nahm mir vor, die liebe Schwiegertochter zu sein. Mir war allerdings nicht bewusst, wie lange sechs Wochen sein können.
Mein Schwiegervater war klasse, er trank gern seinen Wodka und gab sich viel Mühe, Konversation mit mir zu machen. Und es war ihm völlig egal, wie schlecht mein Polnisch war. Der gute Wille war da und das zählte schließlich. Er war ein lustiger und fröhlicher Zeitgenosse.
Meine Schwiegermutter? Ein Jammerlappen. Immer schlich sie auf leisen Sohlen durch die Gegend und mehr als einmal erschrak ich mich fürchterlich, als sie plötzlich hinter mir stand. Sie lief nur mit jammervollem Gesicht herum, brach bei jeder Gelegenheit in Tränen aus und konnte nicht verstehen, dass ich ihre Sprache nicht verstand. Auch verwöhnte ich ihren „Jungen“ nicht genug und erlaubte mir auch noch, nach einem anstrengenden Arbeitstag müde zu sein.
Naja, wie ich später erfahren habe, konnte sie mich nicht leiden (ich sie aber auch nicht), außerdem war ich sowieso nicht die richtige Frau für ihren „Bartusz“.
Ich muss noch schnell hinzufügen, dass damals alle polnischen Besucher der Meinung waren, die Schweiz sei das Land, in dem Milch und