Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783938305607
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mir kaum. Aber ich habe ihm empfohlen, es mit Kaninchen zu versuchen, wenn er durchaus züchten will. Die Angelhakenfabrik wäre allerdings besser. Mitten unter anderen hat man ihn unter Kontrolle. Wenigstens tagsüber.«

      Kate Carson schaute auf die Uhr.

      »Wir müssen essen gehen, es ist schon zwölf Uhr dreißig. Kommen Sie mit, Ed?«

      »Danke.«

      Der Blinde fand mit den beiden anderen zusammen den Weg in den Vorgarten zu der Bank, die hier aufgestellt war. Er verabschiedete sich und ließ sich im Schatten eines Baumes nieder. Der indianische Gärtnerbursche hatte den Rasen gesprengt. Für die Agenturstraße gab es aus Tiefbrunnen noch immer Wasser, obgleich das Land unter dem blauen Himmel wie in einer Bleikammer ausdörrte. Der Gärtnerbursche hatte auch Mittagspause machen wollen, doch als er sah, wie der Blinde sich niederließ, fing er an, Unkraut zu jäten. Ed Crazy Eagle kaute an einem Stück trockenen Brots, das war sein liebster Lunch. In der Baumkrone über der Bank putzte ein Vogel seine Federn.

      Der junge Bursche stand neben einem Häufchen Unkraut.

      »Was gibt es denn Neues?« fragte ihn Crazy Eagle.

      »Ni-ichts.«

      Es gab also etwas. Natürlich gab es etwas. Der Bursche hatte Joe King gesehen. Vielleicht beneidete er ihn um das weiße Hemd und den schwarzen Cowboyhut, vielleicht auch darum, dass er die richtige Figur für Jeans hatte. Der Gärtner war kleiner, unscheinbar und fleißig. Ed wusste das.

      »Wann wird geheiratet?« fragte er ihn.

      »Der Vater sagt nicht ja. Er meint, ich sei viel zu jung, mit der Schule nicht fertig, mit der Lehre nicht fertig, und Laura habe bessere Aussichten. Seitdem sie hier Sekretärin geworden ist.«

      »Was sagt sie denn selbst?«

      »Wie die Mädchen eben sind.«

      »Geht ihr morgen tanzen?«

      »Sie will twisten, aber ich mag das nicht. Morgen gehe ich sowieso nicht …«

      »Warum nicht?«

      »Joe King ist wieder da.«

      »Dann gibt es Streit?«

      »Das ist sicher.«

      »Seid ihr nicht Manns genug, wenn ihr euch zu fünft oder zu zehnt gegen ihn zusammentut?«

      »Er hat auch seine Freunde. Und mit fünf nimmt er es allein auf. Er schämt sich auch nicht, das Messer zu ziehen.«

      Der Vogel in der Baumkrone hielt seine Mittagsruhe. Die Straße lag leer. Nur die parkenden Autos erinnerten daran, dass in den Häusern Menschen wohnten.

      »War Stonehorn mit dem Wagen hier?«

      »Er kam zu Fuß. Wie er den Weg von New City hierher gemacht hat, wer will das wissen? Wenn er einen Wagen oder ein Pferd hat, wird er es uns nicht zeigen.«

      »Warum nicht?«

      »Weil er vielleicht nicht mehr gefunden werden will … morgen oder übermorgen.«

      »Warum nicht?«

      »Fragen Sie Harold Booth, Mr. Crazy Eagle. Der kann Ihnen sagen … wovor er Angst hat.«

      Auf der Straße rührte es sich. Die Beamten kamen zu ihren Wagen, um von ihren Privathäusern die wenigen Meter zurück zu den Büros zu fahren. Manche Wagen wechselten nur die Straßenseite.

      Der Gärtnerlehrling schaute zu und verbarg seine Gedanken.

      Für den Freitagnachmittag waren keine Gerichtstermine mehr angesetzt, aber Ed wollte sich für die Verhandlungen in der nächsten Woche schon vorbereiten. Mit der vorsichtigen, tastenden Gangart des Blinden machte er sich auf den Weg zu dem kleinen Gerichtshaus.

      Haverman lief ihm nach.

      »Darf ich Sie fahren, Mr. Crazy Eagle? Haben Sie Ihren Wagen nicht da?«

      »Danke, der Wagen ist da, aber ich laufe die paar Schritte.«

      Haverman schüttelte den Kopf und begab sich in sein Dienstzimmer.

      In der schmalen Kammer, die sich Crazy Eagle selbst als Arbeitsraum ausgewählt hatte, fand er Runzelmann und, wie er dem Geräusch des Aufstehens von einem Stuhl entnahm, noch einen zweiten Besucher.

      »Harold Booth«, stellte sich dieser vor.

      »Ah, gut.«

      Der Blinde setzte sich. Harold wollte nicht wieder Platz nehmen.

      »Was gibt’s?«

      »Nichts von Belang.«

      Harold war einen Meter fünfundachtzig groß. Er hatte nicht nur eine breitschultrige Figur, sondern auch eine dementsprechende Stimme. Der Blinde konnte sich leicht ein Bild von ihm machen. Er roch nach Pferden und Rindern und nach Leder.

      »Aber es gibt etwas, weswegen du zu mir kommst.«

      »Ja.« Das Ja klang verlegen. Harold knautschte den Cowboyhut in der Hand. »Vielleicht haben sie Sie nicht damit belästigt, Chief Crazy Eagle, aber wenn …«

      » … dann …?«

      »Ich habe keine Angst. Das ist dummes Geschwätz.«

      »Wovor sollte auch ein Bursche wie du Angst haben!?«

      »Eben.« Harold atmete auf. »Mir kann das egal sein, wer sich auf der Reservation herumtreibt. Ich möchte nur nicht, dass er Queenie belästigt. Dann schlage ich zu.«

      »Queenie? Die Queen unter euren Teenagern?«

      Harold lachte kurz, freundlich, aufgeschlossen. »So ist’s.«

      Der Blinde hörte, dass Harold an seiner Lederweste herumknöpfte, aufknöpfte, zuknöpfte, aufknöpfte, tastete. Er konnte nicht sehen, dass Harold in einem Anhänger an silbernem Kettchen ein Bild mit sich trug.

      »Und was soll ich tun, Harold?«

      »Nichts. Deswegen komme ich. Sie brauchen nichts zu unternehmen. Ich gehe nicht zum Tanz und nicht zum Trinken. Ich bleibe auf unserer Ranch, dort wird er sich nicht wieder sehen lassen. Oder ich besuche die Eltern von Queenie. Sie kommt jetzt in den Ferien heim.«

      »Und bei den Eltern von Queenie stoßt ihr dann zusammen?«

      »Kaum. Der Vater würde ihn nicht ins Haus lassen.«

      »Woher kennt ihr drei euch?«

      »Wir waren einmal in der gleichen Schule … damals war Queenie noch ein kleines Mädchen, ja.«

      »Lernt sie nicht jetzt auf der Kunstschule?«

      »Ganz recht. Aber in den Ferien kommt sie heim. Nächstes Jahr macht sie den Abschluss. Endlich.« Das »Endlich« klang unzufrieden.

      »Ist es nicht gut, dass sie so lange lernt?«

      »Es kommt darauf an, was. Sie hätte bei ihren Eltern lernen können, was eine Frau auf einer Ranch wissen und können muss.«

      Das verborgene Lächeln legte sich um die Mundwinkel des Blinden. »Sie ist auf der Ranch des Vaters aufgewachsen. Es wird nicht schwer halten, dass sie sich einmal auf einer größeren zurechtfindet.«

      »Das denke ich mir eben auch. Aber man hört, dass die auf der Kunstschule …«

      »Was?«

      »Dass sie dort nicht gut erzogen werden können. So viele Künstler auf einen Haufen, Chief Crazy Eagle, wie soll das gutgehen? Das ganze Jahr über hat sie mir nie geschrieben. In der Schule herrscht keine Ordnung. Wie soll es Ordnung geben, wenn Dakota und Siksikau und Hopi und Navajo und Apachen und Pima und wer weiß was noch alles in einem Haus durcheinanderwirbeln? Da gibt es keine anständigen Grundsätze.« Harold hatte immer schneller und eifriger gesprochen. »Also bin ich gekommen, um Sie zu bitten, Chief Crazy Eagle …«

      »Ich bin aus Fleisch und Blut, und ich bin kein Chief. Ich kann auch nicht als Schutzgeist über Queenie schweben.