Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783938305607
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Es wäre beinahe schiefgegangen.«

      »Stonehorn! Wer ist der wahre Mörder?«

      »Sie sind nicht so dumm gewesen, mir das zu sagen. Die Verhöre sind ein wenig anstrengend. Übrigens muss es Jenny gewesen sein.«

      »Jenny ist Mikes Frau?«

      »Jenny ist ein Mann, Kind, den du aber leicht mit einer Frau verwechseln könntest. Er hat blonde Locken, er hat so unwahrscheinlich blonde Naturlocken, dass du ihn sofort erkennst. Früher hätte das einen schönen Skalp abgegeben. Er ist einer der widerlichsten und gefährlichsten Burschen, die ich je getroffen habe. Er ist zweiter in der Gang, in der jetzt James mitarbeitet, der mir entkommen ist. Jenny hat sich diesen James geholt. – Schaue also nicht nur auf die Pferde und die Kälber und auf deinen Mann, sondern lass deine Augen auch sonst ein wenig in die Runde gehen. Beim Rodeo schießen sie mich natürlich nicht ab, aber ich will wissen, wie sie sich postiert haben und mit wem sie sprechen oder wem sie zupfeifen. Verstanden? Der Kriegstanz geht vielleicht abends bei einem bestimmten Shake los; ich weiß nicht, ob sie schon etwas verabredet haben. Es sind jedenfalls die Newt Beats verpflichtet, eine viel zu teure Gruppe für eine mittlere Stadt; es wird also Tumult geben und hysterisches Gehabe; das ist, was sie brauchen. Wenn sie dabei nicht zum Ziel kommen, dann vielleicht bei der Heimfahrt. – Nach Harold brauchst du übrigens nicht Ausschau zu halten, den beobachte ich selbst.«

      »Stonehorn, ich bitte dich, denke an Mary.«

      Als Queenie dies gesagt hatte, sah sie ihrem Mann an, dass es besser für sie gewesen wäre zu schweigen.

      »Er hat mich einen Dieb geheißen, und er wusste wohl, dass ich nicht gestohlen hatte. Ich kam ins Gefängnis … das war der Anfang. Als ich entlassen wurde, mochte ich nicht mehr zurückgehen, nicht mehr in diese Schule, wie der Gefängnisdirektor dem Superintendenten doch empfohlen hatte, nicht auf diese Reservation, auch nicht mehr zum Vater. Ein Rechtsanwalt, der mit mir gesessen hatte, machte Mike auf mich aufmerksam. Ich fing an, bei ihm zu arbeiten. Um mich zu rächen. An allen. Aber Jenny hat mir meine Gangster zu Säuen gemacht.«

      Während der weiteren Fahrt, auf der kein Wort mehr gesprochen wurde, war Queenie in Gedanken bei dem stürmischen Tag, an dem sie, von der Schule heimkehrend, die Straße in umgekehrter Richtung gefahren war. Das Zeltgerüst, die Holzfassade des Schaustellungsforts, das Wächterhaus flogen an ihr vorbei. Der Fahrtwind zauste an ihrem Haar. Damals war sie in ihr Geschick hineingefahren. Sie bereute nichts. Nichts. Was aber in ihr würgte, das war die Selbstverständlichkeit, mit der ihr Mann von den Gangstern sprach. Sie begriff, dass das seine Welt, sein tägliches Leben gewesen war, dass er die Ungerechtigkeit der Bürger und ihre Gesetze hassen gelernt, dass er Verbrechen nicht verhindert, Gesetzloses mit angeführt hatte, dass diese Unmenschen, die ihr des Nachts in der Prärie begegnet waren, als seine Brüder gegolten hatten. Er hatte sie niedergeschossen. Aber wenn er von ihnen und ihresgleichen sprach, sprach er heute noch von »Arbeit«, wie er als Rancher von einem Pferd sprach, denn mit ihnen zusammen hatte er sich jahraus, jahrein Nahrung, Kleidung und Obdach verschafft; unter dem Kommando solcher Männer hatte er sich angestrengt. Queenie ging der Sinn des Wortes »Berufsverbrecher« von dieser Seite her auf.

      Stonehorn fuhr gleichmäßig eine auf der einsamen Straße vernünftige Geschwindigkeit von fünfundsechzig Meilen in der Stunde. Er lenkte nicht in die Stadt hinein, sondern fuhr auf einem Umweg gleich zu den Slums und zu dem Haus von Elk. Die Kinder spielten wieder davor wie damals. Sie erkannten Queenie und Joe King und freuten sich. Elk und seine Frau waren zu Hause. Es schien, dass sie von dem Kommen der Kings schon unterrichtet waren. Joe gab Queenie den Zündschlüssel und verabschiedete sich, um gleich bei den Rodeo-Managern vorzusprechen. Das Rodeo- Feld lag außerhalb der Stadt, nicht weit von dem Vorort entfernt. Queenie spielte mit den Kindern, und als die Mutter diese früh schlafen gelegt hatte und auch sich selbst müde dazulegte, saß Queenie noch mit Elk auf dem zweiten deckenbelegten Gestell. Die Petroleumlampe war gelöscht. Es wurde dunkel, der Mond stand mit seinem freundlich-blöden Gesicht am Himmel und täuschte die Menschen mit geborgtem Licht über seine Öde hinweg. Für Queenie aber war der Mond noch mehr als ein Gestirn. Er war Magie.

      Als es elf Uhr nachts wurde und Joe noch nicht zurückgekommen war, legte sich Queenie auf eine Kante neben Frau und Kinder, und Elk ließ sich auf dem freien Gestell zum Schlafen nieder. Eine Stunde nach Mitternacht kam Joe. Er warf sich neben Elk hin und war sofort eingeschlafen. Queenie studierte im Mondlicht noch seine Züge. Sie wollte nicht einen einzigen vergessen. Jetzt, wo sie allein noch wach war, wurden ihre Augen nass. Sie dachte auch daran, dass Joes Atem nach Alkohol gerochen hatte, nach gutem Whisky.

      Am Samstagmorgen waren alle früh auf, obgleich dieser Tag in der Fünftagewoche schon Feiertag war und niemand zur Arbeit ging. Aber Elk liebte ein ruhiges Beisammensein vor dem Gottesdienst, den er in der kleinen Holzkirche der Armen zu halten hatte. Joe hatte Frühstück mitgebracht, und so war die Familie Elk dieser Sorge enthoben. Man saß zusammen auf den Schlaf- und Sitzgestellen und aß. Hier war alles ruhig und gut geordnet, wenn es auch sonst täglich nichts als Brot auf dem Tisch gab. Seinen Lohn teilte Elk mit Arbeitslosen, die keine Unterstützung empfingen.

      Da Joe wohl wusste, was man von ihm hören wollte, erzählte er: »Es wird etwas anders laufen, als ich vorgesehen hatte. Ich wollte das Stierringen mitmachen, dafür habe ich eingezahlt und auch für das Kälberfangen im Team. Nun fehlt ihnen aber ein Bronc-Reiter. Sie haben ein gutes Pferd, kräftig, elastisch und mit vielen Tücken, einen der richtigen Teufel. Es wäre schade, das Pferd nicht zu reiten … tatsächlich, es wäre schade. Aber Bronc und Stierreiten an einem Tag, das wird dem stärksten Mann zuviel, und ich hatte auch kein Training mehr im letzten Jahr. Aus dem Kälber-Team kann ich nicht heraus, das kann ich Russell nicht antun. Das ist auch keine Arbeit. So ein hilfloses kleines Hinterbein hat mein Lasso gleich eingefangen.«

      »Und was ist nun die Frage?« erkundigte sich Elk.

      »Das Geld. Sie geben mir den Einsatz für das Stierringen nicht mehr heraus, und wie das mit dem Einsatz fürs Bronc gemacht werden soll, wissen sie auch nicht. Es ist eingezahlt, aber der Reiter, der kommen wollte, ist beim Rodeo in Cardston gestürzt, schwere Rückgratverletzung … Er bleibt ein Krüppel. Sein Einsatz verfällt. Sie könnten mir den Ritt dafür geben, aber das wollen sie nicht. Geldleute!«

      »Dann lässt du es eben sein.«

      »Wenn es nicht so verdammt verführerisch wäre, doch noch zu reiten. Meine Pferde sind noch nicht fertig, deshalb habe ich nicht angemeldet … aber der gescheckte Teufel … und für das Bronc-Reiten sind die höchsten Preise ausgesetzt.«

      »Du bist noch jung, Joe, und Rodeos gibt es am laufenden Band. Lass es sein.«

      »Du hast recht, Elk, aber ich reite gern gescheckte Teufel.«

      Draußen entstand Unruhe um den Wagen.

      Joes ältere Schwester mit ihren fünf Kindern im Alter von einem bis acht Jahren war gekommen. Sie hatte kein eigenes Auto und sollte daher mit den Kings mitfahren. Da Tashina und Joe sehr schlank waren, konnte sie sich als dritte, wenn auch mit Mühe, neben den Fahrersitz drängen; den einjährigen Jungen legte man auf die schmale Bank hinter den Sitzen. Zwei Jungen von vier und fünf Jahren wurden im offengehaltenen Kofferraum als lebendes Inventar neben den toten Gegenständen verstaut. Die Älteste, das achtjährige Mädchen, war so vernünftig, ihre zweijährige Schwester bei sich zu behalten, um mit ihr bei der Familie Elk zu bleiben und später mit dieser nachzukommen. Elk hatte kaum etwas zu essen, aber einen alten Wagen besaß er, denn ohne diesen hätte er den täglichen Weg zur Arbeit nicht schaffen können. Die volle Fuhre der Kings fiel nicht auf. Indianerautos waren meist bis zum Dach mit Familie gefüllt, und ohne Dach ließ sich die Sache sogar noch besser an. Stonehorn fuhr vorsichtig. Queenie begegnete bei dieser Fahrt zum ersten Mal ihrer Schwägerin, die Witwe zu sein schien. Aus der Unterhaltung auf der kurzen Fahrt erfuhr sie jedoch, dass der arbeitslose Mann die Stadt verlassen hatte, damit die Frau wenigstens für die Kinder Wohlfahrtsunterstützung bekam. Sie war buntgekleidet und schien trotz allem guter Dinge. Ihrem Bruder, der ein Langschädel war, glich sie mit ihrem runden Gesicht nur wenig. Es schien, dass sie das Leben und seine Unbilden leichter nahm als er. Die Kinder waren mit Joe offenbar gut vertraut.

      Queenie träumte einen Augenblick