Vom Hitlerjungen aus Meiningen, im Krieg durch Europa und als Kriegsgefangener in Südfrankreich 1940–1949. Ernst Köhler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ernst Köhler
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783867779326
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flatterte mir dann der Einberufungsbefehl in die Tasche, und das zu meinem großen Erstaunen. Bis zum Stelltermin blieben gerade mal elf Tage. In dieser kurzen Zeit habe ich noch schnell meine zweite Prüfung als Landwirtschaftsgehilfe geschafft. Damit hatte ich wenigstens einen Abschluss.

      In diesen Tagen besuchte ich mit unserem Pflichtjahrmädel einen jugendverbotenen Film. Während der Vorstellung wurden wir von „Kettenhunden“ der Wehrmacht aufgefordert, das Kino zu verlassen, weil wir erst 16 bzw. 17 Jahre alt waren. Zwei Tage später wurde ich beim Rauchen ertappt und aufgefordert, den Glimmstengel abzulegen. Das Kuriose an diesen Geschichten war die Tatsache, dass ich den Einberufungsbefehl schon in der Tasche hatte und immer noch wie ein Jugendlicher behandelt wurde.

      Die Musterung war auf den Deutschen Arbeitsdienst ausgerichtet. Bei der anschließenden Nachmusterung wurden wir von hohen Stabsärzten der Wehrmacht und SS untersucht. Wer okay war und über 1,72 m groß, wurde kurzerhand der Waffen-SS zugeschlagen, und das mit 17 Jahren. Wir waren fast noch Kinder. So nahm das Schicksal seinen Lauf. Am 30. Oktober 1943 hatte ich mich in den Adolf-Hitler-Kasernen am Rande der Goldenen Stadt Prag zu melden. Es begann ein ganz neuer Lebensabschnitt. Man brauchte von nun an nur noch stramm zu stehen, Männchen zu bauen und den gegebenen Befehlen zu gehorchen. In Prag habe ich keinen einzigen Bekannten getroffen. Zu diesem Zeitpunkt waren schon einige meiner etwas älteren Kumpels gefallen, die meisten auf Schnellbooten oder Minenräumfahrzeugen.

      In den ersten Kasernentagen wurde uns beigebracht, wie man sich zu benehmen und zu bewegen hatte. Hauptaugenmerk wurde auf den „deutschen Gruß“, den ausgestreckten rechten Arm, gelegt. Das Leben bestand nur noch aus Strammstehen, Marschieren, Auf und Nieder, immer wieder. Alles wurde in Zivilklamotten durchexerziert. Uniformen waren noch nicht parat, außer Stahlhelme. Beides zusammen war ein Bild für die Götter. Nach zwei Wochen mussten wir dann unsere Zivilsachen im Pappkarton nach Hause schicken. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Sachen hinterher noch verwendungsfähig waren. Auf der Kleiderkammer bekam dann jeder sein Päckchen hingeschmissen, mit wollenen Unterhosen, Socken, Hemden, Fußlappen, Gamaschen, Knobelbechern oder hohen Schuhen, zwei Oberhemden aus Leinen, Jacke und Hose aus dickem Stoff, einem viel zu langen Mantel und einem Käppi, das mir über die Ohren rutschte. Dann die Ausrüstung: Karabiner 98, Koppel mit Schloss, Patronentaschen am Leibriemen mit je 45 Schuss Munition, Brotbeutel, Feldflasche, Gasmaske, Sturmgepäck mit Zeltplane und dicker Decke und ein zusammenklappbarer Spaten. Dazu kam noch ein Tornister aus dickem Stoff sowie das Seitengewehr am Koppel für den Nahkampf. Fertig war der Jungsoldat!

      Jetzt ging es richtig zur Sache. Früh 6 Uhr war Wecken mit Trillerpfeife, anschließend Morgentoilette und Frühsport. Zum Kaffee gab’s eine furchtbare Ersatzlorke, dazu Marmelade und einen undefinierbaren Brotaufstrich. Dienstbeginn war dann 8 Uhr. Angetreten wurde im Drillichanzug, der die „Mutter Erde“ besser vertragen konnte als die Uniform. Nach dem Strammstehen in schnurgerader Linie machten die Ersten gleich Bekanntschaft mit dem Boden, und das bei jedem Wetter. Ein älterer Zugführer mit Dienstgrad Hauptscharführer (Hauptfeldwebel), der nicht mehr k. v. war, betitelte uns unter anderem als „ihr Heinis“, „Rosenkranzflitzer“, „Brotbaumaffen“ und wiederholt als „ihr Bauernspitze“, was selbst ich als Beleidigung auffasste, aber man hat es weggesteckt, weil man schon in der Hitlerjugend zum Gehorsam erzogen wurde. Nach dem Antreten war Exerzieren an der Reihe, entweder in der Gruppe, im Zug oder in der Kompanie. Auch hier lagen wir meistens auf dem Bauch und robbten durch die Gegend. Eine beliebte Übung war dabei die Kehrtwende auf dem Koppelschloss, das Gewehr in Vorhalte. Und immer wieder Laufen, Rennen, Hüpfen wie die Feldhasen. „Nieder“ und „Auf, marsch, marsch“ – diese Schindereien wurden bis zur völligen Erschöpfung durchgezogen. Schweißgebadet dachte ich manchmal, dass es einfach nicht mehr weitergehen würde. Und doch gehorchte man diesen Verbrechern von Ausbildern, die ansonsten hinten in der Etappe eine ruhige Kugel schoben, immer wieder. Vor dem Mittagessen war meist noch eine Stunde Schulung über irgendwelche wehrdienstlichen Aufgaben. Da wir in Kasernen untergebracht waren, gab es Mittagessen im großen Speisesaal, der für die einfachen Soldaten auch als Kantine diente. Nach einer kurzen Pause ging es weiter: Exerzieren, Marschieren, Unterweisung am Maschinengewehr 44 und am veralteten MG 33. Zur Grundausbildung gehörten auch lange Märsche in voller Montur, auch nachts, mitunter bis zu 20 km weit. Das war Schikane pur. Hier ist manch einer aus den Latschen gekippt. Auch die Ausrüstungs- und Waffenappelle hatten es in sich. Mit angespitzten Streichhölzern kratzten die Lumpen von Ausbildern jeden noch so versteckten Dreck aus den Knarrenritzen und schmierten es einem in die „Fresse“. Zur Strafe folgten „Häschen hüpf“ mit ausgestrecktem Gewehr und Liegestütze, und das nicht zu knapp. Oft ging es dann noch auf den Schießplatz. Es wurde auf stehende und laufende Ziele geballert. Die Trefferquote war anfangs mickrig. Viele Fahrkarten wurden geschossen. Nach dem Schießen stand das Werfen von Stiel- und Eierhandgranaten auf dem Programm. Bei jedem Marsch dauerte es nicht lange und das Kommando ertönte: „Singen, ein Lied 3, 4!“ Von diesen Liedern hatten wir ein ganzes Repertoire auf Lager. Das ging los mit „Es zittern die morschen Knochen“, „Auf der Heide blüht ein kleines Blümelein“, „Unsere Fahne flattert uns voran“ bis hin zu „Es ist so schön, Soldat zu sein“. Zwischendurch kam immer wieder der Befehl: „Lauter, ihr Heinis!“ Dadurch artete das ganze manchmal zum völligen Gegröle aus. Am späten Nachmittag war meist Putz- und Flickstunde angesetzt. Und dann kam das Beste vom Tag: Verpflegungsempfang. Weil wir jung und hungrig waren, erschien uns das Essen völlig unzureichend. 21 Uhr war dann Zapfenstreich. Aber kaum das man auf seinem Strohsack lag und postwendend eingepennt war vor Müdigkeit, ertönte schon wieder die Trillerpfeife und wir mussten aufspringen und zackig zwischen den zwei- und dreigeschossigen Betten Aufstellung nehmen. Der Stubenälteste musste Meldung machen und bei der anschließenden Spindkontrolle warfen die Ausbilder unsere Sachen unter fadenscheinigen Begründungen durch die Bude. Daran schienen sie ihre helle Freude zu haben. Wir mussten dann innerhalb einer vorgegebenen Zeit die Sachen wieder säuberlich einräumen und nicht selten noch einen Schuh- oder Fingernagelappell über uns ergehen lassen. Irgendetwas Niederträchtiges fiel den Ausbilder-Ekeln immer ein, um dem wehrlosen kleinen Soldaten zu zeigen, wer das Sagen hatte. So vergingen die ersten sechs Wochen Grundausbildung. Man war stur geworden in dieser Zeit und ein guter Teil des Denkvermögens hatte aufgehört zu existieren. Man hatte sich in das Unabänderliche ergeben. Der Dienst lief dann in ruhigerem Ton weiter. Wir sollten uns zum baldigen Verlassen der Kaserne bereithalten.

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