Erst am 31. Mai 1946, also sieben Monate nach ihrem Tod, ist die Leiche meiner Mutter in der Nähe der Stelle, wo sie erschossen wurde, verscharrt aufgefunden worden. Sie wurde ausgegraben, eingesargt und auf dem Friedhof von Ellrich beigesetzt.“
(Erlebnisbericht von der Tochter des Opfers, Frau Gertrud Hogen, Freialdenhoven)
Strittiger Grenzverlauf im Bereich der Kutzhütte
Nachdem die sowjetischen Kommandos am 23. Juli 1945 unter anderem auch die Kutzhütte geräumt hatten, wurde diese, ein auf dem Gelände der Gemeinde Branderode zwischen Neuhof und Walkenried liegendes Gipswerk, am 2. August 1945 wieder durch die Sowjets besetzt. Offensichtlich war bei der Festlegung des Gebietstausches das Gelände der Kutzhütte nicht hinreichend berücksichtigt worden. Die Sowjets sperrten die Straße nach Neuhof und Walkenried mit Stacheldrahtverhauen und veranlassten die Evakuierung der Bewohner nach Branderode. Da sie offensichtlich nicht an einer Wiederinbetriebnahme des Gipswerkes interessiert waren, gaben sie die Kutzhütte zur Plünderung frei. Von den Einwohnern der nahen, sowjetisch kontrollierten Ortschaften, Branderode, Obersachswerfen und Liebenrode wurden Motoren, Geräte, Kohle u. a. aus dem Werk abtransportiert. Durch Intervention der britischen Militärbehörden gelang es dann, vermutlich durch Tausch gegen einen Gebietsteil im Raum Duderstadt, die Kutzhütte endgültig in ihr Interessengebiet einzugliedern. Am 16. September 1945 verließ das sowjetische Kommando die Kutzhütte und die Bewohner kehrten an ihre Wohnstätte zurück.
(nach F. und W. Reinboth: Walkenrieder Zeittafel, 1999)
Zeittafel 1945
1. bis 3. Juli 1945 | Die amerikanischen Streitkräfte verlassen Thüringen und den Südharz |
2. Juli | Besetzung von Walkenried durch britische Truppen |
4. bis 5. Juli | Besetzung von Branderode, der Kutzhütte, Obersachswerfen, Clettenberg, Neuhof, Tettenborn durch sowjetische Truppen |
3. bis 23. Juli | Bad Sachsa ohne Besatzung |
7. Juli | Einstellung des Eisenbahnverkehrs zwischen Walkenried und Ellrich |
8. Juli | Britische Truppen besetzen Bahnlinie zwischen Walkenried und Osterhagen, ziehen sich am 10. Juli wieder zurück |
12. Juli | Abkommen über Eingliederung von Bad Sachsa und Tettenborn in das britische Interessengebiet |
23. Juli | Die sowjetischen Truppen verlassen Tettenborn, Neuhof, die Kutzhütte, das Vorwerk Wiedigshof, die Juliushütte. Britisches Militär übernimmt die geräumten Ortschaften |
23. Juli | Eingliederung von Bad Sachsa und Tettenborn in den Kreis Osterode |
2. August | Sowjetische Truppen besetzen erneut die Kutzhütte und evakuierten die Bewohner |
16. September | Die Kutzhütte wird endgültig Teil des britischen Interessengebietes |
Das Jahr 1946
Entgegen dem Verbot des Alliierten Kontrollrates passierten nach wie vor täglich mehrere tausend Menschen illegal in beiden Richtungen die Demarkationslinie im Südharz. Einzeln oder in kleinen oder größeren Gruppen suchten die Menschen, die ihre wenig verbliebene Habe in Rucksäcken, Koffern und Kartons, auf Fahrrädern oder auf Kinder- und Handwagen mit sich führten, manchmal noch die Kinder an der Hand, einen sicheren Weg durch Wald und Feld zum nächsten Bahnhof auf der anderen Seite. Zu den Grenzgängern gehörten natürlich auch die Bewohner der Grenzregion, die vielfach auf der anderen Seite Verwandte, Freunde und oftmals Besitz hatten. Viele Menschen überwanden die Demarkationslinie, um bei der allgemein herrschenden schlechten Versorgung Lebensmittel jeglicher Art für ihre Familien auf der anderen Seite zu ergattern. Verwandte und Bekannte auf dem Land, aber auch die Fischer an der Küste waren das vorrangige Reiseziel. Zu den Grenzgängern kamen sehr bald Schmuggler und Schieber, die mit der Beschaffung von dringend benötigten Waren von der jeweils anderen Seite gute Geschäfte machten.
Verbotsschild der britischen Grenzstation in Walkenried (Grenzlandmuseum Bad Sachsa)
Demarkationslinie (Foto: Militärhistorisches Museum der Bundeswehr Dresden)
Das Überschreiten der Demarkationslinie ohne Genehmigungspapiere war nach wie vor verboten. Die militärischen Grenzposten beider Seiten nahmen die gefassten Grenzgänger fest und führten sie der deutschen Polizei zu. In den meisten Fällen wurden die Festgenommenen nur verwarnt und in ihre Zone zurückgeschickt. Mitgeführte Waren wurden, wenn sie den persönlichen Bedarf überschritten, beschlagnahmt. Von den sowjetischen Posten kam es weiterhin zu häufigen Ausschreitungen im britischen Interessengebiet, im Grenzgebiet gestellte Frauen wurden weiterhin oft vergewaltigt. Bei der Verfolgung von Verbrechen arbeiteten die Polizeibehörden beider Seiten damals noch zusammen.
Die Grenzwachen beider Zonen erlaubten zunächst den Landwirten, die Äcker auf der anderen Seite besaßen, den Grenzübertritt zu deren Bearbeitung. Auf östlicher Seite mussten sich die Bauern, die auf Feldern in Grenznähe arbeiten wollten, durch Feldscheine ausweisen. Westdeutsche Landwirte konnten mit entsprechenden Bescheinigungen die Grenze zur Bearbeitung ihrer Äcker in der SBZ überschreiten.
Landarbeiterinnen überqueren die Demarkationslinie zwischen Tettenborn und Klettenberg (Foto: Grenzlandmuseum Bad Sachsa)
Feldschein der Gemeinde Branderode (Grenzlandmuseum Bad Sachsa)
Auf dem Weg zum Bahnhof Walkenried passierten viele der Grenzgänger den unmittelbar an der Demarkationslinie liegenden und bereits zum britischem Gebiet gehörenden Eisenbahntunnel, sowie die ebenfalls bereits auf britischem Gebiet liegenden Ansiedlungen der Juliushütte in der Nähe von Ellrich und des Wiedigshofes in unmittelbarer Nähe von Obersachswerfen.
Eisenbahntunnel in Richtung Walkenried, 350 m lang (Foto: P. Schmelter)
Am 30. Juni 1946 wurde auf Drängen der Sowjetischen Militäradministration durch Kontrollratsbeschluß die Demarkationslinie zwischen der sowjetischen und den westlichen