Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990. Heinz Scholz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinz Scholz
Издательство: Автор
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Жанр произведения: Историческая литература
Год издания: 0
isbn: 9783867775649
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Lehrern an Erfahrung. Es hätte im Voraus eine sorgfältige Planung und Vorbereitung dieses praktischen Unterrichtsbetriebes erfolgen müssen. Diese Einführung des Unterrichts in der Produktion kam zu schnell. Ich hielt auch das Gothaer Gummiwerk für den praktischen Arbeitseinsatz von Schülern als ungeeignet, hauptsächlich aus Sicherheitsgründen.

      Erst später, in den 60er Jahren, als gut ausgestattete Lehrwerkstätten und Unterrichtsräume in den Betrieben geschaffen waren, auch ausgebildete Lehrausbilder und Fachlehrer die Ausbildung und den Einsatz im Produktionsprozess des Betriebes leiteten, konnte man von einem sinnvollen und erfolgreichen produktionsverbundenen Unterricht sprechen.

      Ich hielt trotz der Schwierigkeiten in der Anfangsphase des UTP-Unterrichts die Verbindung von Schule und Produktion grundsätzlich für sinnvoll. Es schien mir nützlich für Jungen wie für Mädchen, wenn sie über die theoretische Wissensvermittlung in der Schule hinaus mit Grundkenntnissen und Erfahrungen in technischer, praktisch produzierender Arbeit vertraut gemacht werden. Ich betrachtete den Unterricht in praktischer Produktion als notwendig für eine zeitgemäße Allgemeinbildung, vorteilhaft für die Gewinnung sozialer Erfahrungen und förderlich für die Berufsorientierung junger Menschen.

      Dass ich selbst als (Neu)Lehrer über eine vorausgegangene Berufserfahrung in technischer Produktion verfügte, habe ich stets als einen Vorteil in meiner Arbeit als Lehrer verstanden!

       Ein Schulhort für unsere Löfflerschule

      In jener Zeit versuchte die SED-Staatsführung – wohl zum Ausgleich für den wieder verschärften Druck des Regimes – die Bevölkerung mit einigen sozialen Maßnahmen und Verbesserungen zufrieden zu stellen. Im Mai 1958 wurden die letzten Lebensmittelkarten (der Nachkriegszeit) aufgehoben. Das von der Partei beschlossene Wohnungsbauprogramm zeitigte die ersten sichtbaren Erfolge. Neue Ferienheime der Gewerkschaft konnten vorgezeigt und von „Bestarbeitern“ genutzt werden. Und man förderte verstärkt den Bau bzw. die Einrichtung von Kindergärten und Schulhorten. Letzteres mit dem Ziel, die Ganztagsbetreuung bedürftiger Schüler zu sichern.

      So wurde auch in unserer Schule darüber nachgedacht, für die Schüler der Unterstufe einen Schulhort einzurichten. Im eigenen Schulgebäude sah die Schulleitung keine Möglichkeit zum Ausbau von Räumen für einen Schulhort. Nach eingehender Beratung mit sachverständigen Eltern entstand dann folgender Plan:

      Im städtischen Gelände des benachbarten Schulgartens stand ein altes massiv gebautes, aber baufälliges ehemaliges Garten- bzw. Sommerhaus. Dieses Gartenhaus sollte – gemäß dem Plan – stabil ausgebaut und durch einen Anbau erweitert werden, so dass darin drei Gruppenräume mit Wasch- und Toilettenräumen Platz fänden. Dieses Projekt entsprach damaligen Minimalanforderungen – räumlich und hygienisch. Ein Vorteil war der günstige Standort: Das umliegende Gartengelände bot genügend Raum und Fläche für die Beschäftigung der Kinder im Freien.

      Die Schulverwaltung der Stadt befürwortete Ausbau und Einrichtung dieses Schulhortes, allerdings – wie das so üblich war – unter der Bedingung hoher Eigenleistungen. Aus der Elternschaft gewannen wir zwei Bauingenieure, Herrn Carius und Herrn Lorenz, die das Bauprojekt unentgeltlich erarbeiteten und im weiteren Verlauf die Bauarbeiten leiteten. Die Ausschachtungsarbeiten für Wasser- und Stromleitungen vom Schulgebäude bis zum künftigen Hortgebäude mussten von der Schule im „Nationalen Aufbauwerk“ freiwillig geleistet und organisiert werden. Im Frühjahr dann, an mehreren Wochenenden, hatten Lehrer, Eltern und ältere Schüler in schwerer Handarbeit die Gräben ausgehoben und nach dem Verlegen der Leitungen durch Fachleute die Gräben wieder zugeschüttet. Der Patenbetrieb hatte mit Gerätschaften und einigen Helfern zum Gelingen des Ganzen beigetragen. – Nach Fertigstellung des Schulhortes wurden zwei Horterzieherinnen eingestellt, und zu Beginn des Schuljahres 1958/​59 konnte der Hortbetrieb aufgenommen werden. Ich wusste damals, im Herbst 1958, noch nicht, dass dieses so aufwendig erarbeitete, gelungene, nützliche Gemeinschaftsprojekt unserer Schule schon nach einem Jahr so gänzlich seinen Sinn verlieren würde!

      Im Juli 1958, auf dem V. Parteitag der SED, wurden erneut die Weichen gestellt für die politischen Aufgaben und Aktionen der nächsten vier Jahre. Walter Ulbricht hatte die neuen Beschlüsse der Partei verkündet, die zur „Vollendung der Grundlagen des Sozialismus in der DDR“ führen sollten. In seiner Rede forderte er in diesem Zusammenhang nachdrücklich die „Herausbildung und Erziehung eines neuen sozialistischen Menschen“ und verkündete dabei gewichtig die neuen „Zehn Gebote für den neuen sozialistischen Menschen“.

      Diese Gebote sollten nunmehr verstärkt die sozialistische Erziehung der Kinder und Jugendlichen in den Schulen bestimmen. Sie machten, in Form und Diktion wie die christlichen 10 Gebote angelegt, eine neue „sozialistische Moral“ zur ethischen Richtlinie und waren ihrem Inhalt nach fast ausschließlich auf den Dienst des Menschen für den sozialistischen Staat und die sozialistische Gesellschaft ausgerichtet.

      Lehrer und Eltern nahmen Anstoß daran, weil human moralische Normen wie Menschenliebe, persönliche Friedfertigkeit, Toleranz und Achtung des Menschen nicht einbezogen waren. Da sie ausgegliedert blieben, gehörten sie nach Ulbrichts Version also nicht zur sozialistischen Moral? (8)

      Diese neuen „zehn Gebote“ wirkten penetrant aufgesetzt und peinlich, selbst für überzeugte Sozialisten. Kein Wunder, wenn sie meistens nicht ernst genommen wurden, zumal ja bereits seit Jahren die „sozialistische Erziehung“ als ein wichtiger Bestandteil der „politisch ideologischen Erziehung“ in der Schule gefordert wurde.

      Das Bild vom „neuen sozialistischen Menschen“, eines Menschen mit „sozialistischem Bewusstsein“ oder mit einer „neuen sozialistischen Einstellung zur Arbeit“ war im Grunde nichts Neues. Es war – wie nach der propagierten Kunstauffassung vom „sozialistischen Realismus“ – den Schülern mehrfach zur Nachahmung vorgeführt worden. Sie kannten den „neuen sozialistischen Menschen“ bereits aus aktuellen Lesebuchgeschichten, aus neuen sozialistischen Kinder- und Jugendbüchern und aus propagandistischen Kinofilmen. Da war der „Aktivist der Arbeit“ im Stahlwerk … oder die „Heldin der Arbeit“ in einer volkseigenen Textilfabrik, der vorbildliche „Junge Pionier“ bei einem freiwilligen Arbeitseinsatz oder der „revolutionäre Held“ im Kampf gegen Faschisten und Klassenfeinde zum „leuchtenden Vorbild“ herausgestrichen worden.

      Selbstverständlich hatten wir Lehrer/​innen uns mit dem „sozialistischen Menschenbild“ und mit der Erziehung zum „neuen sozialistischen Bewusstsein“ befassen müssen. Ich erinnere mich an obligatorische Vorträge und Diskussionen im Lehrerkollegium über Ethik und Moral im Sozialismus/​Kommunismus. Wir mussten „lernen“, dass „Moral klassengebunden“ ist. Dass es folglich eine „proletarische“ Moral gäbe, wie auch eine „bürgerliche“ und dass also Moral grundsätzlich abhängig sei von der sozialen Position zu den materiellen Besitzverhältnissen und dass die Bourgeoisie als Ausbeuterklasse mit ihrer heuchlerischen Moral einer doppelten Moral fröne.

      Da gab es wirklich Widerspruch, besonders von Seiten der Kolleginnen. Der mündete etwa in folgende Richtung: Selbst wenn man davon ausgehe, dass „das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimme“ und demnach auch die Moralauffassungen mit beeinflusse, dürfe man doch sonstige, ebenfalls mitbestimmende anthropologische Faktoren nicht außer Acht lassen. Einen Satz des Zweifels habe ich noch im Ohr: „Ist Mutterliebe Bestandteil einer Klassenmoral?“

      Ich glaube – und da gehe ich von mir aus –, dass damals wie auch später jeder von uns Lehrern sich selbst seine individuelle Ethik ausgebildet hat. Gewachsen im Bemühen um einen gerechten, menschlichen Umgang mit Kindern – im Verein mit dem eigenen Charakter und persönlichen Moralauffassungen. Vielleicht gemischt mit vernünftigen Grundsätzen einer sozialistischen bzw. sozial-freundlichen Gesinnung oder mit allgemeingültigen humanen Maximen der Aufklärung oder mit Wertvorstellungen einer christlichen