Die Gleich- und Wechselstromadvokaten greifen sich intensiv aufgrund der relativen Schädlichkeit der beiden Systeme an. Ein Ingenieur hat eine Art elektrisches Duell vorgeschlagen, um die Angelegenheit ein für alle Mal zu klären. Er schlägt vor, dass er, Westinghouse, den Gleichstrom und sein Gegner den Wechselstrom erhält. Beide sollen dem Strom mit der gleichen Spannung ausgesetzt werden, die schrittweise erhöht wird, bis einer der Rivalen nachgibt und den Wettbewerb freiwillig aufgibt.
Der Staat New York regelte die Angelegenheit unerwartet, indem er den elektrischen Stuhl als neues Mittel zur Hinrichtung von Mördern einführte und dafür Wechselstrom verwendete. Obwohl sich mit dieser Entscheidung zeigte, dass Wechselstrom an sich viel gefährlicher war, gewann Westinghouse das Duell. Schon damals ging es hier nicht um einen Kampf zwischen einzelnen Kontrahenten, sondern um einen Kampf um kommerzielle Interessen. Fernstromversorger standen vor der Aufgabe, wirtschaftlich vertretbare Wege zu finden, um zehntausendmal mehr Strom über einen durchschnittlichen Draht zu liefern, als es bisher erforderlich war. Doch Gleichstromsysteme konnten seinerzeit mit der damals verfügbaren Technologie nicht mithalten.
Die Elektrotechnik, die seit diesen anfänglichen Schritten mit Bedacht gesät, gedüngt, bewässert und gehegt worden war, schoss gen Himmel und breitete sich in alle Richtungen und über jeden bis dahin bekannten Horizont aus. Nikola Teslas Erfindung des 1888 patentierten Mehrphasen-Wechselstrommotors war das letzte Glied in der Kette, das es der Industrie ermöglichte, Wechselstrom nicht nur für die Beleuchtung, sondern auch für die Stromversorgung zu verwenden. Als Dr. George Beard 1889 zum ersten Mal eine Krankheit namens Neurasthenie beschrieb, wurde die Welt schlagartig in einem Ausmaß elektrifiziert, das kaum vorstellbar war. Viele hatten damals gesagt, dass der Telegraf „Raum und Zeit vernichtet“ hatte. Aber 20 Jahre später waren Telegrafen im Vergleich zum Elektromotor nur ein Kinderspielzeug. Die elektrische Lokomotive war jetzt im Begriff, die Landschaft mit explosionsartiger Kraft zu verändern.
Anfang 1888 waren in den Vereinigten Staaten nur 13 elektrische Eisenbahnen auf insgesamt 77 Kilometer Gleis und eine ähnliche Anzahl in ganz Europa in Betrieb. Das Wachstum dieses Industriezweiges war so spektakulär, dass bis Ende 1889 allein in den USA rund 1.600 Kilometer Gleis elektrifiziert wurden. In einem weiteren Jahr verdreifachte sich diese Zahl erneut.
1889 ist das Jahr, in dem vom Menschen verursachte elektrische Störungen der Erdatmosphäre nicht mehr nur einen lokalen, sondern auch einen globalen Charakter annahmen. In diesem Jahr wurde die Edison General Electric Company gegründet und die Westinghouse Electric Company wurde in die Westinghouse Electric and Manufacturing Company umstrukturiert. In diesem Jahr erwarb Westinghouse die Wechselstrompatente von Tesla und setzte sie in seinen Kraftwerken ein, deren Zahl sich von 150 im Jahr 1889 auf 301 im Jahr 1890 praktisch verdoppelte. Im Vereinigten Königreich wurden durch die Änderung des Gesetzes über elektrische Beleuchtung im Jahr 1888 die Vorschriften für die Elektrizitätswirtschaft gelockert. Hierdurch wurde die Entwicklung eines Zentralkraftwerks auf kommerzieller Ebene erstmals ermöglicht. Und 1889 änderte der Verein der Telegrafeningenieure und Elektriker seinen Namen in den jetzt angemesseneren Verband der Elektroingenieure um. 1889 stellten 61 Hersteller in zehn Ländern Glühlampen her, und amerikanische und europäische Unternehmen richteten Produktionsstätten in Mittel- und Südamerika ein. In dem Jahr berichtete der Scientific American wie folgt: „… soweit wir wissen, ist jede Stadt in den Vereinigte Staaten mit Lichtbogen- und Glühlampen ausgestattet. Mit der elektrischen Beleuchtung in den kleineren Städten wird es zügig vorangehen.“1 In demselben Jahr schrieb Charles Dana im Medical Record über eine neue Kategorie von Verletzungen, die zuvor nur durch Blitzschlag verursacht wurden. Sie seien darauf zurückzuführen, so Dana, dass „der praktische Einsatz von Elektrizität so enorm zugenommen hat und bereits fast 1 Milliarde US-Dollar allein in Licht und Strom investiert wurde“. Die meisten Historiker sind sich einig, dass das moderne Elektrozeitalter 1889 begann.
Und im selben Jahr, 1889, wurden Ärzte in Amerika, Europa, Asien, Afrika und Australien – als hätten sich die Schleusen des Himmels plötzlich geöffnet – von einer Flut kritisch kranker Patienten überschwemmt, die an einer seltsamen Krankheit litten. Sie erschien völlig unerwartet aus dem Nichts und viele dieser Ärzte hatten sie noch nie zuvor gesehen. Bei jener Krankheit handelte es sich um Influenza. Eine Pandemie, die vier aufeinanderfolgende Jahre dauerte und mindestens eine Million Menschen das Leben kostete.
Influenza ist eine Krankheit, die durch die Elektrizität verursacht wird
Im Jahr 1889 änderte die Influenza, deren Beschreibungen seit Tausenden von Jahren konsistent waren, plötzlich und unerklärlich ihren Charakter. Zuletzt hatte die Grippe im November 1847 – mehr als ein halbes Jahrhundert zuvor – den größten Teil Englands erfasst. In den Vereinigten Staaten wütete die letzte Grippeepidemie im Winter 1874–1875. Influenza war von jeher als launische, unberechenbare Krankheit bekannt, ein wildes Tier, das aus dem Nirgendwo kam, ganze Populationen ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Zeitplan auf einmal terrorisierte, um dann so plötzlich und mysteriös, wie es erschienen war, wieder zu verschwinden. Danach war von der Krankheit jahre- oder jahrzehntelang nichts mehr zu sehen. Sie verhielt sich wie kein anderes Leiden, galt als nicht ansteckend und erhielt ihren Namen, weil ihr Kommen und Gehen angeblich vom Einfluss (lateinisch: „influens“) der Sterne bestimmt war.
Aber 1889 wurde die Influenza gezügelt. Ab diesem Jahr würde sie immer präsent sein – überall auf der Welt. Sie würde zwar wie zuvor wieder auf mysteriöse Weise verschwinden, aber man konnte damit rechnen, dass sie im folgenden Jahr mehr oder weniger zur gleichen Zeit zurückkehrte. Und seitdem ist sie nie völlig abwesend.
Wie die „Angststörung“ ist die Influenza so häufig und mittlerweile so vertraut, dass eine gründliche Überprüfung ihrer Geschichte erforderlich ist. So können wir diesem Eindringling in unserem Leben die Maske vom Gesicht reißen und die enormen Folgen dieser Katastrophe für die öffentliche Gesundheit, die sich vor 130 Jahren abspielte, verdeutlichen. Wir wissen viel – mehr als genug – über das Influenzavirus. Das mit dieser Krankheit verbundene mikroskopische Virus wurde so ausführlich untersucht, dass Wissenschaftler mehr über seinen winzigen Lebenszyklus wissen als über jeden anderen Mikroorganismus. Aber das war auch genau der Grund, warum viele Besonderheiten dieser Krankheit ignoriert wurden, einschließlich der Tatsache, dass sie nicht ansteckend ist.
Influenza-Todesfälle pro Million in England und Wales, 1850–19402
Der kanadische Astronom Ken Tapping war im Jahr 2001 zusammen mit zwei Ärzten aus British Columbia der letzte Wissenschaftler, der erneut bestätigte, dass Influenzapandemien seit mindestens drei Jahrhunderten am wahrscheinlichsten zu Zeiten der stärksten magnetischen Sonnenaktivität sind, d. h. zum Höhepunkt jedes elfjährigen Sonnenzyklus.
Ein solcher Trend ist nicht der einzige Aspekt dieser Krankheit, der Virologen lange vor ein Rätsel stellte. Im Jahr 1992 veröffentlichte ein weltweiter Experte für die Epidemiologie der Influenza, R. Edgar Hope-Simpson, ein wichtiges Buch. Er überprüfte die wesentlichen bekannten Fakten und wies darauf hin, dass sie keine Rückschlüsse auf eine Übertragung durch direkten persönlichen Kontakt unterstützten. Hope-Simpson grübelte sehr lange über die Influenza, und zwar seit er ihre Opfer während der Epidemie von 1932 bis 1933 als junger Allgemeinarzt im englischen Dorset behandelt hatte. Hierbei handelt es sich um die Epidemie, bei der das Virus, das mit der Erkrankung beim Menschen in Verbindung gebracht wird, zum ersten Mal isoliert wurde. Während seiner 71-jährigen Karriere wurden die Fragen von Hope-Simpson jedoch nie beantwortet. „Die plötzliche Explosion von Informationen über die Natur des Virus und seine antigenen Reaktionen im menschlichen Wirt“, schrieb er 1992, trug lediglich dazu bei, dass „sich die Anzahl der erklärungsbedürftigen Besonderheiten noch vergrößerte.“3
Warum ist die Influenza saisonal? fragte er sich immer noch. Warum ist die Influenza sonst so gut wie nie vorhanden, außer in den wenigen Wochen oder Monaten einer Epidemie? Warum enden Grippeepidemien? Warum verbreiten sich nicht-saisonale Epidemien nicht? Wie explodieren