Aber Galvanis Landsmann Alessandro Volta vertrat eine entgegengesetzte und zu dieser Zeit ketzerische Meinung. Der elektrische Strom ging seiner Meinung nach nicht vom Tier aus, sondern von den unterschiedlichen Metallen selbst. Die Zuckungen waren laut Volta ausschließlich auf den äußeren Reiz zurückzuführen. Darüber hinaus, verkündete er, existiere die „animalische Elektrizität“ nicht einmal. Den Beweis hierfür erbrachte er mit seiner bedeutsamen Demonstration, dass der elektrische Strom durch den Kontakt verschiedener Metalle allein erzeugt werden konnte – ohne das Mitwirken eines Tieres.
Die beiden Kontrahenten repräsentierten offensichtlich zwei verschiedene Weltanschauungen: Der als Arzt ausgebildete Galvani verankerte seine Erklärungen in der Biologie. Seiner Meinung nach waren die Metalle mit einem lebenden Organismus verbunden. Volta, der autodidaktische Physiker, sah genau das Gegenteil: Der Frosch war lediglich eine Erweiterung des unbelebten metallischen Stromkreislaufs. Für Volta war der Kontakt eines Leiters mit einem anderen ausschlaggebend, und zwar sogar für die Elektrizität, die sich im Tier zeigte: Muskeln und Nerven waren praktisch nur feuchte Leiter und somit lediglich eine andere Art elektrischer Batterie.
Ihr Streit war nicht nur ein Beispiel für einen Konflikt zwischen Wissenschaftlern oder zwischen Theorien. Hier prallten die Jahrhunderte aufeinander, der Mechanismus auf der einen Seite und der menschliche Geist auf der anderen Seite gerieten in Konflikt miteinander – ein existenzieller Kampf, der Ende der 1790er-Jahre das Grundgerüst der westlichen Zivilisation ins Wanken brachte. Kurz darauf sollten sich Handweber gegen mechanische Webstühle auflehnen, aber ihr Aufstand war zum Scheitern verurteilt. In der Wissenschaft wie im Alltag verdrängten und verschleierten materielle Interessen immer mehr die realen Lebensbedingungen der Menschen.
Natürlich gewann Volta den Kampf. Seine Erfindung der elektrischen Batterie gab der industriellen Revolution einen enormen Auftrieb. Sein Beharren darauf, dass Elektrizität nichts mit einem belebten Körper an sich zu tun hatte, trug auch dazu bei, dass Elektrizität fortan in eine andere Richtung gelenkt wurde. Diese Fehlentscheidung ermöglichte es der Gesellschaft, Elektrizität auf industrieller Ebene zu nutzen – die Welt zu verdrahten, wie Nollet es sich vorgestellt hatte –, ohne sich über die Auswirkungen eines solchen Unterfangens auf Biologie und Leben, Gedanken zu machen. Und das war auch der Freifahrtschein, um das gesammelte Wissen der Elektropraktiker des 18. Jahrhunderts zu ignorieren.
Schließlich erschienen die italienischen Physiker Leopoldo Nobili und Carlo Matteucci und auch ein deutscher Physiologe namens Emil du Bois-Reymond auf der Bildfläche. Wenn wir dem, was wir in den Lehrbüchern lesen, Vertrauen schenken können, dann haben diese drei bewiesen, dass die Elektrizität doch etwas mit dem Leben zu tun hatte und dass Nerven und Muskeln nicht nur feuchte Leiter waren. Aber das mechanistische Dogma war bereits fest verankert und widerstand allen Versuchen, die Verbindung zwischen Leben und Elektrizität wieder gebührend herzustellen. Der Vitalismus wurde dauerhaft in den Bereich der Religion, in das Reich des Unwesentlichen, verbannt und für immer von der Domäne der ernsthaften, aufklärenden Wissenschaft ausgeschlossen. Experimentell nachweisen ließ sich die Kraft, die hinter allem Leben steckt, jedenfalls nicht – sofern es sie überhaupt gab. Keineswegs konnte es sich dabei um dieselbe Substanz handeln, die Elektromotoren drehte, Glühbirnen erleuchten ließ und Tausende von Kilometern auf Kupferdrähten zurücklegte. Ja, man hatte endlich die Elektrizität in den Nerven und Muskeln entdeckt. Aber ihre Aktion war nur ein Signal des transmembranen Transports der Natrium- und Kaliumionen und der Neurotransmitter über den synaptischen Spalt. Die Chemie stand jetzt hoch im Kurs – sie war der fruchtbare, scheinbar endlose wissenschaftliche Boden, der die gesamte Biologie, die gesamte Physiologie nährte. Dass es Kräfte geben könnte, die aus der Ferne auf das Leben einwirkten, dies wurde dabei völlig beiseitegeschoben.
Eine andere, noch bedeutendere Veränderung, geschah nach 1800: Nach und nach vergaßen die Menschen sogar, sich über die eigentliche Natur der Elektrizität Gedanken zu machen. Man begann nunmehr mit der Errichtung eines permanenten elektrischen Bauwerks, dessen Einflüsse überall schleichend Fuß fassten, ohne dass man die Konsequenzen bemerkte oder darüber nachdachte. Anders ausgedrückt: Obwohl diese Konsequenzen bis ins kleinste Detail aufgezeichnet wurden, fehlte das Verständnis für das, was da eigentlich gebaut wurde.
KAPITEL 5
Chronisch krank durch Elektrizität
Im Jahr 1859 machte die Stadt London eine erstaunliche Metamorphose durch. Die Straßen, Geschäfte und Wohndächer seiner zweieinhalb Millionen Einwohner wurden plötzlich an ein unübersehbares Gewirr von Elektrokabeln angeschlossen. Lassen wir einen der berühmtesten englischen Schriftsteller, der Augenzeuge war, die Geschichte einleiten:
„Vor ungefähr zwölf Jahren“, schrieb Charles Dickens, „nachdem es in den Tavernen üblich wurde, Bier und belegte Brote zu einem Festpreis anzubieten, führte der Besitzer eines kleinen Vorstadthauses diese Gewohnheit ad absurdum. Er bot nämlich ein Glas Bier und einen elektrischen Schlag für vier Pence an. Dass er mit dieser Kombination aus Wissenschaft und Getränk Geschäfte machen wollte, war natürlich mehr als fraglich. Als Wirtschaftsbesitzer war das Hauptziel seines ungewöhnlichen, wenn auch humorvollen Scharfsinns wohl, sein Geschäft anzukurbeln. Was immer auch der Grund für seinen etwas bizarren Unternehmergeist gewesen sein mag, es ist auf jeden Fall festzuhalten, dass der Wirt seiner Zeit weit voraus war.
Er war sich wahrscheinlich nicht einmal bewusst, dass sich seine ungewöhnliche Art, Geschäfte zu führen, innerhalb weniger Jahre zu einer ernsthaften Wissenschaft entwickeln würde. Waghalsige Possenreißer gehen ja oft humorvoll mit einem Thema um, von dem sie eigentlich nichts verstehen. Wir sind beispielsweise noch nicht so weit, dass die Leser von Bischof Wilkins berühmtem Diskurs über die Luftfahrt selbst zum Mond fliegen können. Aber die Stunde ist nahe, in der die erfindungsreiche Bekanntmachung des Bierladenbesitzers als selbstverständlich und ganz normal angesehen werden wird. Ein Glas Bier und ein elektrischer Schlag werden tatsächlich in Kürze für vier Pence verkauft werden – und der wissenschaftliche Teil des Geschäftes wird von größerem Nutzen sein als eine bloße Reizung der menschlichen Nerven. Hier geht es nämlich um einen elektrischen Schlag, der eine Nachricht durch ein Drahtgeflecht über die Hausdächer an eine der 120 Bezirkstelegrafenstationen senden wird, die zwischen den Ladenbesitzern in der ganzen Stadt verteilt werden sollen.
Die fleißigen Spinnen haben sich längst zu einer Handelsfirma namens London District Telegraph Company (Limited) zusammengeschlossen und ihr Handelsnetz lautlos, aber effektiv, gesponnen. Rund 250 Kilometer Draht sind jetzt entlang Brüstungen, durch Bäume, über Mansarden, um Schornsteinaufsätze und quer über Straßen auf der Südseite des Flusses angebracht. Die noch ausstehenden 190 Kilometer Draht auf der Nordseite werden bald in gleicher Weise gespannt. Die Arbeit geht immer schneller voran. Außerdem ist selbst der starrköpfigste Engländer bereit, das Dach seiner sprichwörtlichen Burg im Interesse der Wissenschaft und des Gemeinwohls aufzugeben, wenn er sieht, dass seine Nachbarn zu Hunderten hier bereits den Weg gewiesen haben.“
Die englischen Bürger begrüßten nicht unbedingt die Aussicht, dass elektrische Leitungen an ihren Häusern angebracht werden sollten. „Der britische Hausbesitzer hat noch nie eine voltaische Batterie eine Kuh töten sehen“, schrieb Dickens, „aber er hat gehört, dass so ein Kraftakt durchaus möglich sei. Der Telegraf wird in den meisten Fällen von einer starken voltaischen Batterie betrieben, und daher hält sich der britische Hausbesitzer, der generell Angst vor Blitzen hat, logischerweise von all diesen Maschinen fern.“ Laut Dickens gelang es Vertretern der London District Telegraph Company trotzdem, fast 3.500 Hausbesitzer zu überreden, ihre Dächer für die