Ein lautes Poltern beendete plötzlich das Gespräch. Jabo stellte den Becher auf den Tisch und lief leicht verärgert zum Eingang der Drachenhöhle. Dort traf er Artem und Orbin an, die sich unbekümmert den Schnee von den Stiefeln klopften. Sie zogen frische Äste und einen Sack Heu in die Höhle und kümmerten sich so um das Futter der Drachenkönigin.
Jabo sagte nichts dazu, doch seine finstere Miene verriet den Ankömmlingen, dass sie zu laut waren. Tangossa erwachte und hob ihren Kopf. Sie konnte nicht wie die anderen Drachen in die Wälder ziehen, um zu fressen. Deshalb freute sie sich, dass Orbin und Artem ihr immer wieder etwas mitbrachten.
Ohne auf den verärgerten Jabo zu achten, bedankte sie sich. Dann verschlang sie das Heu und die Äste. Ein lautes Krachen und Knacken hallte durch die Höhle.
Barbaron las unbekümmert weiter und er erfuhr, dass ein Bannfluch über Dragon-Gorum lag. Er verhinderte, dass der Trollkompass diesen Ort fand und er sollte die Suche jedes Wanderers erschweren. Als Orbin und Artem mit ihrer Arbeit fertig waren, kamen sie zum Krankenbett des kleinen Königs. Sie wollten wissen, was er alles gelesen hatte. Es dauerte nicht lange, und eine rege Diskussion entstand. Orbin erklärte dem Minitroll, dass er alle seine magischen Dinge in der Drachenhöhle lassen sollte. Es war einfach zu gefährlich, sie in das Reich der Dämonen mitzunehmen.
Nur widerwillig gab Barbaron nach. Doch auf seine Waffen wollte er nicht verzichten. »Es ist mir egal, was ihr davon haltet«, schimpfte er los. »Meine Waffen nehme ich mit. Ohne Speer und ohne Pfeil und Bogen fühle ich mich nackt. Daran werdet auch ihr nichts ändern. Und wenn ihr weiter meine Freunde sein wollt, so sagt ihr mir gleich, wann wir endlich nach Dragon-Gorum reisen. Die Ältesten der Nachtaugenriesen sollen doch den Weg kennen.«
Artem räusperte sich verlegen, als sich alle Augen auf ihn richteten. Sogar die Drachenkönigin sah zu ihm hin und wartete auf seine Antwort.
»Die Sache ist so«, begann der Prinz zu sprechen. »Wir haben einen Tempel, der von unseren Priestern vor langer Zeit dem Schöpfer geweiht wurde. Dort befindet sich an einer Wand eine Karte. Auf ihr wird der Weg nach Dragon-Gorum beschrieben. Doch ich darf den Tempel erst betreten, wenn ich von den Priestern zum Fürsten ausgerufen wurde. Das Problem ist nur, dass ich einen Widersacher habe.«
»Nun sag bloß noch, dass ein anderer Riese aus deiner Sippe Fürst werden will«, sprach Orbin reichlich grimmig und seine Miene verfinsterte sich sofort. Artem nickte und er hob seine Hände in die Höhe. »Ich habe gestern Abend schon versucht, Knurr die Sache mit dem Erbe meines Vaters zu erklären. Mein Onkel Cromber, der jüngere Bruder meines Vaters, will selbst Fürst werden. Unsere Gesetzte sagen, dass ein Streit um den Titel nur im Zweikampf ausgetragen werden darf. Dies sei der Wille des Schöpfers und niemand darf sich gegen diesen Willen stellen. Ich muss also noch vor dem Ende des Jahres nach Ando-Hall reisen. Dort muss ich die Prüfung bestehen, die mir mein machtgieriger Onkel auferlegt hat. Möge der Schöpfer mit mir sein.«
Tangossa rückte noch ein Stück näher an die Freunde heran. Da niemand etwas sagte, begann sie leise zu sprechen. »Es gibt einen anderen Weg. Du musst nicht gegen deinen Onkel kämpfen.«
Erstaunt sahen die Freunde zu der Drachenkönigin und Artems Mund entfuhr sogleich eine Frage. »Was soll das für ein Weg sein?«
Tangossa berührte beinah mit ihrem Kopf die Höhlendecke, als sie sich ein wenig aufrichtete und dann ihren Kopf bis zu dem Prinzen hinstreckte. »Wir Drachen kennen ebenfalls den Weg. Er führt euch weit nach Westen. Dort wo die Flüsse immer enger werden und die Schluchten tiefer, dort erstreckt sich das Tal von Dragon-Gorum. In der Mitte eines Flusses, der durch das Tal fließt, erhebt sich eine Insel. Dort müsst ihr nach dem Brunnen suchen. Aber ich muss euch warnen, denn die Insel ist ein Werk der schwarzen Magie. Ihr könnt an diesem Ort niemanden trauen und niemand wird euch trauen.«
Der Prinz sah in die Augen der Drachenkönigin und er erkannte in ihnen sein eigenes Spiegelbild. »Wir sollen niemandem vertrauen?«, fragte Artem. »Das wäre für uns nicht gut. Nur mit einem heiligen Mann können wir an diesen verfluchten Ort gelangen und diesem Mann müssen wir vertrauen. Ein Priester oder ein Waffenmeister, würde mir jedoch nur dann folgen, wenn ich ein Fürst der Riesen wäre. Doch ich bin nur ein Prinz und mein Onkel würde eine solch gefährliche Reise niemals zulassen.«
»Willst du ihn deshalb töten?«, fragte Tangossa und die grüne Farbe ihres Kopfes verdunkelte sich, als sie ihn in die Höhe hob.
»Ich habe keine Wahl«, flüsterte Artem und er senkte seinen Blick. »Diesem Kampf kann ich nicht ausweichen. Niemand würde mir folgen oder mich achten, wenn ich vor dem Kampf zurückschrecke. Meine Ehre wäre verloren, und der neue Fürst würde mich so lange jagen lassen, bis ihm jemand meinen Kopf und mein Herz in einem Sack überreichen würde.«
Die Drachenkönigin senkte wieder ihr Haupt und sah traurig zu dem Prinz. »So musst du also deinen eigenen Verwandten töten, oder du stirbst durch seinen Willen. So viel Dummheit verstehe ich nicht.«
Artem ging zum Tisch und sah in den Weinkrug. Jabo hatte ihn geleert und nicht wieder aufgefüllt. Der Prinz stellte ihn zurück auf den Tisch und versuchte dann, die Gesetze seines Volkes zu erklären. »Seit der Zeit der großen Schlachten sind wir Riesen auf starke Anführer angewiesen. Ohne unsere Fürsten verlieren wir unsere Einigkeit. Wir würden uns alle gegenseitig im Streit erschlagen oder uns einfach aus dem Weg gehen. Viele Feinde würden uns dann Schaden zufügen und wir wären bald nicht mehr in dieser Welt. Deshalb gilt unser Gesetz für jeden von uns und der Fürst hat die Macht, es durchzusetzen. Wenn ich nicht kämpfen würde, so wäre Cromber gezwungen, mir seine Krieger zu schicken. Sie müssten mich töten und meinen Kopf und mein Herz dem neuen Fürsten überreichen. Schickt er die Krieger nicht, um mich töten zu lassen, so würden wir beide sterben und die Priester würden einen neuen Fürsten wählen.«
Eine winzigkleine Flamme züngelte aus Tangossas linkem Nasenloch. Sie verschwand sofort wieder und die Königin schüttelte sich. Sofort kam ein Grollen und Donnern in der Höhle auf. Doch es legte sich gleich wieder und Tangossa atmete erleichtert auf. Das Kribbeln in ihrer Nase hätte zu einem ordentlichen Niesen und damit zu einer Katastrophe führen können. Ihr feuriger Atem hätte alles und jeden in Brand gesteckt. Sie sah zu dem leeren Weinkrug und dann zu dem Riesen. »Reiche mir den Krug«, flüsterte sie. »Ich will auch dir ein Geschenk geben. Es soll dir die Kraft verleihen, deinen Kampf zu gewinnen. Doch merke dir meine Worte, bevor du meine Träne trinkst. Dem Feind das Leben nehmen, das kann jeder Krieger, doch nur ein wahrhaft großer Herrscher vermag das Leben zurückzugeben.«
Die Drachenkönigin ließ eine Träne in den Krug fallen. Sie war so groß, dass sie den Krug ausfüllte. Der Prinz trank und setzte den Krug erst ab, als er leer war. Er stellte das Gefäß zurück auf den Tisch und nickte Tangossa zu. »Ich werde die mahnenden Worte immer in meinem Herzen tragen. Und für die Träne bedanke ich mich.«
Barbaron sah zu dem Prinzen und zur Drachenkönigin. Er hatte die Arme verschränkt und sein Blick war eine einzige Herausforderung. »Da wäre noch eine Frage zu klären«, polterte er los. »Wann brechen wir auf? Ich habe die ewige Warterei satt. Mein Volk und meine Freunde warten auf mich.«
»Noch nicht«, knurrte Orbin den kleinen König aller Minitrolle an. »Ich werde dir erst ein Kräuterpflaster verpassen. Und wenn du morgen keine Schmerzen hast, können wir über die Reise reden. Geduld sollte also deine stärkste Waffe sein, mein kleiner Freund.«
Barbaron setzte sich murrend auf sein Bett und ballte seine kleinen Fäuste. »Ein Kräuterpflaster will er mir verpassen«, knurrte er so leise, dass nur er selbst seine Worte hörte. »Wer will schon ein Kräuterpflaster haben? Ich will zu diesem Brunnen reisen und das Dämonenreich in Angst und Schrecken versetzten.«
Barbaron sah grimmig zu Orbin, der gerade mit Jabo redete. Er schlug sich mit der rechten Faust in die linke Hand und