Rebellen. Uwe Schimunek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Schimunek
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783955520458
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Familie, der Vater Architekt, die Mutter Hausfrau. Buddewitz selbst hat einen IHK-Abschluss als Radio- und Fernsehtechniker im Jahr 1969 gemacht, Prüfung zum Tonmeister 1975, beides hat er mit sehr guten Leistungen abgeschlossen.» Landsberger blätterte und fuhr fort: «Reinhard Buddewitz war ein Nachzögling. Die Eltern haben inzwischen das Zeitliche gesegnet. Der Vater ist vor vier Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Die Mutter kurz darauf auch. Reinhard Buddewitz war nicht verheiratet, außer dem Bruder hatte er keine Familie mehr.»

      «Was ist mit den Drogen?»

      Landsberger blätterte weiter. «Ich habe hier eine Ermittlung wegen Missbrauchs von Betäubungsmitteln. Die wurde mit einer Verwarnung per Strafbefehl beendet. Nächstes Jahr wäre die Sache verjährt und gelöscht worden.»

      «Drogen», stellte Kappe fest und mutmaßte: «Vielleicht hat sein Tod etwas damit zu tun. Überdosis, Ärger mit dem Dealer.»

      «Na ja, in der Akte steht etwas von Cannabiskonsum, davon stirbt ja keiner.» Landsberger blickte von den Unterlagen auf. «Außerdem hat die Niedergesäß gesagt, der Mann sei vermutlich einem Stromschlag erlegen. Das sieht mir eigentlich nicht nach einem Drogentod aus.»

      Kappe setzte zu einer Antwort an, hielt aber inne. Er könnte die Binsenweisheit äußern, dass Klarheit erst nach dem Obduktionsbericht herrsche. Andererseits hatte die Rechtsmedizinerin sicher genug Junkies mit Überdosis auf dem Tisch liegen gehabt, um einen Hinweis darauf zu erkennen. Auch Schläge mit Eisenstangen von einem wütenden Dealer wären ihr kaum entgangen. Also seufzte Kappe lediglich.

      Landsberger wartete noch einen Moment und wandte sich dann wieder der Akte zu. «Diese Hütte war tatsächlich sein erster Wohnsitz», murmelte er.

      «Vielleicht gab es eine Freundin mit ’nem Doppelbett», warf Kappe ein.

      «In den Akten steht nichts davon, aber möglich wär’s», sagte Landsberger, ohne von den Papieren aufzublicken. «Dem sollten wir nachgehen.» Er zückte einen Stift und notierte etwas. Dann blätterte er weiter. Plötzlich hob er eine Seite etwas an und schaute ungläubig.

      «Was ist denn?», fragte Kappe.

      «Es gab offenbar eine polizeiliche Sonderüberprüfung.» Landsberger reichte Kappe das Papier über den Schreibtisch hinweg.

      Kappe nahm es entgegen. Es handelte sich um einen Verweis auf ein Dossier des Polizeilichen Staatsschutzes. «Das müssen wir beschaffen», stellte Kappe fest.

      «Ich frage das über Engländer ab», sagte Landsberger.

      Kappe gab Landsberger das Papier zurück und dachte an den Chef. Wenn der Kriminalhauptkommissar davon erfuhr, hing der Fall an der großen Glocke. «Vielleicht haben wir es mit einem einfachen Arbeitsunfall zu tun. Der Mann war Rundfunktechniker und hat einen Stromschlag bekommen. Ich weiß nicht, ob wir dieser Akte noch etwas hinzufügen müssen.»

      Landsberger legte das Blatt Papier wieder in die Mappe zurück. Dabei murmelte er: «Einser-Abschluss und über zehn Jahre Berufserfahrung und dann so ein dummer Unfall.»

      «Im Leben passieren die seltsamsten Dinge», erwiderte Kappe, auch wenn er sich dabei wie ein Phrasendrescher vorkam.

      «Ich weiß nicht …», sagte Landsberger skeptisch.

      Kappe rieb sich die Stirn. «Eigentlich ist es auch egal. Wir haben die Sache nun erst mal auf dem Tisch. Ob wir wollen oder nicht. Und bis zu den Berichten der Kriminaltechnik und der Rechtsmedizin wird sich das auch nicht ändern.»

      «Es scheint, als hätten wir eine unangenehme Aufgabe zu erledigen», sagte Landsberger. Er schloss die Akte.

      Kappe richtete sich auf. «Also gut, fahren wir zu Buddewitz’ Bruder.»

      Gery legte die Kassette in das Abspielgerät und drückte auf den Startknopf.

      «Mach ein bisschen lauter!», forderte Bert ihn auf.

      «Okay», brummte Gery, bevor er den Lautstärkeregler bis kurz vor den Anschlag drehte.

      Die Gitarre schrammelte auf einen ewig langen Trommelwirbel ein Intro, zu dem eine gepresste Stimmte im Takt immer wieder «Tick tock / Tick tock» aufsagte. Die erste Strophe folgte. «I’m not disconnected / I’m not unaware / I’m in one place at one time / I’m neither here nor there», sang der Frontmann mit exaltierter Stimme.

      «Das fetzt!», rief Gery.

      «Sag ich doch!», rief Bert zurück. Er sammelte Wein- und Schnapsflaschen zusammen und gab sich Mühe, das Glas im Takt in den Pappkarton zu werfen. Typisch Schlagzeuger. Manchmal lag er einen Moment daneben. Typisch Bert.

      Gery schlurfte zur Tür. Die Garage im Garten hinter dem Haus von Bert und dessen Mutter in der Tempelhofer Fliegersiedlung diente ihnen als Proberaum, und hier wollte Gery mit Bert ein Studio einrichten. Ein paar Songs hatten sie sogar schon aufgenommen. Doch derzeit versank der Raum im Müll. Nach den Proben hatte niemand Lust, noch aufzuräumen. Also schnappte sich Gery nun den Mülleimer und ging zum Gitarrenverstärker. Dort türmte sich ein Mount Everest aus erkalteten Zigarettenstummeln in einem Aschenbecher. Vorsichtig hob Gery das Gefäß an und entleerte es in den Eimer. Ein bisschen Asche rieselte neben den Kübel. Gery stellte den Aschenbecher zurück auf den Verstärker und schaute sich um. In einer Ecke standen Unmengen an Bierflaschen, über den Flaschenhälsen lagen mehrere Stoffbeutel. Gery ging darauf zu.

      Das Lied war inzwischen beim Refrain angekommen: «Now my mind keeps time like clockwork / And I think in sync like clockwork.» Dem Sänger gelang es, die Worte im Stakkato zu rufen und dabei trotzdem eine Melodie auf den hektischen Rhythmus zu zaubern. Gery ertappe sich dabei, wie er leise mitsang. Er bückte sich und tastete die Beutel ab. Einer fühlte sich klamm an, doch der nächste schien Gery trocken genug, um ihn als Staubtuch zu benutzen.

      «Gibste mir mal ’n Bier?», rief Bert ihm zu.

      Gery schaute über die Flaschensammlung und entdeckte tatsächlich ein paar verschlossene. Er schnappte sich zwei. Mit dem Bier und dem trockenen Beutel tappte er zu Bert.

      Der zückte einen Drumstick aus der Hosentasche und öffnete damit die erste Flasche. Der Schaum spritzte über Berts T-Shirt. In besseren Zeiten musste der gesamte Stoff einmal so schwarz gewesen sein wie die Stellen, die nun nass wurden. Das Bier sprudelte bis auf den Teppich.

      «Mist!», sagte Gery.

      «Ist gut fürs Raumklima!» Bert grinste. Er stellte die Flasche ab und öffnete die zweite. Das gelang ihm ohne Spritzen.

      Gery nahm die Flasche entgegen. «Welche Band ist das denn?» Er zeigte mit dem Bier in der Hand auf das Kassettendeck.

      «The Boomtown Rats. Eine neue Platte, die gerade erst rausgekommen ist.» Bert klang wie ein Verkäufer auf dem Wochenmarkt.

      «Cool!»

      Bert grinste und begann, die auf dem Boden herumliegenden Kabel aufzuwickeln.

      Der Song endete mit dem Klingeln eines Weckers, und sogleich donnerte das nächste Stück los. Zu wildem Getrommel und einer Schrammelgitarre klimperte ein Klavier. Gery gefiel dieser fiebrige Glamrock. Er wandte sich seinem Bassverstärker zu und wischte die Armatur mit dem Stoffbeutel sauber. Dann nahm er einen Schluck vom Bier und machte beim Mischpult für die Gesangsboxen weiter. Das Teil hatten sie aus mehreren defekten Geräten selbst zusammengebaut. Der Lappen blieb an einem Kanal hängen. Die Abdeckung aus Aluminium löste sich. Gery hob den Metallstreifen an. Die Bauteile steckten in den dafür vorgesehenen Löchern, doch sie waren noch nicht mit der Elektronik im Innern verbunden. Eine gute Gelegenheit für eine Reparatur, fand Gery. Er holte Lötzinn, Lötfett und einige Drähte aus der Schublade im Tisch unter dem Pult. Doch das Wichtigste fand er nicht.

      «Wo ist denn der Lötkolben?», fragte er Bert.

      «In der Schublade», antwortete Bert, ohne von seinem Kabelsalat aufzublicken.

      «Nein, ist er nicht.»

      «Wieso nicht?»

      «Woher soll ich das wissen?», fragte Gery genervt. Er legte