Abendstille
Lobgedicht auf den alten Feldberg
Vorausgedanken
Jeder Wanderung, die du beginnen möchtest, gehen Gedanken voraus. Selbstverständlich plant der Wanderer oder Reisende den Weg, für den er sich entschieden hat, nicht bis ins Detail. Charakter, Temperament, Erfahrungen, die Art der Unternehmung und vieles andere bestimmen, woran der Unternehmungslustige denken wird, bevor er zu einer „Fahrt“ startet. Überlegen wird er meist, ob er als Alleinwanderer, zu zweit oder in einer Gruppe unterwegs sein will. Wie auch immer: Einer Wanderung gehen immer Gedanken voraus. Ob man sie sorgfältig plant oder „ins Blaue hinein“ startet. Ist das nicht auch so mit den Lebenswegen, die man gehen will?
2012 erlebten wir das wieder einmal, meine Frau Anne und ich. Sie ist vom Beginn unseres gemeinsamen Lebensweges an auch meine Liebste Wandergefährtin. Ich, dessen bin ich mir gewiss, ihr Liebster Wandergefährte. Viele interessante Touren auf den Fahrrädern und zu Fuß erlebten wir zusammen. Darunter anstrengende und manchmal auch abenteuerliche Langstreckenwanderungen. Sie führten uns zum Beispiel rund um Finnland und bis hinter den Polarkreis. Die gesamte Küste Irlands radelten wir. Eine Tour führte uns von Berlin bis an die französische Mittelmeerküste, am Atlantik entlang bis in die Bretagne und wieder zurück an die Spree. In einem Ritt „Rund um Deutschland“ radelten wir, wanderten zu Fuß die gesamte „Romantische Straße“ von Würzburg bis nach Füssen und …
2012 sollte es also wieder „auf Fahrt gehen“. Den Schwarzwald wollten wir uns erwandern. Auf Schusters Rappen und mit den Rucksäcken „am Mann“ bzw. „an der Frau“. 148 Lebensjahre würden wir zum Startzeitpunkt zusammen zählen. Auch deshalb mussten wir vor dem Start vieles bedenken, uns eben viele Vorausgedanken machen.
Tagebuch?
Bei den Vorbereitungsüberlegungen war auch diesmal zu entscheiden, ob ich wiederum ein Wandertagebuch führen sollte oder nicht. Vor- und Nachteile wurden abgewogen. Ich entschloss mich: Diesmal wollte ich kein Tagebuch führen! So wie ich es auf früheren Wanderungen immer getan hatte. Nein, diesmal nicht! Die Tour würde besonders anspruchsvoll werden. Dem Druck, mich nach den Anstrengungen bewältigter Kilometer noch an die Schreibarbeit machen zu müssen, wollte ich mich nicht wieder aussetzen. In Ruhe wollte ich mein verdientes Abendbier trinken!
Aber es kam, wie es kommen musste. Am Abend des zweiten Wandertages passierte es. Unwiderstehlich zog es mich vor der wohlverdienten Nachtruhe doch wieder hin zum Aufschreiben dessen, was wir erlebt hatten. Uns Aufschreibern ist es vielleicht fast wie eine Sucht, mit dem geschriebenen Wort Erlebtes festzuhalten.
Erlebtes soll sich nicht verleben.
Durch das Aufschreiben, meine ich, verwurzelt sich Vergangenes und Geschehenes besser in Herz und Verstand, trägt dort reichere Früchte. Es hilft, Erinnerungen zu bewahren.
Also: doch wieder ein Tagebuch? Ich entschied mich bescheidener für ein Merkbuch. In Form von Notizen wollte ich Bemerkenswertes und Merkenswertes festhalten über eine Wanderung durch den Schwarzwald, über seine Berge und durch seine Täler. Eine Herausforderung für den Körper und die Seele. Und eben auch eine Herausforderung an meinen Schreibfleiß.
Ausgerechnet der Schwarzwald?
„Was wollt ihr denn da oben im letzten Zipfel der Republik – im Schwarzwald?“ So die sehr erstaunte Nachfrage des Freundes, als ich seine erste Frage, wohin wir denn in diesem Jahr wandern würden, beantwortet hatte.
Er kommentierte weiter: „Da wohnt doch das mürrische und maulfaule Bergvolk. Und die Frauen tragen so komische Hüte mit Bommeln drauf. Nee, die Schwarzwälder sollen keine angenehmen Zeitgenossen sein! Die wissen immer über alles Bescheid und wollen immer Recht haben!“
Zugegeben: Vor unserer Wanderung war auch ich nicht ganz vorstellungs- und denkfrei von Klischees über die Schwarzwälder. Vor Augen hatte ich dabei vor allem: Kuckucksuhren, Kirschtorte und die Bollenhüte. Die meinte unser Freund, als er über die Bommeln auf den Frauenhüten berichtete.
Vorweggenommen: Kuckucksuhren haben wir während unserer Wanderung viele gehört, Kirschtorte haben wir verkostet und Bollenhüte im Original und als Souvenir oft gesehen.
Auf manches andere, was der Schwarzwälder Art zugerechnet wird, sind wir nicht gestoßen. Vor allem auf Maulfaulheit trafen wir bei den Schwarzwäldern wahrlich nicht. Im Gegenteil! Da hörte ich bei unseren Begegnungen mit den Vertretern dieses Bergvolks so manche flinke Zunge, die selbst mich wortschnellen Berliner das eine oder andere Mal überraschte.
Und noch etwas zugegeben: Die Schwarzwälder und das Schwarzwälderische haben so ihre ganz besonderen Eigenarten. Wir erfuhren es während unserer langen Wanderung immer wieder. Sie zu erschließen und zu verstehen, das fällt dem Nichtschwarzwälder und auch dem Wandererfahrenen oft schwer. Wenn ich da nur an diese uns seltsam anmutenden Bollenhüte denke. Es dauerte seine Wanderzeit, und einiges Nachfragen war notwendig, um herauszufinden, was es mit diesen Kopfbedeckungen der Schwarzwälder Frauen und Mädchen auf sich hat.
Im Kinzigtal wurden wir umfassend fündig. Wir besuchten im Ort Haslach das Schwarzwälder Trachtenmuseum und erfuhren dort unter anderem: Der Hut mit den Bollen wurde seit Mitte des 18. Jahrhunderts in drei Dörfern des Tals als regionales Erkennungszeichen getragen. Wie das mit modischen Dingen so manchmal ist, verbreitete sich diese Mode. Der Hut entwickelte sich zum Symbol für den gesamten Schwarzwald. Vierzehn Stück von diesen Wollkugeln trägt Frau oder Mädchen auf dem Hut bzw. dem Kopf.
Rote Bollen zeigen an, dass die Trägerin des Hutes unverheiratet ist, verheiratete Frauen schmücken ihre Hüte mit schwarzen Bollen. Vierzehn Bollen – da kann der Hut schon bis zu zwei Kilogramm schwer werden. Unter dem Hut wird eine seidene Haube getragen. Sie wird mit zwei breiten langen Bändern unter dem Kinn festgebunden. Kleine Mädchen vor ihrer Konfirmation sowie alte Frauen tragen nur diese Haube. Und das Ganze ist auf bzw. an einem weißgekalkten breitkrempigen Strohhut befestigt.
So besonders –