Wieder heimgekehrt, zehrte ich von meinen schönen Erinnerungen. Nach einigen Monaten meldete sich ein Pfarrer, den ich in der Karibik kennengelernt hatte. Überraschend bot er mir eine Stelle in einem Landwirtschaftsprojekt an, das ich begleiten sollte. Ohne zu zögern sagte ich zu, obwohl ich bis dato von Ackerbau kaum Ahnung hatte. Aber ich spürte, dass dieses Angebot eine Chance für etwas Neues sein könnte. Vielleicht war das mein Rettungsanker. Ich suchte nach Möglichkeiten nach St. Kitts für das Projekt entsandt zu werden. Eineinhalb Jahre später war es soweit, die Wiener Erzdiözese und die österreichische Organisation Horizont 3000 waren bereit, mich als Entwicklungshelferin für zwei Jahre zu finanzieren und so ließ ich mich vom diplomatischen Dienst beurlauben.
Ich spürte Widerstand gegen meinen Neustart auf der Karibikinsel St. Kitts. Freunde und Familie meinten damals, meine Sicherheit so aufzugeben sei fahrlässig. Heute, fünf Jahre später, reden die meisten nicht mehr so überzeugt von Sicherheit angesichts der Finanzkrise in Europa. Meine Kinder waren damals zwar schon erwachsen, so erwachsen wie man mit 18, 20 und 22 Jahren sein kann. Aber zum ersten Mal blieb ihre Mami richtig weit weg von ihnen. Sie hatten Angst, dass ich sie im Stich lasse. Doch ich wusste, sie würden auf eigenen Beinen stehen können. Ich musste mein Leben in die Hand nehmen. Für mich um zu heilen.
Was ich völlig unterschätzt hatte, war die körperliche Herausforderung bei dem Landwirtschaftsprojekt, das ich gemeinsam mit der Regierung von St. Kitts und der Kirche organisierte, damit jugendliche Arbeitslose von Experten geschult würden, um eine Perspektive für ihr eigenes Leben zu bekommen. Die Menschen waren freundlich, doch allmählich verstand ich ihre Sorgen und die bitteren Konsequenzen der Armut in ihrem Leben. Tropische Temperaturen und die ungewohnt harte Arbeit auf dem Feld setzten mir zu. Stundenlang pflanzte ich bei sengender Hitze Stecklinge. Aufgeben kam mir nicht in den Sinn. Ich biss die Zähne zusammen, machte Pausen, trank Wasser, aß Salziges. Ich sah es als Fitnesstraining und lernte dabei viel über tropische Landwirtschaft.
Eines Tages traf ich Kwando wieder. Im Bus war der einzige freie Platz neben ihm. Wir kamen ins Gespräch, er bot an, mich zu besuchen, brachte mir Honig in einer alten Rumflasche, half mir mit dem Projekt. Ich war fasziniert von seiner Andersartigkeit. Seiner Intelligenz. Seinem ehrlichen Interesse an mir. Da begegneten sich zwei Menschen, wie sie unterschiedlicher nicht sein können. Ich, die verkopfte Karrierefrau. Und er, den sie auf der Insel nur den »Honigmann« nennen, weil er als Imker arbeitet und die Nester wilder Bienen umsiedelt. Er vertraute mir, der Frau aus einer anderen Welt, sprach über seinen Glauben und seine spirituellen Erfahrungen mit mir. Stellt mich seiner Mutter vor. Wollte alles mit mir teilen, was er besaß. Er nahm sich sogar vor, mir eine Kuh zu schenken, wenn er einmal genug Geld habe. So eine Großzügigkeit hatte ich vorher noch nicht erlebt. Doch sein Bedürfnis nach Nähe überforderte mich, die aus einer kalten einsamen Welt kam. So begann ich zu schreiben. Ich musste unsere Liebesgeschichte niederschreiben, um zu begreifen, dass Kwando und ich trotz aller Gegensätze uns wie durch ein unsichtbares Band miteinander
verbunden fühlten. Kwando musste erst lernen, dass ich ihn liebe, auch wenn ich nicht rund um die Uhr bei ihm sein konnte. Ebenso lernte ich von ihm, mich wieder zu öffnen und meine weiche Seite zuzulassen. Das Schreiben half mir tatsächlich, unsere Beziehung zu verstehen, bis ich soweit war, meinen autobiografischen Roman »Honigmann« zu publizieren, um anderen Menschen Mut zur Veränderung und Hoffnung in die Liebe zu geben.
Kwando, der Honigmann und ich sind aus unseren Krisen gewachsen. Seit zwei Jahren führen wir gemeinsam ein Projekt auf seiner Farm. Auf der Insel herrscht eine Affenplage. An die 100.000 Grünmeerkatzen zerstören jede essbare Ernte. Während ausländische und lokale Experten nach Wegen suchen, die Affen zu dezimieren, bauen Kwando und ich in unserem Projekt experimentell Nutzpflanzen an, die die Affen in Ruhe lassen. Kwando will keinem Tier auf seinem Farmgrund schaden, denn als Rasta und Vegetarier hat er eine besondere Beziehung zu Tieren. Schließlich nennen sie ihn ja auf der Insel den Honigmann, weil er so gut mit Bienen umgehen kann. Mit der Hilfe internationaler Freiwilliger, die sich bei uns melden, binden wir einheimische Farmer und Jugendliche in die Arbeit ein, damit sie später einmal die Farmen ihrer Eltern übernehmen können. Heilpflanzen, wie Ingwer und Pfefferminze züchten wir für den Verkauf. Zudem haben wir Drahtkäfige für Gemüse errichtet, um es vor den Affen zu schützen. Kwandos Esel haben für ihn als Amputierten eine wesentliche Bedeutung bei der Verrichtung der Farmarbeit; zudem halten die Esel das invasive Guineagras in Schach und liefern Dung für unser Biogemüse. Sie sind wunderbare Wesen unsere Esel. Mit ihnen hielten wir auch ein Sommercamp für behinderte Kinder auf der Farm, eine Initiative, die wir im Juli dieses Jahres (2013) mit einer österreichischen Tiertherapeutin wiederholen werden.
Ich bin weiterhin vom diplomatischen Dienst beurlaubt, verdiene umgerechnet etwa 500 Euro im Monat, also viel weniger als in meinem alten Leben. Bereut habe ich meine Entscheidung nie, trotz der Widrigkeiten. Ich habe das kreative Schreiben entdeckt, »Honigmann« publiziert. Ich habe durch Kwando, der tief in seinem christlichen Glauben verankert ist, sich zum spirituellen Heiler ausbilden ließ, einen neuen Weg zu meinem alten Glauben gefunden.
Manche bezeichnen mich als Aussteigerin, doch bin ich nicht ausgestiegen oder abgehauen, viel eher erlebe ich Begegnungen mit Menschen in Europa oder in St. Kitts intensiver als je zuvor. Durch die Öffentlichkeitswirkung meines Buches »Honigmann« melden sich Freiwillige, Gäste, die uns in St. Kitts besuchen. Heute lebe ich ehrlicher, bin in offenherzigerem Kontakt mit Menschen. Und geben wir es doch zu, mit den heutigen Möglichkeiten ist die Welt ein Dorf geworden. Ich bin dankbar, dass ich in St. Kitts weilen kann. So ernte ich, umgeben von Eseln und Pferden, Ingwer oder Minze auf der Farm mit Kwando, unseren Mitarbeitern und den Jugendlichen. Mit meinen Kindern habe ich eine tiefe Verbindung, wir skypen fast täglich und ich fliege mehrmals im Jahr zu ihnen. Doch mein Platz ist jetzt hier, mit Kwando, dem Honigmann.
Elisabeth Karamat
Den spannenden autobiografischen Roman »Honigmann« (erschienen bei Bastei-Lübbe) gibt es im Internet oder jeder Buchhandlung.
Der Prozess, es endlich zu wagen
Leon Schulz, Autor des Buches »Sabbatical auf See«, möchte alle Gleichgesinnten ermutigen, ihre vage Zukunftsvision vom Ausstieg auf Zeit in Realität zu verwandeln
© Leon Schulz
Es konnten unzählige Gründe aufgezählt werden, warum gerade wir ein Sabbatical auf See niemals in die Tat umsetzen würden. Ich pflegte mit Ehrfurcht Segelbücher zu verschlingen, die von all den anderen Glücklichen handelten, die es geschafft hatten, ihre Träume zu verwirklichen. Wir hatten keine Erfahrung im Blauwassersegeln und zudem einen attraktiven Arbeitsplatz als Ingenieure und Kinder, die zur Schule mussten. Wir zweifelten, ob wir es uns überhaupt leisten könnten, ein ganzes Jahr ohne finanzielle Einnahmen auszukommen. Viele gute Gründe dort zu bleiben, wo man sitzt, oder? Aber nachdem wir wieder einmal einen Vortrag von einer echten Blauwasserseglerin gehört hatten, ging ich am Ende des Referates zu ihr und sagte, dass wir auch so gerne das machen würden, wovon sie gerade erzählt hatte. »Na, dann tu’s doch!«, antwortete sie forsch. Ich dachte, sie hätte mich nicht verstanden. Damals war ich noch davon überzeugt, dass ich mein so sorgsam geregeltes Leben weder verändern dürfe noch könne. Wie engstirnig ich doch war! Heute weiß ich: Was man wirklich will, das kann man auch und sollte es tun! Daher warne ich meine Leser: Falls Sie mein Buch »Sabbatical auf See« lesen, tun Sie dies auf eigene Verantwortung! Es könnte sein, dass auch Sie vom Fernweh angesteckt werden, Ihre Chancen sehen und plötzlich den Entschluss fassen, ebenfalls die Leinen loszulassen. Auf jeden Fall würden wir