Nachmittags habe ich Gelegenheit zum Gespräch mit den beiden Seelsorgern. Gespräche spielen eine wichtige Rolle, wenn Menschen sich mit dem eigenen Ich beschäftigen. Seelsorge als Fürsorge für die Seele, für die eigenen Bedürfnisse. Die beiden Seelsorger im Kloster leben im tiefen Glauben, dass alles seinen Platz hat, alles gut ist, wie es ist. Ich empfinde dieses offene »willkommen Sein« als sehr wohltuend und befreiend. »Ich darf sein, wie ich bin. Und das ist gut so«. Erkenntnis des Tages: Toleranz ist oft dort, wo ich sie nicht erwarte. Erschöpft von den neuen Eindrücken schlafe ich abends zum Geläute der Kuhglocken schnell ein.
Am nächsten Morgen wird meditativer Tanz angeboten. Ich bin eher skeptisch, ob ich mich mit dieser ganzheitlichsten Form des Betens identifizieren kann. Aber Versuch macht klug, und so stehe ich nach dem Frühstück im Aufenthaltsraum und bin gespannt, was mich erwartet. Der Tanz startet mit einer indianischen Weise und zieht mich sofort in seinen Bann. Zu den fremden Klängen brauchen wir uns nur wenige ganz natürliche Schritte und Bewegungen zu merken, wir fließen mit im natürlichen Rhythmus der Musik. Oder ist es mein eigener Rhythmus, der sich mir als ganz natürlich darstellt? Die nachfolgenden Lieder sind quer Beet aus der Populärmusik, anderen Religionen und Kulturen entliehen. Der Zugang dazu fällt mir deutlich schwerer. Die Erkenntnis der Stunde: mein eigener Rhythmus ist der indianischen Weise am nächsten. Und wieder die Frage: Wie bin ich?
Passend dazu gehe ich zur nächsten Meditation, diesmal mit dem Impuls »Gott gibt den Erschöpften Kraft und den Kraftlosen Stärke« und dem Thema »ich bin müde«. Wieder verspüre ich einen inneren Widerstand. Doch dann zeigt der Seelsorger ein Bild mit einem Säckchen Kartoffeln. Und die Gedanken beginnen zu wirbeln, zu toben. Jeder Mensch trägt ein Säckchen Kartoffeln mit sich herum. Die einen tragen 2 kg kleiner, runder Kartoffeln, die kaum beim Tragen stören. Andere tragen auch einen Sack mit 2 kg, aber darin sind wenige, dafür größere und sperrige Kartoffeln, die beim Tragen deutlich drücken. Manch einer hat mit einem kleinen Säckchen Kartoffeln angefangen und trägt inzwischen einen Zentner Kartoffeln mit sich herum. Jeden Tag. Und ein Zentner Kartoffeln ist auf Dauer zu schwer, selbst, wenn es kleine, runde Kartoffeln sind. Die Kartoffel als Sinnbild des Lebens …. Ich gehe nach der Meditation eine halbe Stunde spazieren und die Kartoffeln haben meine Gedanken weiterhin fest im Griff: jede Kartoffel ist unterschiedlich. Selbst gleiche Sorten haben bei gleichem Gewicht unterschiedliche Formen und Maserungen. Weiß ich eigentlich, welche und wie viele Kartoffeln ich so trage, Tag für Tag? Wann habe ich zum letzten Mal das Säckchen abgenommen, jede einzelne Kartoffel heraus genommen und mich gefragt, wie schwer jede einzelne ist, und ob mich diese oder jene Kartoffel besonders drückt? »Im letzten Urlaub« kommt mir spontan in den Sinn. »Da habe ich das Säckchen einfach daheim gelassen«. Kein Wunder, dass die Erholung nicht lange anhält, wenn ich nach dem Urlaub den Sack wieder schultere und weiter mache wie vorher. Erkenntnis des Tages: Urlaub heißt, Säckchen daheim lassen. Auszeit heißt, sich mit den Kartoffeln zu beschäftigen. Kartoffeln aussortieren. Anders weitermachen als vorher. Mit weniger Last oder einer besseren Verteilung.
Mittags wartet leider schon der gelbe Postbus auf mich und ich nähere mich wieder meinem Alltag. Erkenntnis der kurzen Kloster-Auszeit: Ich brauche einen gewissen Rahmen und Impulse, um meine Gedanken anzustoßen. Zwei Tage sind zu kurz. Auch Reibung schafft Bewegung. Daher: auf ein Wiedersehen, Kloster Rickenbach!
Daniela Scholl
Mönch auf Zeit
In Asien nimmt sich Erik (40) immer wieder Auszeiten vom hektischen Alltag. Auf einer buddhistischen Klosterinsel hat der Psychologe sein persönliches Refugium gefunden, in das er regelmäßig zurückkehrt
Ausgelöst wurde mein Interesse an Meditationstechniken und Buddhismus durch ein autogenes Training, bei dem ich als Führungskraft in einer Sparkasse mitmachte. Sobald ich meine Augen schloss, spürte ich, dass etwas mit mir passierte. Am Ende lösten die Entspannungsübungen ein Gefühl von innerer Sicherheit und Ruhe aus. Einige Zeit verbrachte ich in einem Schweigekloster im Allgäu und fühlte mich während des stundenlangen Sitzens, als würde ein Vulkan in meinem Inneren ausbrechen. Ich wollte wissen, was für enorme Kräfte da in mir schlummerten und meldete mich zu einem buddhistischen Vipassana-Kurs an. Bei dieser Meditationstechnik wird die Achtsamkeit oder klare Sicht auf die Dinge geschult. Kontinuierliche Selbstbeobachtung beruhigt den Geist.
Meditation erzeugt ein Gefühl von Freiheit, das wurde mir immer klarer. Im Frühjahr 2005 nahm ich mir dann ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub und brach nach Asien auf. Im Südwesten Sri Lankas entdeckte ich einen völlig abgeschiedenen Ort, an dem ich meine Meditationspraxis vertiefen konnte. Polgasduwa Island ist eine Klosterinsel, auf der nur buddhistische Mönche leben.
Als Klosterschüler nahm ich am normalen Tagesablauf der Mönche teil. Der Tag beginnt sehr früh, zwischen 5 und 5.30 Uhr stehen alle auf und meditieren. Frühstückszeit ist um 6 Uhr. Bereits um 11.30 Uhr gibt es Mittag, nach 12 Uhr wird nichts mehr gegessen. Da buddhistische Mönche keine materiellen Güter besitzen dürfen, spenden Dorfbewohner die Lebensmittel. Denen bereitet es große Freude, den Mönchen etwas geben zu dürfen. Eine interessante Erfahrung, denn für einen Europäer wäre es ja eher eine Schande, um essen zu betteln. Die meiste Zeit verbringen die Mönche mit Meditation und dem Studium buddhistischer Texte. Abends versammeln sie sich noch zu einer Gruppenmeditation mit Sprechgesängen. Danach geht jeder in sein Kuti, so heißen die Mönchsklausen.
Ich hatte keine Schwierigkeiten mich an das Leben als Mönch zu gewöhnen, denn ich glaube der Mensch braucht feste Regeln. Auf dem Weg zu größerer innerer Freiheit geben sie nur den äußeren Rahmen vor. Das hat meines Wissens Buddha schon gesagt. Ich habe gesehen, dass die Mönche diese Regeln befolgen und ihren Mitmenschen mit sehr viel Wertschätzung begegnen. Das hat mich von Anfang an beeindruckt und hatte Vorbildcharakter. Natürlich hatte ich abends manchmal Hunger. Aber ich wollte mich ja von Konditionierungen, zu denen auch das Essen gehört, lösen und habe das Magenknurren dann einfach aus meiner meditativen Distanz beobachtet.
Sechs Wochen verbrachte ich auf der Klosterinsel. Ursprünglich wollte ich länger bleiben, aber ich musste anderen Gästen Platz machen, denn das Kloster will möglichst vielen Menschen den Aufenthalt als Mönch auf Zeit ermöglichen. Daher reiste ich weiter nach Thailand. Dort belegte ich einen Tai Chi-Kurs und befasste mich weiter mit Meditation. Im Laufe der vergangenen Jahre bin ich dann noch ein paar Mal nach Sri Lanka zurückgekehrt, zuletzt im Februar 2011.
Abgeschiedenheit und Einkehr haben mein Leben nachhaltig verändert. Ich habe gelernt, nicht mehr so schnell Groll gegen Menschen zu hegen, die mich unfreundlich behandeln oder abweisend auf mich wirken. Wer respektvoll zu seinen Mitmenschen ist, bekommt Achtung und Wertschätzung zurück. Durch die regelmäßige Meditation bin ich aber vor allem zu der Erkenntnis gelangt, dass man wahre Befriedigung nicht durch äußere Faktoren wie beispielsweise Geld und materielle Dinge erlangt. Nur das eigene Denken führt zu innerem Frieden. Das stille Klosterleben bildet einen Gegenpol zum geschäftigen Treiben, an das wir im Westen so gewöhnt sind. Man konzentriert sich auf das Sein im Hier und Jetzt.
Durch die Meditationserfahrungen bin ich ausgeglichener geworden und habe Kraft gewonnen für die täglichen Widrigkeiten. Andererseits habe ich irgendwann erkannt, dass sich meine damalige Arbeit nicht mit meinen veränderten Werten vereinbaren ließ. Daher habe ich gekündigt und Psychologie studiert. Nun arbeite ich als selbstständiger Trainer und Coach für Personalentwicklungsthemen. Ich sehe diesen Wandel sehr positiv, denn die Meditation hat mir Auswege aus Abhängigkeit und Fremdbestimmung gezeigt. Mein Mut und meine innere Stärke sind gewachsen, während meine materiellen Ansprüche geschrumpft sind.
Natürlich möchte ich irgendwann gern wieder zu den Mönchen. Die Abgeschiedenheit und Stille sind der ideale Ort, sich auf sich selbst zu besinnen. Auf der anderen Seite gibt es auch in Deutschland immer mehr Möglichkeiten sich zurückzuziehen. Deswegen plane ich eigene Retreats, die losgelöst von einer Tradition und Lehrern sind.
Das auf einer Laguneninsel errichtete Kloster