Markus Blume führt dich durch die Zeit. Lüerß Werner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Lüerß Werner
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783943583922
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des Lebens. Es war gut, meine Fehler einfach erzählen zu können, ohne Wenn und Aber. Mehr als auf die Schnauze kriegen war bei ihm nicht möglich. Discofieber-Dieter war seinem Motto treu geblieben: Lachen hilft! Er bot mir schließlich an, bei ihm zu arbeiten – Bingo!

      Es war eine schwere Zeit der Umgewöhnung. Einen neuen Job einfach nur ausüben ist es nicht; du musst ihn spüren und annehmen, nur dann wird etwas daraus. Ich wollte und konnte es – sechs Wochen Schnellkurs Löten und Schweißen, ich war ein Naturtalent! Die Lötspitze „6 - 9“ wurde mein Liebling, schnelle Bewegungen erlaubten mir viel. Ich war glücklich, nicht versagt zu haben. Für Markus und seine Seele ein Neubeginn.

      In der Heinrich-Müller-Straße wuchs ein Neubau empor – meine erste Bewährungsprobe. Ich zauderte, Disco-Dieter nicht. Im Bauwagen ging es fröhlich zu und ausgelassen. Ich fühlte mich gut. Meine Ausgeglichenheit war zurück. Mein Prinz und auch Erika fühlten es. Ich auch. Lebenslust war mein Begleiter, lachend ging ich meinem Tag entgegen. Gute Erfahrungen soll man spüren und leben! Markus? Bist du noch bei mir? Ja doch. Du hast dich in der letzten Zeit so richtig wichtig gemacht. Ich wollte dich nicht stören, ich war nur begeistert. Veränderungen sind eine geile Sache. He, du bist ja gut drauf! Na, klar doch.

      *

      Montag unterschrieb ich meinen Arbeitsvertrag bei der Firma Peugaß. Ich als Schweißer – welche Veränderungen die Wege des Lebens machen können! Dieter stellte mir meinen Arbeitsort vor, einen großen Komplex.

      „Hier entsteht etwas Neues für unsere Alten – für unsere Senioren, meine ich. Mal reingucken?“

      „Klar, mach auf.“

      Eine Tür zum Untergrund öffnete sich: Dunkelheit, spartanische Beleuchtung, Kriechkeller. Höhe: ganze 90 cm. Mein neues Arbeitsgebiet. Besprechungen an der Öffnung zur Unterwelt. Schock, Klaustrophobie, weiche Knie. Der Boden unter mir öffnete sich. Ich lächelte Dieter an.

      „Ich dachte …“

      „Dieter, meine Angst verstehst du nicht. Ich lächle aus Verzweiflung, nicht aus Freude!“

      Eintauchen in eine unbekannte Welt: Rohrleitungen aus Kupfer, glänzend, kilometerlang, in verschiedenen Dicken, 15 mm bis 110 mm, durch Absperrventile unterbrochen, ungelötet. Na, mal sehen.

      Tage im Reich der Unterwelt erwarteten mich.

      „Montag in einer Woche fängst du hier an, Markus. Atze und Sauerstoffflaschen sind bestellt, nebst Schläuchen und Brenner.“

      Ich nickte ihm zu. Aber ich fühlte Angst.

      *

      In der Nacht fingen die Alpträume an. Schweißnass wanderte ich durch unbekannte Räume, öffnete Türen, wanderte über nächtliche Treppen. Was ist es, was du suchst, Markus? Angstgeräusche erfüllten meine Seele. Was suchst du? Hör auf, mich mit deinen Fragen zu martern, ich kann nicht mehr!

      Nasser Schlafanzug, kalter Körper. Prinz blinzelte mich an mit müden Augen.

       „Komm, leg dich schlafen alter Knabe, mein innerer Schweinehund hatte genug!“

      Ich hörte Worte – diese verstehen? Nein, nicht wirklich! Markus ist wieder auf seinem alten, schlimmen Trip. Drogenähnlich. Nein. Noch schlimmer.

      *

      Ein müder Samstag. Der Dezember war da. Verdammt warm draußen, Sonne, kein Regen, Südwestwind, leichte Brise. Tannenrauschen vor dem Haus.

      „Guten Morgen, Prinz!“

      Er wollte raus, ich nicht. Ich öffnete schlaftrunken die Hintertür zum 2000-Quadratmeter-Garten, Prinz tobte sich aus. Ich fühlte mich noch nicht danach, er war eben etwas verrückt. Kaffee am Tisch ist immer toll, den Blick in die Sonnenwelt gerichtet. Plötzlich war wieder Ruhe, stille in mir. Seltsam, Markus. Findest du? Ich führte meine Seele aus im friedlichen Zwiegespräch. Kein Streit, wie so oft. Wollen wir die Fenster weihnachtlich schmücken? Willst du? Schon, ein wenig. Na, dann los.

      Ich holte die Kiste aus dem Keller, schmückte die Fenster, viel war nicht übriggeblieben, der Umzug hatte in meinem Weihnachtsschmuck gewütet, schade. Der Tag ging schnell dahin, die Nachmittagssonne verschwand im Schatten. Ich ging ins Bett, Stille lag im Raum, es fühlte sich gut an - diese Ruhe.

      Plötzlich riss mich diese helle Stimme aus einer anderen Zeit: Komm. Das ist Sie mit dem roten Haar „Markus – Markus, hilf uns!“ Wer bist Du.

      Herzrasen, Herzpoltern, Schwindel. „Was ist, warum ruft mich jemand, den ich nicht sehen kann? Wo bist du?“

      „Ich bin hier, im Haus!“

      Gedankenkreisen – Kloß im Hals. Schlaf, komm Markus! Nein, ich wollte nicht mit, lasst mich hier, „Ich möchte nicht mehr wandern durch das dunkle Brunnental.

      Verzweifelt wankend verließ ich das Bett, mit wildem Haar rannte ich ins Bad. Kaltes Wasser ergoss sich über mich. Saukalt. Ich schrie mich aus: „Ist mir kalt, furchtbar kalt!“

      Schwankend, dem gefühlten nassen Satan entsprungen, mit einem Badetuch die Kälte aus dem Körper reibend, kehrte langsam Wärme zurück. Plötzlich stand ich am Ende des Flures. Hier gab es noch immer kein Licht.

      Dort, hinter der Rigipswand, war die Tür zu der anderen Welt. Ein Schaudern stieg an mir hoch, Markus lass das, dieser wilde Drang schob alles beiseite!

      Den Arm erhoben, zum Schlag ausholend, sauste diese alte rote Feuer-Axt in die Trennwand. Ich hatte sie vergessen, verdrängt, jene andere Welt! Laut wurde es durch die Hiebe meiner Hände. Ja, gib es frei, weiter so, Markus! Dumpfer alter Kaffeegeruch drang durch die Tür dahinter mir entgegen.

      Ein Haufen Schutt wuchs zu meinen Füßen. Prinz beobachtete mich; er setzte sich am anderen Ende des Flures auf sein Hinterteil.

      Endlich hatte ich ein breites Loch geschlagen. Ein erster Blick durch die Tür, diese alte verräucherte Glasscheibe lag im dunklen Schattenland:

      Dunkelheit. Ach ja, die Scheiben hatte ich seinerzeit ja mit weißer Kreide bestrichen, zum Schutz und gegen die Verwitterung!

      Dunkelheit, ein Druck meiner Hand auf die Tür, knarrendes Geräusch der Scharniere, ungeölt. Ein leerer Raum. Prinz rannte hinein, ich hörte ihn fiepen, er wanderte in seine Vergangenheit – und dann wieder zu mir zurück. Seinem Fiepen folgend, lief ich in diese künstliche Nacht.

      Stolpernd tastete ich mich durch den Raum, fühlte das Fenster. Die Flügel waren kalt, die Scheiben rau von der Kreide. Meine Fingernägel kratzten über das Glas, ein Lichtstrahl des neuen Tages drang hindurch, wurde stärker. Ich kratzte immer weiter, das Licht entfaltete sich, meine Hände schmerzten.

       Hol dir lieber warmes Wasser, Markus, es ist Sonntag! Wenn du so weitermachst, wird dein erster Arbeitstag schmerzhaft! Schau auf deine Finger! Ich will dich nicht immer an alles erinnern müssen!

      Ich schwieg, die Idee war gut. Das heiße Wasser bewirkte Wunder: Der Raum tauchte ins Jetzt. Reinigende Strahlen, staubbehangen das Gewesene. Ich fühlte: Es ist nicht sichtbar, aber da. Im Sonnenlicht an der Tür drehte ich den Schlüssel nach links. Sie öffnete sich nach innen. Ein Windhauch schoss an mir vorbei. Herbstblätter vermischten sich mit Wind.

      Bis zum Mittag schuftete ich, dann hatte ich Hunger.

      Nach dem Essen machte ich mich weiter an die Arbeit: Ein scharfer Besen für das Grobe, Wischwasser für den Staub der Zeit. Ein großer Raum, vierzig Quadratmeter, über mir die Pracht der alten Stuckdecke. Hinter einer Tapetenwand hörte ich ein dumpfes Geräusch. Mit dem Taschenmesser schlitzte ich die Tapete auf – eine verborgene Tür!

      Das Schließblech war nicht mehr da, nur die kleine Öffnung der Klinke war noch zu sehen. Ich zog einen Schraubendreher aus der Werkzeugtasche. Als ich ihn nach rechts drehte, öffnete sich die Tür nicht, aber als ich mich mit der Schulter dagegen warf, sprang sie auf.

      Ein dunkler Raum. Wo führte sie mich hin? Im Licht der Taschenlampe erblickte ich eine seit ewigen Zeiten schlafende Backstube: