Dein innerer Heiler. James McGovern. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: James McGovern
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Медицина
Год издания: 0
isbn: 9783941523753
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Susrutas Buch Sammlung listete über 1.000 Krankheiten und natürliche Heilmittel auf.15

      Susruta gelang es örtliche Führer davon zu überzeugen, dass Sektion und Chirurgie angemessen waren. Er entwickelte viele Arten von Operationsinstrumenten und schrieb Verfahren für verschiedene Operationen vor. Er benutzte erinnerungsfreundliche Namen für die Operationsinstrumente, die auf ihre Form bezogen waren: Adler, Reiher und Löwenkiefer.16 Die Chirurgie konstituierte das Äußerste in der Indischen Medizin und war – ihrem Wesen entsprechend – frei von Spekulation.17 Sie hatte lange Bestand vor der Ankunft anderer Nationen.18 Das System der Chirurgie blieb über Jahrhunderte in Indien auf einem hohen Niveau der Entwicklung. Sie basierte auf kühnem Eingreifen, genauer Diagnose und durchdachter Nachsorge.19

      Aus welchem Grund war die Chirurgie in der Frühzeit Indiens so sorgfältig entwickelt und warum verfiel sie möglicherweise? Obgleich die Chirurgie nur einen kleinen Teil der Gesundheitsfürsorge darstellt, kann die Antwort auf diese beiden Fragen instruktiv für alle Teile der Gesundheitsfürsorge ausfallen. Der Grund, der gewöhnlich für den Erfolg der Chirurgie in den frühen Jahrhunderten genannt wird, lautet, dass Indische Regierungen Verbrecher durch Verstümmelungen bestraften. Daher seien Chirurgen nötig gewesen, um diese Menschen zu reparieren.20 Auf der anderen Seite kann der Grund für den Verfall der Indischen Chirurgie am besten so ausgedrückt werden:

       „Die Indische Medizin besaß einen beeindruckenden Schatz an empirischem Wissen und technischem Können. Sie erreichte die Höhe einer systematisierenden, theoretisierenden Schule des Denkens. Gleichwohl fehlte ihr die Freiheit der individuellen Aktion, die für den Fortschritt der wirklichen Wissenschaft erforderlich ist. Ebenso fehlten ihr unvoreingenommenes Urteil und die Möglichkeit der Kritik, die nicht kurz vor ehrwürdigen Lehren aufhört. In den fremdartigen repressiven kulturellen Bedingungen war es grundlegend, dass der Evolutionsprozess verkürzt wurde und zu einer scholastischen Petrifikation führte.“ 21

      Obgleich dieser Abschnitt die Bedeutung einer angemessen beschreibenden Sprache verdeutlicht, um Verfahren bzw. Instrumente zu differenzieren, besteht die zu notierende Hauptbotschaft darin, dass der Mangel an Freiheit zur Petrifikation führen kann. Insbesondere Vorurteile, das Verbot von Kritik und die Verehrung gegenwärtiger Meinungen sind als Samen der Selbstzerstörung erkannt.

      Die Verbindung von medizinischer Theorie und medizinischer Praxis, die mit Hippokrates begann, wurde als Dogmatismus bekannt.22 Gleichwohl spaltete sich der Dogmatismus in Alexandria in zwei Parteien. Die eine bildete sich bei den Nachfolgern von Erisastratos aus, die ihre Philosophie der Medizin auf anatomische Daten gründeten. Die andere bildete sich unter den Nachfolgern des Herophilos aus, die ihre Philosophie auf klinische Daten gründeten.23

      Keine Partei im Alexandria dieser Zeit war in der Lage, die Denkschulen darüber zu versöhnen, wie der Körper funktioniert und entsprechend die beiden behaupteten Ursachen von Krankheit und Gesundheit zu versöhnen. Mit Claudius Galen erhielt die Medizin einen ‚Zweiten Vater der Medizin‘ und gelangte zu einer Versöhnung von theoretischem und klinischem Wissen, die 18 Jahrhunderte stabil blieb.

      Galen wuchs in Pergamon in Kleinasien auf und studierte am dortigen Asklepeion (bzw. dem Aeskulapischen Tempel), ein Ort der Gesundheit, der viele reisende Patienten anzog. Galen studierte Anatomie und Physiologie in Smyrna, Korinth und Alexandria, bevor er die verwundeten Gladiatoren in Pergamon versorgte. Hier kombinierte er Theorie und Praxis, die Lehren von Erasistratos und Herophilos:24

      „Als Arzt der Gladiatoren war er zumeist als Chirurg tätig. Dabei entwarf er vorgeblich neue [klinische] Methoden (z. B. tränkte er in Fällen ernster Verletzung die Verbände mit Rotwein, um die Entzündung zu vermindern). Doch er achtete scharf auf ähnliche Fälle, die er zu seinem anatomischen und physiologischen Wissen hinzufügen konnte. Er nutzte sorg fältig seine Beobachtung von Athleten, was Ernährung und körperliche Übungen betraf.“25

      Mit anderen Worten bemerkte Galen, dass die Ansätze von Erasistratos und Herophilos nicht in einem kontradiktorischen Verhältnis zueinander standen, sondern in unterschiedlichen Weisen nützlich waren, da sie aus verschiedenen Perspektiven entwickelt worden waren.

      Galens Berufserfolg führte ihn nach Rom als Arzt des Kaisers Mark Aurel. Dabei konnte er fast seine gesamte Zeit darauf verwenden, seine vielen Bücher zu schreiben. Insofern er sein großes theoretisches Wissen in Anatomie und Physiologie mit seinen intensiven klinischen Erfahrungen bei den Gladiatoren kombinierte, drehten sich seine Bücher um die Konzepte von Struktur und Funktion des Körpers:

      „Das harmonische Wirken der organischen Funktionen gibt es jedoch nur, wenn die materielle Struktur normal ist […] Organerkrankungen sind durch Veränderungen der Struktur verursacht […]26„Die Anwendung dieser allgemeinen Ideen auf die Theorie der Gesundheit und Krankheit verlangte […] nach direkter Erforschung der Struktur und Funktionen des menschlichen Körpers.“27

      Galen nahm wie Hippokrates an, dass die vier Körpersäfte verschiedene Typen von Personen hervorbrachten. Er wollte ebenso vorhersagen, was als nächstes geschehen werde, d. h.: es ging um eine genaue Prognose. Gleichwohl führten ihn sein anatomisches Wissen und sein logischer Verstand dazu, eine solide Fundierung für Prognosen zu suchen. Daher begründete er seine Prognose mit der klinischen Diagnose.28 Er lehrte, dass die abschließende Diagnose durch den Ausschluss von Möglichkeiten erreicht werden solle. Auf diese Weise schrieb Galen seine Bücher, indem er die Prognose mit der Diagnose verband. Obgleich er in manchen Einzelheiten falsch lag, schenkte er der Welt eine Philosophie der Gesundheitsfürsorge, die sich als so nützlich erwiesen hat, dass sie bis zu diesem Tag den Hauptansatz der medizinischen Praxis bildet.

      Avicenna forschte in der Bibliothek des Sultans von Bukhara in Persien. Er war ein Arzt von großer Bildung, der Organisationsstrukturen der muslimischen Religion entwickelte, indem er die aristotelische Ethik auf die Lehren des Qur’an (Koran) anwendete. Dies regte einen anderen Arzt, Maimonides aus Cordoba in Spanien an, ähnliche Strukturen bzw. Prinzipien für die jüdische Religion zu entwickeln, wobei er ebenfalls die aristotelische Ethik verwendete. Weiterhin – nachdem das Werk von Maimonides in die lateinische Sprache übersetzt wurde – entwickelte Thomas von Aquin Prinzipien für die christliche Religion, die auf der aristotelischen Ethik basierten. Auf diese Weise besitzen nun drei größere Weltreligionen ein gemeinsames Substrat an ethischen Prinzipien. Können wir ein gemeinsames Substrat an medizinischen Prinzipien besitzen?

      Die Tatsache, dass Avicenna und Maimonides Philosophen und Ärzte waren, sollte nicht überraschen, weil sie beide Galen sehr bewunderten, der zum Studium der Philosophie ermutigte. Ihre philosophische Neigung ermöglichte ihnen, in ihren Büchern medizinische Wirkungen mit Ursachen zu verbinden. Die Verbindung von Ursache und Wirkung wird sich als bedeutsam erweisen.

      Ein weiterer wichtiger Aspekt ihrer Arbeiten besteht darin, dass sie Körper und Seele in ihre medizinischen Überlegungen einbezogen. Maimonides wurde dazu durch seinen Lehrer Averroës gebracht, der ihn ebenfalls über die Werke von Avicenna belehrte. In der Tat enthielt die muslimische Medizin durch ihren Versuch, klinische Wirkungen mit diagnostischen Ursachen zu verbinden, die Anfänge einer allgemeinen Philosophie der Gesundheitsfürsorge.

      Avicennas Mammut-Enzyklopädie Canon medicinae besteht aus fünf Büchern, die nach ihrer Übersetzung in die lateinische Sprache über mehrere Jahrhunderte an christlichen Universitäten der medizinischen Lehre zugrunde lag.29 Allein sein Umfang machte das Werk zur Autorität. Doch dies könnte auch eine weitere Entwicklung verhindert haben. Der Westen musste auf unabhängige Denker wie Leonardo da Vinci († 1519) warten, um die Anatomie des Canons herauszufordern, obgleich viel davon offensichtlich falsch war. Paracelsus († 1544) verbrannte sein Exemplar des Canons öffentlich in Basel. William Harvey stellte 1628 fest, dass der Abschnitt über den Blutkreislauf falsch war. Zur Zeit von Thomas Syndenham († 1689) bezogen sich viele