Stein mit Hörnern. Liselotte Welskopf-Henrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Liselotte Welskopf-Henrich
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Исторические приключения
Год издания: 0
isbn: 9783938305645
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ist ungehobelt. Seine Strafe jetzt wird ihm eine Lehre sein.«

      »Danke für Ihre Auskunft.«

      Crawford kam in Gedanken noch einmal auf Sligh, Krause, das Kind und auf eine Hotelangestellte zurück, die schon im Vorjahr zu Protokoll gegeben hatte, in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober Schüsse gehört zu haben. Wald und Busch waren damals durchsucht worden. Es hatte sich gar nichts gefunden, was in irgendeiner Richtung hätte weiteren Aufschluss geben können, auch keine Patronenhülse oder Patrone.

      Crawford ließ sich Elisha Field kommen.

      Ein kurzbeiniger, flachgesichtiger Mann erschien. Die Augen hatten keinen bestimmbaren Ausdruck. Wasserfarben, schienen sie nur das widerzuspiegeln, was hineinfiel. Hände und Schultern machten den Eindruck von Körperkraft.

      »Sie haben das Gewehr dabei, das Sie am 23. Oktober vorigen Jahres dem Büchsenmacher Krause zur Reparatur gegeben hatten?«

      Crawford sah die Waffe, die Field in der Hand hielt.

      »Ja. Wollen Sie es noch einmal sehen, Sheriff?«

      »Danke, genügt. Wer hat denn die eingravierten Initialen abgeschliffen?«

      »Weiß ich nicht. Danach haben sie mich immer wieder gefragt. Aber ich weiß nichts von Initialen. Irgendwas ist mal rausgekratzt worden, das sieht man, aber was … weiß ich es?«

      »Sie haben die Büchse in New City gekauft?«

      »Die hatt’ ich mir schon in New York gekauft, ehe ich herkam.«

      »Wo?«

      »Die Adresse ist ja bei Ihren Akten. Das ist ein solides Geschäft in New York.«

      »Sie haben es doch nicht nötig, alte Waffen zu kaufen.«

      »Nötig nicht, aber das ist ein vorzügliches Gewehr.«

      »Leo Lee hat ausgesagt, dass er bei Ihnen gewesen ist. Was wollte er von Ihnen?«

      »Mein Gewehr wollte er mir abkaufen. Aber ich hab es nicht hergegeben. Mit Lee lasse ich mich nicht ein.«

      Field log routinemäßig, und er war entschlossen, bei seinen Lügen zu bleiben.

      »Ja, danke, Mr Field. Wie geht denn das Geschäft?«

      »Es macht sich.«

      Crawford ließ das Protokoll abschließen.

      Elisha Field war aus der Vernehmung entlassen.

      Er begab sich zu seiner Gastwirtschaft zurück, ging aber nicht in den Gastraum, sondern ließ sich in seinem kleinen Wohn- und Arbeitszimmer hinter der Schenke nieder, holte die Karteien hervor, die er erst vor kurzem eröffnet hatte, und berechnete die fällig werdenden Steuern des legalen Teils seines Geschäftes. Das war eine Nervenberuhigung, und seine Gedanken irrten dabei nicht ab.

      Erst als die Zwischenbilanz zur Zufriedenheit errechnet war, zog Elisha die Brauen hoch und gab sich dem riskanteren Teil seiner Überlegungen hin, die durch die Vernehmung wieder einmal in Gang gebracht waren.

      Wenn er vor sich selbst zunächst seinen eigenen Charakter bespiegelte als Mittelpunkt und Ausgangspunkt allen weiteren Nachdenkens, so betrachtete er sich nicht ohne Selbstzufriedenheit, ja mit Stolz als einen Spießbürger, zwei Vorzüge vereinend: Unauffälligkeit unter den Durchschnittsbürgern und Unangreifbarkeit des Gefühls aus Mangel an Masse. Er kannte nur zielgerichtete, messbare Empfindungen, mit Ausnahme jener für sein kleines Aquarium mit einigen Zierfischen. In seiner Durchschnittshaltung und Fischkälte übertraf er ohne Zweifel Leonard Lee, den Gangster, der sich, wie die Affäre King bewies, noch immer nicht ganz von Passionen freigemacht hatte. Dieser Mensch hatte auch noch ein Gewehr besessen, altmodisches Instrument, für Lees Gewerbe völlig überholt, selbst als Talisman lächerlich, und im entscheidenden Augenblick hatte er es nicht einmal bei sich gehabt. Elisha Field fühlte sich überlegen. Er blieb aufgrund eigener Verdienste ungeschoren, so erzählte er seinem Ich, das Derartiges gern hörte. Leonard Lee hatte sich aus New City wieder verzogen. Esmeralda O’Connor, die Leo aufgestachelt und ihm geholfen hatte, war vielleicht noch am Leben, vielleicht auch nicht. Elisha wusste es nicht.

      Die beiden jungen Burschen hatten die Gegend wieder verlassen und sich in die große Stadt begeben, aus der sie gekommen und deren Verhältnisse ihnen vertraut waren. In Straßen und Häusern zu arbeiten oder im Busch zu kämpfen war durchaus zweierlei.

      Leonard Lee war einmal ein Ass gewesen; niemand konnte seinen großen Ruf bestreiten, auch nicht Elisha. Doch hatte sich Leo bei seinem letzten Vorhaben nicht mehr als der Bessere gezeigt. Er hatte sich mit seinen Geschäften an Elisha anhängen und King, der ihm im Wege sein konnte, vorweg ausschalten wollen. Leo hatte dabei sich selbst verschätzt. Field hatte sich von ihm täuschen lassen. Der Bessere war nicht Leo. Der Bessere war, so gut wie je durch ein Gottesurteil nachgewiesen, Joe King. Leo hatte seinen verhassten Feind hinrichten wollen; es war ihm missglückt. Elisha hantierte nicht mit dergleichen Gefühlen, auch nicht mit solchen feindlicher Gangs. Die Vergangenheit hatte bei ihm nicht mitzusprechen.

      Vielleicht konnte Elisha in Zukunft Joe einspannen, wenn dieser je wieder aufkam. Es hieß zuverlässig, dass der Indianer noch nie gesungen habe. Er beanspruchte aber offenbar die Reservation und den Busch als sein Revier und New City als ein Gebiet, wo er sich frei bewegen konnte. Das war sein Recht, und Grenzen wurden zwischen respektablen Gangstern respektiert. Auch der stärkste Mann konnte Joe Leben, Recht und Revier nicht streitig machen, das hatte Joe gegen Jesse und James, gegen Mike und Jenny, gegen Harold Booth, Brandy Lex und Black and White, gegen Teddy Wolve und O’Connor, endlich gegen Leonard Lee & Co. bewiesen. Es war zwecklos, in Joes Gebiet schmuggeln, stehlen oder morden zu wollen. Damit hatte sich jedermann abzufinden; wer es nicht tat, begab sich in die Nähe der hysterischen Esmeralda. Elisha mochte ihr zugute halten, dass sie ihren Vater hatte rächen wollen, den Joe als Pferdedieb erschossen hatte, aber Elisha konnte keinen Mann achten, der sich von Gefühlen leiten ließ. Wer die Grenzen einhielt, konnte vielleicht auf dieser Basis Joe noch für einiges gewinnen.

      Der junge Indianer schien ein Kerl zu sein; somit gut, bis auf jenen unangenehmen, unauflöslichen Rest, dass er Indianer und daher niemals ganz zu durchschauen war.

      Abwarten.

      Wenn Field seine Netze bescheiden und vorsichtig auslegte, schwammen sicher einige Fische hinein.

      Wenn er Geld nötig hatte, brauchte er nur an Roger Sligh zu schreiben, soviel hatte er aus Leo herausgebracht. Aber im Augenblick genügte der vorhandene Kredit, und Elisha konnte zusätzliche Risiken vermeiden.

      Damit kam Elisha zum Abschluss seines Nachdenkens über jene Geschäfte, die sich in seinen Augen nicht ihrem Inhalt nach, sondern nur durch willkürlich darüber verhängte staatliche Verbote sowie einige naturgegebene Gangstergesetze von dem Bierausschank unterschieden. Elisha hatte nicht die Absicht, irgendjemanden zum Mitwisser und Vertrauten seiner Vorstellungen und Pläne zu machen. Er liebte nicht andere Menschen, er liebte es, Informationen zu beziehen, mit verlässlichen Größen zu rechnen und allein zu entscheiden. Wenn er gegenüber einem andern etwas verlauten ließ, dann nur als Test. Ein solcher Test war seine Bemerkung gegenüber Krause gewesen, dass Leo voraussichtlich der Bessere sei. Krause hatte sich nach Elishas Eindruck als harmlos entpuppt.

      Elisha Field erhoffte sich alles in allem in New City einen neuen Start. Dass er es bisher nur zu einem kleinen, nicht zu einem großen Schmuggler, Verbrecher und Gangster gebracht hatte, lag, wie er meinte, nur an der Missgunst der Umstände und der Kollegen.

      Die Grenzen seiner eigenen Intelligenz verwehrten ihm den Einblick in dieselben.

      Elisha Field stand auf, schob den Stuhl an den Tisch heran, damit er nicht im Wege stand, und sagte laut: »Okay«, was sowohl der korrekten Steuerbilanz als auch seinen übrigen Gedankenresultaten gelten konnte. In abgerundeter Stimmung begab er sich in den Gastraum, um auszuschenken. Er war nicht verheiratet und hatte diese Arbeit allein zu machen. Er wollte sie allein tun. Frauen und solche Angestellte, die in das Geschäft hineinzuschauen vermochten, waren Unsicherheitsfaktoren, die ein nach Erfolg strebender Mann meiden musste.