In einem der Kinderzimmer schliefen Hilde und ich, in dem anderen Adelheid und Paul. Toilette war auf dem Hof. Die anderen Häuser hatten bestimmt die gleiche Ausstattung. Jedenfalls sahen sie von außen alle gleich aus. Zum Haus gehörten ein großer Garten und ein kleiner Hof. Vater hielt sich, wie fast alle hier, Kaninchen, ein paar Hühner und einen Hund. Der Hund, die Rasse kann man schlecht beschreiben, weil vielleicht viele Hunde zu seiner Entstehung beigetragen haben, hörte auf den Namen Spitz. Spitz war der Liebling von uns Kindern und sehr verspielt. Er war unser ständiger Begleiter. Bielschowitz hatte 2 zentrale Anlaufpunkte. Die Kirche in der Dorfmitte umgeben von einem Park mit Teich und den Dorfladen, der rechts neben der Kirche stand. In dem Park waren Bänke, sie waren nachmittags Anlaufpunkt der Jugend des Dorfes. Wie die meisten jungen Menschen auf der ganzen Welt ihre Anlaufpunkte suchen. Sie brauchen ihre romantischen Plätze, ungestört, möglichst weit weg von der Welt der Erwachsenen. Alle Straßen führten zu diesen Zentrum, umkreisten es ringförmig und führten wieder hinaus. Der Kirchgang am Sonntag war heilige Pflicht. Alle Einwohner von Bielschowitz waren katholisch, ich wüsste keine Ausnahme. Im religiösen Leben der Bergleute nahm ja, getragen von der katholischen Tradition, die Heiligenverehrung einen breiten Raum ein. Oft begann die tägliche Arbeit sogar mit einem kollektiven Morgengebet. Meine Eltern und wir Kinder waren logischerweise auch katholisch und so ging es jeden Sonntag aufs schönste herausgeputzt zur Kirche. Wo alle beim sonntäglichen Kirchgang dem Herrgott huldigten, die meisten im täglichen Leben dagegen dem Schnaps. Man hörte sich die Messe an und beichtete anschließend. Ich wusste vor einer Beichte wirklich nicht, was ich da zu beichten hätte. Einmal beichtete ich, nur um überhaupt etwas zu beichten, ich war glaube neun oder zehn, dass ich der Nachbarstochter, sie hieß Maria, beim Doktorspiel zwischen die Beine geschaut habe. Darauf der Beichtvater: „Oh, Gott! Das hat dir doch nicht etwa Spaß gemacht, mein Sohn? Ich sagte, doch, sie durfte es ja auch bei mir!“ Die Strafe, ich solle zehn Mal das Vaterunser betten. Ich fand es sehr ungerecht, da die Höchstanzahl für uns Kinder normalerweise fünf Mal war. Doch was der Pfarrer sagte war Gottes Wort und somit Gottes Wille für uns alle. Wurden wir doch zur Hörigkeit gegenüber der Kirche erzogen. Für uns alle war der sonntägliche Kirchgang mit seiner Beichte jedoch eine Selbstverständlichkeit die zum Leben dazugehörte, wie Sonne und Mond, oder Feuer und Wasser. Zu meinem Leben gehörte auch, dass ich jeden Tag mit Hilde, vielen Freunden aus der Nachbarschaft, im angrenzenden Wald, auf dem Hof, oder ganz einfach im Garten, spielte. Oder wir zogen über die Felder. Manchmal kletterten wir auf die vielen Halden, die um Bielschowitz aufgeschüttet wurden. Und geschüttet wurde viel, denn es wurde immer mehr Steinkohle gefördert, wegen der man sich immer tiefer in die Erde graben mußte. Unsere Eltern sahen es aber nicht gern, da es gefährlich war. Gefährlich, weil im inneren der Halden Schwelbrände auftraten. Die Folge, es kam zu plötzlichen Einstürzen, auch waren die austretenden Dämpfe beim Einatmen sehr giftig. Oft holten Hilde und ich Vater von der Arbeit ab. Für uns war der Weg zur Grube sehr spannend und Vater freute sich immer sehr. Spannend deshalb, weil man Autos und Lkws bestaunen konnte. Für uns Kinder waren diese Dinger ein Wunder. Die Fahrer machten sich oft einen Scherz und hupten, wenn sie an uns vorbeifuhren. Man zuckte dann jedes Mal zusammen, über dieses urtümliche Geräusch. Wir setzten uns einfach vor das Werkstor und warteten bis Vater Feierabend hatte. Manchmal ging er dann mit uns in den Dorfladen, rechts neben der Kirche im Dorfzentrum und kaufte uns Süßigkeiten. Der Laden war zugleich Anlaufstelle für viele Bergleute, die hier ihren Schnaps tranken und dass meist nicht zu knapp. Wenn man den Laden betrat waren links 5 oder 6 Stehtische aufgestellt, an denen die Bergleute standen und tranken. Rechter Hand war der eigentliche Laden in dem man alles kaufen konnte. Angefangen von Süßigkeiten, Brot, Wurst, Spielzeug, Stoffe, eben alles was man auf den Dorf so zum Leben braucht. Manchmal lästerten die Bergleute über Vater, weil er nur ganz selten mittrank. Aber Mutter war sehr froh darüber. Es gab genügend Frauen in Bielschowitz, die neidvoll auf unsere Familienglück schauten und wahrscheinlich oft genug davon träumten, es auch einmal so zu erleben. Die Bunzol galten als sehr glückliche Familie, die sie auch war. Viele der Bergleute, die hier ein und aus gingen, die meisten unter ihnen waren ungebildet, gaben ihren Lohn nicht der Familie, sondern ließen ihn gleich in dem Dorfladen. Freitags war immer Lohntag und dann sah man häufig wie verzweifelte Frauen versuchten den Männern das wenige Geld abzunehmen. Die Schulden waren in diesen Familien oft so hoch, das sie im Dorfladen keinen Kredit mehr für essen und trinken bekamen. Die letzte Stufe war dann meist, dass sie in die Sozialbaracken ziehen mussten, die am Rande von Bielschowitz standen, weil ihnen auch das Geld für die Miete fehlte. Die in diesen Baracken lebten waren gebranntmarkt, aus diesem Abstieg wieder herauszufinden war sehr, sehr schwer, wenn nicht unmöglich. Sie wurden als asozial angesehen. Auch unter uns Kindern. Es spielten sich oft schreckliche Szenen ab. Die Männer schlugen Ihre Frauen bis diese wieder verschwunden waren. Ihre harten Fäuste schlugen wie Schmiedehämmer auf sie ein. Da half auch die wöchentliche Beichte der Männer vor Gott, um Vergebung, die sie letztendlich immer von ihren Beichtvater bekamen, den Frauen und ihren Leiden nicht viel. Not und Leid der betroffenen Familien, die bei dem geringen Lohn der Bergleute ohnehin schon in dürftigen Verhältnissen lebten, war unbeschreiblich groß. Aber Vater war Gott sei Dank immer für unsere