Populärphilosophie: eine Problemstellung
Populärphilosophie, so scheint es, will dem Menschen etwas Gutes tun. Sie will die Weisheit der Jahrhunderte verständlich machen und so die Philosophie für die Menschen öffnen. Deswegen leuchtet Thomas Vašek auch »nicht ein, warum sich Philosophen nicht bemühen sollten, die Relevanz ihres Fachs auch einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln – und damit womöglich sogar etwas Geld zu verdienen«.10 Eine Win-Win-Situation, so scheint es. Der Populärphilosoph tut etwas Gutes und verdient dabei sogar etwas Geld. Und das Publikum bekommt wichtige Anregungen und Hilfestellungen, Orientierung und bequem zugängliches kulturelles Kapital.
Dieses System kann aber nur sich selbst erhalten, wenn der Vorgang wiederholbar ist, das öffentliche Interesse, das nach Eilenberger »explodiert« und auf das die Populärphilosophie mit ihren Angeboten antwortet, weiter bestehen bleibt. Da trifft es sich gut, dass man genau die richtige Mischung von Antworten und Fragen, Wissen und Unwissen zur Verfügung stellen kann. Die Populärphilosophie folgt darin der Logik des Abonnements, nicht nur in der Form von Zeitschriften und Büchern, sondern auch über den Inhalt der Texte und Beiträge. Es gibt ja immer noch etwas zu wissen, immer noch etwas zu fragen, immer noch mehr, was man entdecken kann.
Deswegen liebt die Populärphilosophie den Streit, die Kontroverse und die Provokation. Diese Diskursarten garantieren, dass die Philosophie – für die Populärphilosophen wie für das Publikum – prinzipiell unabschließbar ist. Dabei darf man nicht vergessen, dass die Philosophie für die Menschen, die man erreichen will, keine Hauptbeschäftigung ist. Sie ist ein Freizeitvergnügen. Sie gehört zum weiten Bereich der »Kultur« und des »kulturellen Angebots«. Man war letzte Woche im Theater, geht nächste Woche in die Oper und diese Woche auf ein Philosophie-Festival. Street-Food, Street-Art, Street-Philosophy. Authentisch, nah am Leben und gut geeignet, um im Vorbeigehen das eine oder andere Häppchen mitzunehmen.
Was soll daran schlecht sein? Wenn jeder zufrieden ist, ist doch alles gut, oder? Natürlich weiß der Populärphilosoph mehr als das Publikum, das ist ja der Witz. Richard David Precht kann zu allem etwas sagen und weiß, dass er ein »Generalist« ist.11 Er gibt den Menschen etwas und sie geben ihm dafür etwas zurück. Seine Philosophiegeschichte, so freut er sich zeitgemäß in Jugendsprache, »ist jetzt schon die dritterfolgreichste Philosophiegeschichte ever, dabei gibt es sie noch gar nicht so lange«.12 Und auch seine Leserschaft nötigt ihm Respekt ab: »Das ich jetzt mit dem ersten Band 80.000 Leser erreicht habe, die im Grunde genommen wenn sie das lesen ein Vollstudium absolvieren, das freut mich zutiefst.« Precht, so scheint es, bietet in seinen Büchern »im Grunde genommen … ein Vollstudium«, nur ohne die ganzen lästigen Prüfungsbestimmungen und Seminare, die an der Universität üblich sind.
Noch einmal: Was soll daran schlecht sein? Die Populärphilosophen gehen ja offen damit um, dass sie nicht alles erklären können. Sie können auch nicht alles »hinterfragen«. Manche Voraussetzungen muss man schlicht akzeptieren. »Die Philosophie schafft sich dann ab, wenn sie irrelevant wird. Wenn sie nichts mehr zu sagen hat, was die Menschen interessiert.« So sieht es Thomas Vašek. »Selbstverständlich entscheidet der Markt nicht, was gute Philosophie ist. Aber der Markt entscheidet, was sich bei den Lesern durchsetzt.« Der Markt entscheidet, was die Menschen so interessiert, dass es sich bei ihnen durchsetzt. Und deswegen muss man eben »die ökonomischen Regeln akzeptieren, denen wir alle unterliegen«.13 Die Entscheidung des Marktes kann ja auch die der Leser sein. Und warum auch nicht?
Das vermeintliche Manko, keine akademische Philosophie zu sein, macht die Populärphilosophie damit wett, dass alles in Ordnung ist, wenn alle mitmachen, weil alle mitmachen. Das zum Problem zu machen, führt nicht weiter. »Das Problem der ›Popularisierung der Philosophie‹ ist ein philosophisches Scheinproblem, das am Ende wiederum nur die Philosophen interessiert.«14 Es gibt einfach kein Problem, wenn man das, was man nicht ändern kann, akzeptiert. »Wenn Macht freiwillig von denen angenommen wird, über die sie ausgeübt wird«, sagt Ronja von Rönne, »dann ist sie aufrichtig und wahr und nicht schädlich.«15
Philosophie – aber ohne große Anstrengung
Was ist von dieser Selbstdarstellung der Populärphilosophie zu halten? Ist es überhaupt sinnvoll, diese Frage zu stellen? Die Antworten sind doch längst gegeben. Aus Sicht der akademischen Philosophie handelt es sich um Quacksalberei. Homöopathische Dosen philosophischer Tradition werden in literweise Werberhetorik aufgelöst und heraus kommt etwas, was sich zwar gut verkauft, mit Philosophie aber nicht viel zu tun hat. Aus Sicht der Populärphilosophie ist diese Reaktion der akademischen Philosophie Ausdruck eines tiefsitzenden Neides derjenigen, die unfähig zum verständlichen Ausdruck sind. Gefangen in einem verstaubten, selbstreferentiellen System verachten die Aristokraten des Gedankens die Demokratisierung des Denkens.
Das, so erkennt das Publikum, ist eben der alte Streit der Philosophen. Die aristokratisch Gesinnten schlagen sich dann auf die Seite der Akademiker und lesen griechische Philosophie. Und die demokratisch Gesinnten kaufen sich den neuen Bestseller von Richard David Precht und fühlen, wie die Philosophie sie mit frischer Lebenskraft durchströmt. Die einen absolvieren ein Studium im Elfenbeinturm, mit vielen Texten, vielen Perspektiven, vielen Autoren. Die anderen absolvieren ein Studium in der Straßenbahn mit einem einzigen Buch – von einem einzigen Autor.
Die Populärphilosophen appellieren an das Selbstverständliche. Die Welt, den Markt, das Leben. Sie appellieren an Konzepte und Erfahrungen, mit denen jeder etwas anfangen kann und zu denen jeder etwas sagen kann. Konzepte und Erfahrungen, die aber zugleich so allgemein sind, dass man sie nie abschließend beurteilen kann. Das Selbstverständliche, behaupten die Populärphilosophen, ist das, was die Philosophie erst relevant macht: unsere Gegenwart, unsere Orientierungslosigkeit, unser Interesse.
Philosophie, die keine Leser hat, wird irrelevant. Also muss sie dafür sorgen, möglichst viele Leser zu haben. Akademische Philosophie, so scheint es der Populärphilosophie, hält sich mit dem Unnötigen auf: mit unnötig komplizierten Formulierungen in unnötig langen Texten mit einer unnötig selbstbezüglichen Forschung. Im Grunde machen beide dasselbe, die akademische Philosophie und die Populärphilosophie, nur die Populärphilosophie macht es besser. Sie formuliert verständlicher, näher am Leben, antwortet auf Fragen, die die Menschen wirklich bewegen.
Wie Karikaturen stehen sie sich gegenüber: Auf der einen Seite die unfruchtbare, in die Jahre gekommene akademische Philosophie mit den dicken Brillengläsern und der linkischen Art, unfähig, sich in sozialen Kontexten nicht lächerlich zu machen. Und auf der anderen Seite die schicke, dynamische und weltoffene Lifestyle-Populärphilosophie, am beschleunigten Puls der Zeit, immer eine Pointe zur Hand, um das Publikum nicht zu langweilen.
Um zu verstehen, wie dieses Bild zustande kommt, könnte man überlegen, wie jemand die Philosophie wahrnimmt, der bisher mit ihr nichts zu tun hatte. Die Vorstellungen, die sich Nichtphilosophen von der Philosophie machen, sind geprägt durch das Wissen und die Erfahrungen, die sie bisher gesammelt haben und auf die sie sich verlassen können. Philosophie ist für sie ein Thema unter anderen, und so wird es auch behandelt.
Diese Konvention macht sich die Populärphilosophie zunutze. Sie akzeptiert einige oder sogar die meisten Voraussetzungen, die das Publikum mitbringt. Das hat den angenehmen Effekt, dass die Zuschauer, Zuhörer oder Leser nicht übermäßig irritiert sind, wenn man damit beginnt, Fragen zu stellen. Je nachdem, welches Risiko man eingehen will, kann man die Fragen sehr allgemein oder aber provokativ stellen. Zu den allgemeinen Fragen gehören z. B. Fragen nach dem Leben, dem Tod, der Welt, dem Menschen, dem Universum oder Gott. Bei solchen Fragen kann jeder mitdiskutieren, ohne viel riskieren zu müssen. Und am Ende kann man immer noch sagen, dass eine abschließende Antwort unmöglich oder schwierig ist, dass man sie auf jeden Fall jetzt (noch) nicht geben kann.
Daneben kann man auch mit Fragen oder Thesen provozieren. Das beginnt bei Buchtiteln wie Wer bin ich, und wenn ja, wieviele? und endet noch lange nicht beim Versuch, das gesamte Bildungssystem oder die gesamte Entwicklung des menschlichen Denkens aus einem Wurf zu erklären. Populärphilosophen