AUFKLÄRUNG
LenzLenz, Jakob Michael Reinhold Die AlgiererDie Algierer (1771 / 1775)
In der Forschungsliteratur zu Jakob Michael Reinhold LenzLenz, Jakob Michael Reinhold und in den Ausgaben seiner Werke wurde über 25 Jahre lang eine Handschrift der PlautusPlautus, Titus Maccius-Bearbeitung mit dem Titel Freundschaft geht über Natur oder Die AlgiererDie Algierer erwähnt, die in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky aufbewahrt wird. Dabei ist jeweils ohne nähere Charakterisierung des Manuskripts von „Fragmente[n]“, dem „verschollene[n] Drama“ oder einer „Abschrift“ die Rede.1 Zu der von Richard Daunicht zweimal (1967 und 1985) angekündigten Publikation der Hamburger Algierer-Handschrift ist es nicht gekommen; über die Genese, den Inhalt und den Grad der Authentizität des Manuskripts war man im Ungewissen.
Bei der Hamburger Algierer-Handschrift handelt es sich ohne Zweifel nicht um ein Originalmanuskript von LenzLenz, Jakob Michael Reinhold, sondern um eine Abschrift von fremder Hand. Die Annahme, Lenz selbst habe in Straßburg eine Abschrift anfertigen lassen und diese an Friedrich Wilhelm GotterGotter, Friedrich Wilhelm nach Gotha geschickt, wird durch die Briefe an diesen vom Dezember 1775 und vom 20. Mai 1776 widerlegt.2 Hier weist Lenz darauf hin, das Ende November 1775 Gotter übersandte Manuskript sei „das einzige“ (S. 356), das er habe, er besitze „keine Abschrift“ (S. 448) der AlgiererDie Algierer. Das von LenzLenz, Jakob Michael Reinhold nach Gotha geschickte Originalmanuskript der Algierer muss heute als verschollen gelten. Die durch den Briefwechsel zwischen Lenz und Gotter 1775/76 nahegelegte Vermutung, Gotter oder Abel SeylerSeyler, Abel könnten die Abschrift besorgt haben, konnte durch Handschriftenvergleich nicht bestätigt werden. Wahrscheinlicher ist vielmehr, dass sie von der Hand eines Schreibers aus dem Umkreis GottersGotter, Friedrich Wilhelm in Gotha stammt.
Nach dem jetzigen Kenntnisstand ist es nicht möglich, den Weg der Handschrift bis zu ihrem heutigen Aufbewahrungsort lückenlos zu rekonstruieren. Das Manuskript befand sich seit dem frühen 19. Jahrhundert in der Theater-Bibliothek des Hamburger Stadttheaters. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Bestand der Theater-Bibliothek von der Stadtbibliothek Hamburg als Leihgabe übernommen. Mit der Umwandlung der Stadtbibliothek zur Universitätsbibliothek im Jahre 1919 gelangte auch das AlgiererDie Algierer-Manuskript in die heutige Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky.3 Dass es sich bei der Handschrift um einen Text von LenzLenz, Jakob Michael Reinhold handelt, wurde jedoch erst in den 1960er-Jahren entdeckt.4 In der Frage, wie das Manuskript ursprünglich nach Hamburg gelangte, kann man lediglich mutmaßen, dass es über die schrödersche Schauspielgesellschaft dorthin kam. Lenz selbst hatte Friedrich Ludwig SchröderSchröder, Friedrich Ludwig im Brief an Gotter vom 20. Mai 1776 ins Gespräch gebracht:
„Wenn Sie lieber Freund! die Algierer noch nicht weggegeben haben, so wollt ich Ihnen unmaßgeblich raten sie Herrn Bode anzuvertrauen, der sie der Schröderschen Gesellschaft in Hamburg zu spielen gibt (die Ihnen gewiß reichlicher zahlen wird als keine andere) und sie sodann auch dort kann drucken lassen, woran mir am meisten gelegen da ich keine Abschrift davon habe und sie doch wieder einmal lesen möchte.“ (S. 448)
Gegen Johann Joachim Christoph BodeBode, Johann Joachim Christoph als Vermittler zwischen GotterGotter, Friedrich Wilhelm und SchröderSchröder, Friedrich Ludwig spricht allerdings Bodes Brief an Heinrich Christian BoieBoie, Heinrich Christian vom 20. Dezember 1776, in dem er mit schroffen Worten bestreitet, mit den AlgierernDie Algierer befasst gewesen zu sein.5
Zur Rekonstruktion von LenzLenz, Jakob Michael Reinhold’ Beschäftigung mit den AlgierernDie Algierer, die in einem philologisch bedeutsamen Detail auch Aufschluss über den Authentizitätsgrad der Hamburger Abschrift gibt, sei kurz die diesbezügliche Korrespondenz – andere verfügbare Textzeugnisse sind nicht erhalten6 – rekapituliert. Erstmals ist von den Algierern als einer „Nachahmung der captivei im Plautus“ (S. 348) die Rede in einem Brief an Gotter aus Straßburg vom 23. Oktober 1775: „Ich habe in der Tat ein kleines Stück in meinem Schrank liegen das allenfalls auch spielbar sein würde“ (S. 348). Dies ist der Terminus ante quem in der Datierungsfrage, der Terminus a quo ist weit weniger eindeutig zu bestimmen. Man muss deshalb Lenz’ erste nachweisbare Beschäftigung mit dem römischen Komödiendichter Titus Maccius PlautusPlautus, Titus Maccius (um 250–184 v. Chr.) berücksichtigen, die in das Jahr 1772 fällt.7 Im August dieses Jahres schreibt Lenz aus Fort Louis an Johann Daniel SalzmannSalzmann, Johann Daniel, dass Johann Michael OttOtt, Johann Michael, Lenzens Freund in Straßburg und Mitglied der ‚Deutschen Gesellschaft‘, im Besitz seiner „letzte[n] Übersetzung aus dem Plautus“ (S. 263) sei. Folgt man dem Hinweis Johannes Froitzheims, dass Lenz schon im Winter 1771/72 Auszüge aus seinen Plautus-Übersetzungen in der ‚Deutschen Gesellschaft‘ vorgetragen habe,8 dann lassen sich das letzte Halbjahr 1771 und das erste Halbjahr 1772 als Phase der intensiven Beschäftigung mit PlautusPlautus, Titus Maccius festhalten. Am 18. September 1772, der Adressat ist wiederum der geistige Mentor SalzmannSalzmann, Johann Daniel, nennt LenzLenz, Jakob Michael Reinhold seine derzeitige Lektüre: die Bibel, „ein dicker PlautusPlautus, Titus Maccius“ (S. 276) und HomerHomer. Dieser „dicke Plautus“ steht im deutlichen Kontrast zum „kleinen Plautus“ (S. 271, Brief an Salzmann vom 7. September 1772). Letzterer wird im Zusammenhang mit dem Arrangement einer Komödienszene im Hause Schuch, wo Lenz zu dieser Zeit untergebracht ist, genannt. Das attributiv gebrauchte Possessivpronomen „meinen kleinen Plautus“ (S. 271) unterstreicht die Bedeutung besonders dieses Plautus – möglicherweise handelt es sich um Lenz’ eigene Manuskripte –, während das Indefinitpronomen „ein“ die Distanz hervorhebt: „[…] ein dicker Plautus, mit Anmerkungen, die mir die Galle etwas aus dem Magen führen […]“ (S. 276).Eyb, Albrecht von9 Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird der Prozess der individuellen Vereinnahmung der römischen Dichterautorität offensichtlich, die stellvertretende Vaterautorität wird ödipal besetzt. Lenz fährt in diesem Brief fort: „Ich habe schon wieder ein Stück aus dem Plautus übersetzt […]. Noch an eins möcht ich mich machen: es ist eine Art von Dank, den ich dem Alten sage, für das herzliche Vergnügen, das er mir macht“ (S. 276). Diese Absichtserklärung könnte durchaus die AlgiererDie Algierer betreffen, und verfolgt man die Korrespondenz über die Algierer weiter, so wird ersichtlich, dass sie für Lenz das wichtigste Plautus-Stück gewesen sind.
Möglicherweise entstanden die Algierer zeitgleich zu den in dem 1774 anonym erschienenen Band Lustspiele nach dem Plautus fürs deutsche TheaterLustspiele nach dem Plautus fürs deutsche Theater (Frankfurt, Leipzig) veröffentlichten PlautusPlautus, Titus Maccius-Bearbeitungen. Er enthielt Das Väterchen (Vorlage: Asinaria), Die Aussteuer (Aulularia), Die Entführungen (Miles Gloriosus), Die Buhlschwester (Truculentus) und Die Türkensklavin (Curculio).10 Für die Behauptung, „bestimmt aus dem Jahre 1775 stammen dann die ‚Algierer‘“11, lässt sich keine hinreichende Bestätigung finden. Jedenfalls hatte Lenz das Manuskript der AlgiererDie Algierer abgeschlossen, ehe er es aus finanzieller Not GotterGotter, Friedrich Wilhelm bzw. SeylerSeyler, Abel zum Kauf anbot: „Fragen Sie Herrn Seyler, ob er mir sechs sieben Dukaten dafür geben möchte, ich bin nie gewohnt gewesen, meine Sachen zu verkaufen, die höchste Not zwingt mich dazu“ (S. 348, Brief vom 23. Oktober 1775 an Gotter). Ende November 1775 schickt LenzLenz, Jakob Michael Reinhold das Manuskript mit einem Begleitbrief an Gotter. Am 23. November hatte er noch den Text der Algierer in der ‚Deutschen Gesellschaft‘ vorgelesen, worüber Folgendes protokolliert wurde: „Weil