Es wäre noch Vieles aufzuzählen an Kontroversen, Gegensätzen und Spannungen. Es ist, als bewege man sich durch ein Minenfeld, wenn es zum Thema Erweckung kommt. Die streitbaren Geister stoßen sich an einfach allem: ob es der Musik- und Predigtstil ist, das offene oder bis ins Detail geregelte Programm, die Bibelauslegung oder die Länge des Gottesdienstes, der Frauenröcke und Haare. Alles und jedes wird zum Streitpunkt darüber, ob es gottgefällig, also ein förderlicher Aspekt von „wahrer“ Erweckung ist, oder eben gerade ein Hindernisgrund dafür. Tatsächlich gibt es sogar jene Apokalyptiker, die sich gar nicht sicher sind, ob Gott überhaupt noch Erweckung „auf dem Schirm“ hat. Sie sehen die Endzeit gekommen, in der es nur noch Drangsal, Verfolgung und eine breite Bewegung des Abfallens von Gott gibt.
Willkommen auf dem Schlachtfeld
Wie kann ich es bei dieser schwierigen Lage wagen, dem allem noch etwas hinzuzufügen und damit zwischen die Fronten zu geraten? Ganz einfach, ich habe Gott danach gefragt …
Ich höre förmlich die kopfschüttelnde Reaktion auf diesen Satz: „Ja klar, das kann ja jeder behaupten! Als hätten nicht all die verschiedenen Parteien auch Gott gefragt!“
Nun, dann ist Gott offenbar genauso verwirrt wie die ganze Szene …
Ich nehme nicht für mich in Anspruch, ein großer Theologe oder Prophet zu sein und in irgendeiner Hinsicht irgendjemand anderem, der sich mit der Sache beschäftigt, überlegen zu sein. All unsere Erkenntnis ist Stückwerk. Der Umfang dieses Büchleins schon zeigt, dass es sich um keine erschöpfende Erörterung des Themas handeln kann. Was ich schreibe ist subjektiv und persönlich, kommt von Herzen und nimmt den Leser mit auf die Reise in eine ungewöhnliche Vision von Erweckung.
Visionen sind keine Bibelarbeiten und theologischen Exkurse, sie sichern sich nicht nach allen Seiten hin ab, sondern lassen ganz bewusst sowohl Fragen als auch den Horizont offen und schaffen einen Raum der Möglichkeiten. Sie legen Bilder und Erlebnisse auf den Tisch, die der Leser selbst deuten und mit seinen eigenen Erfahrungen abgleichen kann. Darüber hinaus fordern sie zum eigenen Denken und Glauben heraus und nehmen nicht alle Antworten schon vorweg. Sie provozieren und fordern heraus, sorgen schon mal für heftiges Kopfschütteln, aber auch für „Aha!-Erlebnisse“. Sie drängen den Leser ins Gebet und ins „Gott-selber-Fragen“. Letzteres ist meines Erachtens der allerwichtigste aller wichtigen Schlüssel zu Erweckung. Wir können uns ja viele Meinungen vieler Leute über Erweckung anhören, aber darüber sollten wir niemals vergessen, Gott selbst zu fragen.7
Aspekte von Erweckung
Erweckung beinhaltet ein Geheimnis, welches uns niemand als nur Gott alleine aufdecken kann. Dazu aber muss er uns in einen bestimmten Zustand der Bereitschaft und Empfänglichkeit bringen, was bei unterschiedlichen Menschen ganz unterschiedlich ausfällt. Das Mittel, welches er dazu allerdings häufig benutzt, ist eine Krise. Der Zusammenhang von Krise und Erweckung ist in den Erweckungs-Geschichten reich belegt, aber wir blenden diese Tatsache gerne aus, weil sie so unbequem ist.
Leute schrien in ihrer Not buchstäblich zu Gott, denken wir nur an das berühmte Beispiel von Israel in der ägyptischen Sklaverei (vgl. 2. Buch Mose). Lange brauchte es (über 400 Jahre!), bis das Maß voll war und die Verzweiflung so groß, dass sie buchstäblich und anhaltend zu Gott schrien.
Ich glaube nicht, dass es ohne das Element der Verzweiflung und des Schreiens Erweckung geben kann. Erweckung in großem Stil wird erst dann möglich sein, wenn sie einfach kommen muss, weil es ohne ein himmlisches Eingreifen einfach nicht weitergehen kann. Ich fürchte nur, von dieser Qualität sind wir in unserem Land noch weit entfernt. Wir können noch ganz gut ohne Erweckung leben und uns den Luxus endloser Kontroversen und Besserwisserei leisten.
Erweckung ist also eine Grenzerfahrung. Sie ist der Ausweg aus der Ausweglosigkeit und lässt Menschen weit über sich selbst hinauswachsen. Wie können wir dazu bereit werden? Wie können wir bis an die Grenzen des Möglichen gehen – und darüber hinaus? Wer hat uns beigebracht, wie so etwas „funktioniert“ und wie wir das aushalten?
Wir sind keine Helden und schrecken instinktiv vor Extremen zurück: vor dem Risiko und der Unberechenbarkeit, die aber immer mit Grenzerweiterungen und fundamentalen Veränderungen einhergehen. Ich denke, viele, die jetzt für Erweckung beten, werden schreiend davonlaufen, sollte sie wirklich kommen.
Annäherungen
Der erste Schritt auf dem Weg der Annäherung an Erweckung besteht meines Erachtens darin, dass Gott unsere Ruhe und Routine stört, das Verlangen nach Veränderung weckt und uns in seine Nähe zieht, wo wir grundsätzlich anders denken und wahrnehmen können als jenseits von seiner Gegenwart.
In seiner Gegenwart ist es uns möglich, unsere eigenen Ideen abzulegen und mit den Vorstellungen Gottes vertraut zu werden. Dies ist überaus befreiend. Manche definieren Erweckung überhaupt als „Einbruch der Gegenwart Gottes in unsere Gegenwart“.
Wir wollen an dieser Stelle nicht außer Acht lassen, dass „Gottes Gedanken höher sind als unsere Gedanken und seine Wege höher sind als unsere Wege“ (Jes 55,8-9). All unser Wissen ist, wie schon gesagt, Stückwerk, und Gott bringt uns immer wieder gerne an den Punkt der Einsicht, dass wir eigentlich keine Ahnung haben und wie die Blinden über die Farbe (oder den Elefanten) reden.
Es muss im Vorlauf einer Erweckung eine Phase der Angleichung an Gott geben, ein Vertrautwerden mit den höheren Wegen und anderen Gedanken, sonst läuft Erweckung ins Leere. Auch das hat es in der Geschichte immer wieder gegeben: Gottes Herrlichkeit kam, fand zu wenige Gefäße, in die sie sich ergießen konnte, und verebbte wieder. Träger von Erweckungen waren oft Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die unter der Wucht der Erweckung allerdings nach einiger Zeit kollabierten und ausbrannten.
Über die Kunst, eine Erweckung zu handhaben, wissen wir praktisch gesehen herzlich wenig. Viele Christen wollen sich mit solchen Fragen auch nicht tiefergehend beschäftigen. Sie „überlassen es ganz Gott“ und fertig.
Die Geburt einer Erweckung
Meiner Ansicht nach ist Erweckung nicht etwas, was irgendwie „gemacht“ werden kann, sondern etwas, das geboren wird. Gott sät die Saat der Erweckung in die Herzen von Menschen. Dort wächst sie heran, und die Leute gehen damit schwanger. Es „arbeitet“ in ihnen, sie werden zunehmend erfüllt und ergriffen von Erweckung, sie tragen sich damit herum und reden unentwegt darüber, wie Eltern über ihr kommendes Kind.
Das Kind im Mutterleib fordert immer mehr Raum und nimmt an Gewicht zu. Der Alltag der Schwangeren ändert sich damit grundlegend; es muss Rücksicht genommen und die eine Geburt vorbereitet werden. Schließlich kommen die Wehen und ein Beten in Stöhnen und Seufzen, das die werdenden Eltern vorher nicht gekannt haben. Andere Christen, die Nicht-Schwangeren, können davon extrem abgestoßen sein und begreifen überhaupt nicht, was los ist.
Wenn dann die Geburt ansteht, die Austreibung, ist es ein unglaublich mächtiger Prozess, in dem es um Leben und Tod geht, um das Zerbrechen und Überschreiten von Grenzen. Das Ergebnis ist neues Leben, welches die Welt für immer verändert. Jedes Kind tut das.
Das Bild der Geburt vermittelt uns, dass Erweckung ein totaler und intensiver Prozess ist. Eine Schwangerschaft und Geburt zieht man nicht nebenher nach Feierabend und am Wochenende durch; sie erfordert alle Aufmerksamkeit, Konzentration und Kraft. Sie kostet Schweiß und Blut, was uns unmittelbar an das Gebet von Jesus in Gethsemane erinnert, wo er im Gebet rang, bis sein Schweiß „wie große Blutstropfen“ wurde (Lk 22,44). Das ist eine Qualität von Gebet, welche