3.5 Digitalisierung
Die digitale Infrastruktur ist das Rückgrat für den technologischen Fortschritt, und in diesem Bereich liegt Europa, wie eingangs erwähnt, signifikant hinter Asien zurück. Die Länder Europas brauchen engagierte und sinnvolle Investitionen in höhere Netzwerkkapazitäten sowie eine sichere und zuverlässige Umgebung für den Datenaustausch.
Digitale und ökologische Transformation ergänzen sich und müssen gemeinsam entwickelt werden. Oft bilden digitale Lösungen die Grundlage für eine umweltfreundlichere Wirtschaft, etwa durch Effizienzsteigerungen in Produktionsprozessen sowie durch neue Geschäftsmodelle. Politische Entscheidungsträger können dazu beitragen, diese Vorteile durch einen rechtlichen Rahmen für innovative Technologien und Anwendungen zu ermöglichen.
Investitionen in digitale Infrastruktur, digitale Lösungen und Kompetenzen werden nicht nur die wirtschaftliche Erholung nach dem pandemiebedingten Einbruch beschleunigen, sondern mittelfristig auch die Widerstandsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit Europas verbessern. Eine innovationsfreundliche Gesetzgebung und die Unterstützung öffentlich finanzierter digitaler «Leuchtturmprojekte» sind dafür erforderlich.
Es wäre falsch, das Thema Digitalisierung bloß in Bereichen wie Fintech oder E-Commerce zu sehen. Enormes Innovationspotenzial und Produktivitätsfortschritte liegen speziell im Bereich der digitalen Industrie. Die chemische Industrie z. B. kann ihren Beitrag zur digitalen Souveränität auf der Stufe der Herstellung von Hardware (Halbleiter, Integrationskomponenten, etc.) leisten. Hierbei kommt eine Vielzahl von Chemikalien zum Einsatz, die teilweise im Endprodukt verbleiben, teils nur als Hilfsstoffe bei der Herstellung Verwendung finden. Um die wachsenden technologischen Herausforderungen in Richtung digitaler Souveränität zu sichern, kann es sinnvoll sein, in europäischen Konsortien von führenden Chemie-Rohstofflieferanten, Equipment- und Halbleiterherstellern für spezifische Fragestellungen zusammenzuarbeiten.
Dies könnte z. B. im Wettrennen für die Erarbeitung des nächsten großen Innovationssprungs zur Entwicklung von Quantencomputern sinnvoll sein, da eine derartige Herausforderung die Fähigkeiten einzelner Spieler schnell übersteigt.
Die Kooperation zwischen Forschung, Wissenschaft und angewandter Technologie in der Wirtschaft sollte unbedingt noch mehr institutionalisiert werden. Mehr Inkubationszentren sind nötig, wie sie bereits in München und Aachen bestehen.
3.6 Sustainable Finance
Das Vorhaben einer EU-Taxonomie ist förderlich, um ein gemeinsames Verständnis zu schaffen, welche Wirtschaftstätigkeiten als nachhaltig angesehen werden. EU-Taxonomie ist die weltweit erste «grüne Liste» – eine Klassifikation nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten, die sich auch um die Ausarbeitung der Umweltziele dreht, z. B. die Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen, der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, Abfallvermeidung und Recycling, die Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung und der Schutz gesunder Ökosysteme.
Die EU-Taxonomie kann dazu beitragen, Finanzmittel für umweltverträgliche Projekte zu mobilisieren und grenzüberschreitende Investitionen zu fördern, indem sie eine gemeinsame Sprache für umweltverträgliche Investitionen definiert. Sie kann auch einen strukturellen Wandel der europäischen Wirtschaft unterstützen, indem sie einen Wettbewerbsvorteil für die EU-Industrie bei innovativen und nachhaltigen Technologien schafft.
Die gemäß der EU-Taxonomie vereinbarte Verpflichtung für börsennotierte Unternehmen, den Anteil ihres Gesamtumsatzes und den Anteil der Gesamtinvestitionen und -ausgaben im Zusammenhang mit umweltverträglichen Wirtschaftstätigkeiten zu veröffentlichen, ist aber noch zu überdenken. Die EU-Taxonomie führt in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zu einem erheblichen Mehraufwand. Die notwendigen Daten liegen nicht ohne weiteres vor und müssen in aufwendigen Prozessen ermittelt und zusammengeführt werden. Schon für ein Dax-Konzern ist das äußerst arbeitsintensiv; mittelständische Unternehmen sehen aufgrund dieses enormen Aufwandes für die Akzeptanz des Instruments in der Realwirtschaft ein erhebliches Hindernis.
3.7 Kapitalmarktunion
Das Projekt der Erschaffung einer Kapitalmarktunion muss politisch im Rahmen der Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-Krise priorisiert werden. Unternehmen benötigen gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten ausreichenden und sicheren Zugang zu Finanzierungsquellen. Die Unternehmensperspektive muss bei der Entwicklung von Regulierung stärker berücksichtigt werden. Bei der Kapitalmarktunion geht es insbesondere um die Bereitstellung von Finanzierungsmitteln für Unternehmen. Deshalb muss der regulatorische Rahmen von diesem Zweck ausgehend entwickelt werden.
Es bedarf der richtigen Balance zwischen den Bedürfnissen der Unternehmen und ihrer Investoren. Derzeit scheinen die regulatorischen Rahmenbedingungen für die Nachfrageseite (das heißt Unternehmen, die Zugang zu Kapital suchen) die Weiterentwicklung des Kapitalmarkts eher zu behindern. Unternehmen sind am Kapitalmarkt zunehmend zurückhaltend aufgrund des hohen Regulierungsgrades, der hohen Kosten für Compliance sowie der damit verbundenen Rechtsunsicherheit.
Die Konsistenz von Regulierungszielen muss sichergestellt werden. Die Ziele der Kapitalmarktunion müssen in sich konsistent und konstant über alle Sektoren hinweg verfolgt und umgesetzt werden. Sie dürfen nicht durch andere EU-Regulierungen verwässert oder gar unterlaufen werden. Prominentes Beispiel hierfür die ist die Diskussion um die Einführung der Finanztransaktionssteuer.
3.8 Venture Capital (VC)
Seit dem Zusammenbruch junger Technologiebörsen wie des Neuen Marktes zu Beginn der 2000er-Jahre haben sich viele Menschen nicht mehr getraut, in Start-ups und neue Technologien zu investieren. Es dauerte sehr lange, ehe sich der deutsche Venture-Capital-Markt davon erholte. Bis zum Ausbruch der Corona-Krise befand er sich aber immerhin allmählich im Aufwind. Das Umfeld für Anschubfinanzierungen und für Exits hat sich in den vergangenen Jahren nachhaltig verbessert. Trotzdem bleibt der deutsche Markt für Venture Capital vor allem in den wichtigen Bereichen Biotech und Gesundheitswesen hinter Großbritannien und Frankreich zurück, die in den vergangenen drei Jahre etwa 1,5- bis 2,1-mal größer waren.
Im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre (2017– 2019) lag das VC-Deal Volumen in Deutschland auf einem Niveau von 0,127% des Bruttoinlandproduktes. In einer völlig anderen Liga spielen China und die USA, deren VC-Märkte gemessen an der Wirtschaftskraft um die Faktoren 4,1- bzw. 5,2-mal größer sind als der Markt in Deutschland. Theoretisch hätten in Deutschland in den vergangenen drei Jahren jährlich VC-Deals in Höhe von mehr als 7 Mrd. 13 Mrd. und 18 Mrd. US-Dollar zusätzlich abgeschlossen werden müssen, um die relativen Marktgrößen von China zu erreichen. Im Vergleich zu China entfällt in Deutschland besonders auf die Technologiebereiche Big Data, Elektro- und Hybridfahrzeuge sowie Clean Technology ein geringes Geschäftsabschlussvolumen.
Die Fragmentierung des europäischen VC-Markts, der sich letztlich nur aus der Summe der einzelnen nationalen VC-Märkte zusammensetzt, ist auch ein Grund dafür, weshalb es in Europa insgesamt weniger «Einhörner» – private Unternehmen mit einem Wert von mehr als einer Milliarde Dollar – gibt als in China und den USA. Die einzelnen nationalen VC-Märkte in Europa haben keinen einheitlichen Rechtsrahmen, was sowohl die Investitionstätigkeit als auch das Fundraising über die Grenzen hinweg behindert. Hürden für grenzüberschreitende Investitionen abzubauen, wäre ein wichtiger Schritt für eine effizientere Kapitalallokation und würde helfen, um VC-Renditepotenziale zu realisieren.
Die Verfügbarkeit von Wagniskapital sowie die nötige Risikofreude von Seiten der Unternehmer wie auch der Geldgeber werden in den kommenden Jahren von enormer Wichtigkeit sein, um Investitionen in Forschung und Entwicklung zu stemmen und den Rückstand zu China zu verringern.
3.9 Globale Herausforderungen
Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations hat Vorschläge zum «Schutz Europas gegen Zwangsmaßnahmen» erstellt, wie z. B. den Aufbau einer EU-Exportbank bis hin zur Schaffung eines digitalen Euros, um die Abhängigkeit vom dollarbasierten Finanzsystem der USA zu verringern. Die Kompetenzen der