Miss Sara Sampson. Gotthold Ephraim Lessing. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gotthold Ephraim Lessing
Издательство: Bookwire
Серия: Reclam XL – Text und Kontext
Жанр произведения: Учебная литература
Год издания: 0
isbn: 9783159617367
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– nachgebracht. – Ich bin hier; und es stehet bei Ihnen, – ob Sie meinen Besuch erwarten, – oder mir mit dem Ihrigen – zuvorkommen wollen. Marwood.« – Was für [21]ein Donnerschlag! Sie ist hier? – Wo ist sie? Diese Frechheit soll sie mit dem Leben büßen.

      NORTON.

      Mit dem Leben? Es wird ihr einen Blick kosten, und Sie liegen wieder zu ihren Füßen. Bedenken Sie was Sie tun! Sie müssen sie nicht sprechen, oder das Unglück Ihrer armen Miss ist vollkommen.

      MELLEFONT.

      Ich Unglücklicher! – Nein, ich muss sie sprechen. Sie würde mich bis in das Zimmer der Sara suchen, und alle ihre Wut gegen diese Unschuldige auslassen.

      NORTON.

      Aber, mein Herr – –

      MELLEFONT.

      Sage nichts! – Lass sehen (indem er in den Brief sieht), ob sie ihre Wohnung angezeigt hat. Hier ist sie. Komm, führe mich. (Sie gehen ab.)

      Ende des ersten Aufzugs

      [22]Zweiter Aufzug

      Erster Auftritt

      Der Schauplatz stellt das Zimmer der Marwood vor, in einem andern Gasthofe.

      Marwood im Negligee. Hannah.

      MARWOOD.

      Belford hat den Brief doch richtig eingehändiget, Hannah?

      HANNAH.

      Richtig.

      MARWOOD.

      Ihm selbst?

      HANNAH.

      Seinem Bedienten.

      MARWOOD.

      Kaum kann ich es erwarten, was er für Wirkung haben wird. – Scheine ich dir nicht ein wenig unruhig, Hannah? Ich bin es auch. – Der Verräter! Doch gemach! Zornig muss ich durchaus nicht werden. Nachsicht, Liebe, Bitten, sind die einzigen Waffen, die ich wider ihn brauchen darf, wo ich anders seine schwache Seite recht kenne.

      HANNAH.

      Wenn er sich aber dagegen verhärten sollte? –

      MARWOOD.

      Wenn er sich dagegen verhärten sollte? So werde ich nicht zürnen – ich werde rasen. Ich fühle es, Hannah; und wollte es lieber schon itzt.

      HANNAH.

      Fassen Sie sich ja. Er kann vielleicht den Augenblick kommen.

      MARWOOD.

      Wo er nur gar kömmt! Wo er sich nur nicht entschlossen hat, mich festes Fußes bei sich zu erwarten! – Aber weißt du, Hannah, worauf ich noch meine meiste Hoffnung gründe, den Ungetreuen von dem neuen Gegenstande seiner Liebe abzuziehen? Auf unsere Bella.

      HANNAH.

      Es ist wahr; sie ist sein kleiner Abgott; und der Einfall, sie mitzunehmen, hätte nicht glücklicher sein können.

      [23]MARWOOD.

      Wenn sein Herz auch gegen die Sprache einer alten Liebe taub ist; so wird ihm doch die Sprache des Bluts vernehmlich sein. Er riss das Kind vor einiger Zeit aus meinen Armen, unter dem Vorwande, ihm eine Art von Erziehung geben zu lassen, die es bei mir nicht haben könne. Ich habe es von der Dame, die es unter ihrer Aufsicht hatte, itzt nicht anders als durch List wiederbekommen können; er hatte auf mehr als ein Jahr vorausbezahlt, und noch den Tag vor seiner Flucht ausdrücklich befohlen, eine gewisse Marwood, die vielleicht kommen und sich für die Mutter des Kindes ausgeben würde, durchaus nicht vorzulassen. Aus diesem Befehle erkenne ich den Unterschied, den er zwischen uns beiden macht. Arabellen sieht er als einen kostbaren Teil seiner selbst an, und mich als eine Elende, die ihn mit allen ihren Reizen, bis zum Überdrusse, gesättiget hat.

      HANNAH.

      Welcher Undank!

      MARWOOD.

      Ach Hannah, nichts zieht den Undank so unausbleiblich nach sich, als Gefälligkeiten, für die kein Dank zu groß wäre. Warum habe ich sie ihm erzeigt, diese unseligen Gefälligkeiten? Hätte ich es nicht voraussehen sollen, dass sie ihren Wert nicht immer bei ihm behalten könnten? Dass ihr Wert auf der Schwierigkeit des Genusses beruhe, und dass er mit derjenigen Anmut verschwinden müsse, welche die Hand der Zeit unmerklich, aber gewiss, aus unsern Gesichtern verlöscht?

      HANNAH.

      O, Madam, von dieser gefährlichen Hand haben Sie noch lange nichts zu befürchten. Ich finde, dass Ihre Schönheit den Punkt ihrer prächtigsten Blüte so wenig überschritten hat, dass sie vielmehr erst darauf losgeht, und Ihnen alle Tage neue Herzen fesseln würde, wenn Sie ihr nur Vollmacht dazu geben wollten.

      MARWOOD.

      Schweig, Hannah! Du schmeichelst mir bei einer Gelegenheit, die mir alle Schmeichelei verdächtig [24]macht. Es ist Unsinn von neuen Eroberungen zu sprechen, wenn man nicht einmal Kräfte genug hat, sich im Besitze der schon gemachten zu erhalten.

      Zweiter Auftritt

      Ein Bedienter. Marwood. Hannah.

      DER BEDIENTE.

      Madam, man will die Ehre haben, mit Ihnen zu sprechen.

      MARWOOD.

      Wer?

      DER BEDIENTE.

      Ich vermute, dass es eben der Herr ist, an welchen der vorige Brief überschrieben war. Wenigstens ist der Bediente bei ihm, der mir ihn abgenommen hat.

      MARWOOD.

      Mellefont! – Geschwind, führe ihn herauf! (Der Bediente geht ab.) Ach Hannah, nun ist er da! Wie soll ich ihn empfangen? Was soll ich sagen? Welche Miene soll ich annehmen? Ist diese ruhig genug? Sieh doch!

      HANNAH.

      Nichts weniger als ruhig.

      MARWOOD.

      Aber diese?

      HANNAH.

      Geben Sie ihr noch mehr Anmut.

      MARWOOD.

      Etwa so?

      HANNAH.

      Zu traurig!

      MARWOOD.

      Sollte mir dieses Lächeln lassen?

      HANNAH.

      Vollkommen! Aber nur freier – Er kömmt.

      Dritter Auftritt

      Mellefont. Marwood. Hannah.

      MELLEFONT

      (der mit einer wilden Stellung hereintritt). Ha! Marwood –

      MARWOOD

      (die ihm mit offnen Armen lächelnd entgegenrennt). Ach Mellefont –

      MELLEFONT

      (beiseite). Die Mörderin, was für ein Blick!

      MARWOOD.

      Ich muss Sie umarmen, treuloser, lieber [25]Flüchtling! – Teilen Sie doch meine Freude! – Warum entreißen Sie sich meinen Liebkosungen?

      MELLEFONT.

      Marwood, ich vermutete, dass Sie mich anders empfangen würden.

      MARWOOD.

      Warum anders? Mit mehr Liebe vielleicht? mit mehr Entzücken? Ach ich Unglückliche, dass ich weniger ausdrücken kann, als ich fühle! – Sehen Sie, Mellefont, sehen Sie, dass auch die Freude ihre Tränen hat? Hier rollen sie, diese Kinder der süßesten Wollust! – Aber ach, verlorne Tränen! seine Hand trocknet euch nicht ab.

      MELLEFONT.

      Marwood, die Zeit ist vorbei, da mich solche Reden bezaubert hätten. Sie müssen itzt in einem andern Tone mit mir sprechen. Ich komme her, Ihre letzten Vorwürfe anzuhören,