„Dann muss es wohl so sein“, sagte sie, als sie das große, hölzerne Schiff mit all seinen Masten, Segel und Seilen sah, das sich irgendwie aufrecht auf dem Ozean halten sollte. Es machte ihr jetzt weniger Angst, da es ihre Bestimmung war.
„Was muss so sein?“, fragte er misstrauisch.
„Meine Reise nach Amerika.“ Sie betrachtete ihn genauer und fragte sich, was ihn das anginge. Seine Augen hatten eine merkwürdige Farbe, grau-grün, und sie waren sehr beunruhigend, als er sie damit von oben bis unten musterte.
„Darf ich vielleicht fragen, wer ihr Bruder ist?“
„Charles Winslow. Er ist ein Freund des Kapitäns.“
„Ach, ist er das?“
„Stellen Sie sich denn jetzt selbst auch vor?“, fragte sie und wurde bei all seinen Fragen langsam ungeduldig.
„Edward Harris, zu Ihren Diensten.“ Er zog seinen Hut und bot ihr eine vollendete Verbeugung. Er setzte den Hut wieder auf und fuhr fort: „Kapitän der Wind.“
„Ich bin ...“
Er unterbrach sie. „Ich weiß genau, wer Sie sind, mylady, und ich bin überhaupt nicht erfreut darüber.“
Charles kam zurück, nachdem er überwacht hatte, wie ihre Truhen an Bord des Schiffes gebracht wurden. Allerdings wurde er nicht so begrüßt, wie er es normalerweise von einem alten Freund erwartet hätte.
„Winslow. Mir nach, sofort.“ Edward drehte sich auf dem Absatz um und schritt davon, ohne auf eine Antwort zu waren. Er ging auf das Schiff zu, außer Hörweite von Anjou.
„Ich freue mich ebenfalls, dich zu sehen“, murmelte Charles, als er ihm folgte.
„Was soll das? Du hattest deine Schwester mit keinem Wort erwähnt. Ich meine mich daran zu erinnern, dass du gesagt hattest, der Name des Passagiers sei Andrew. Ich hätte niemals zugestimmt, eine Lady an Bord zu haben“, sagte Captain Harris und hielt an, um sich umzudrehen und Charles anzuschauen.
„Nein. Ich sagte Anjou.“
„Anjou. Andrew“, Harris fluchte, als ihm die Ähnlichkeit bewusst wurde. „Wie auch immer, sie kann nicht mitkommen.“
„Du kannst sie nicht einfach ablehnen, nachdem sie endlich den Mut aufgebracht hat, diese Reise zu unternehmen!“
„Oh, und ob ich das kann. Und ich werde es tun.“ Er setzte sich in Bewegung, um in die Tat umzusetzen, was er gerade angekündigt hatte, aber Charles ergriff seinen Arm und hielt ihn zurück.
„Du verstehst das nicht“, sagte Charles leise.
„Ich verstehe das ganz hervorragend. Hast du eine Ahnung, wie unzüchtig Seemänner werden, wenn sie wochenlang ohne eine Frau sind? Sie an Bord zu haben ist genauso, als ob Satan einen Apfel vor Evas Augen baumeln ließe. Eine verbotene Frucht.“ Er hob seine Hand hoch, als ob er etwas Verführerisches vor Charles‘ Gesicht hielte. „Ich würde meine eigene Schwester dem nicht aussetzen. Von dem Aberglauben, eine Frau an Bord zu haben, einmal ganz zu schweigen. Es bringt Unglück.“
„Willst du damit sagen, dass du deine Männer nicht für sechs Wochen unter Kontrolle halten kannst?“
„Ich führe ein strenges Regiment, aber es ist kein einfaches Leben und dieses Schiff ist sehr klein, wenn du nirgendwo anders hingehen kannst. Die Besatzung ist es nicht gewohnt, Ladys an Bord zu haben, und ich bin mir ziemlich sicher, deine Schwester würde dem nur ungern ausgesetzt sein.“
„Ich werde für sie verantwortlich sein“, sagte Charles abwehrend, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete.
„Verdammt Recht hast du, aber nur hier in England.“ Er begann sich zu entfernen.
„Aidan“, sagte Charles anstelle einer Erklärung, woraufhin Harris stehen blieb.
„Du meinst Gardiner?“
„Eben diesen. Er ist ihr Ehemann.“
Edward sah für einen Moment in die Ferne, während er diese Information zu verarbeiten schien. „Ein wirklich trauriges Ende für einen feinen Gentleman, aber was hat das mit deiner Schwester zu tun und damit, dass sie nach Amerika reisen will?“
„Er wurde nie gefunden. Sie ist der Meinung, dass sie ihn selbst finden muss, bevor sie ihr Leben weiterleben kann.“
„Hast du überhaupt eine Idee, wie riesig Amerika ist? Wie weitläufig dieser Krieg war? Es ist nicht vergleichbar mit Spanien oder Frankreich. Sie könnte ihn für den Rest ihres Lebens suchen und hätte noch nicht einmal die Hälfte des Gebietes durchsucht“, sagte Edward und schüttelte seinen Kopf.
„Ich weiß das und du weißt das auch, aber sie muss es selbst begreifen. Ich möchte nicht, dass sie alt wird und sich immer noch fragt, was passiert ist. Sie verdient eine Chance und ich werde dafür sorgen, dass sie sie bekommt.“
Edward schüttelte wieder den Kopf und verschränkte seine langen Arme vor der Brust. „Sie wird nach einem anderen Weg suchen müssen. Es ist eine sehr schlechte Idee.“
„Captain Harris?“ Anjous Stimme erklang hinter dem kräftigen Seemann, der aus offensichtlicher Frustration seine Augen schloss. Anjou würde es Edward nicht einfach machen.
Charles fragte sich, wie viel sie gehört hatte.
„Ja, mylady“, sagte Edward, als er sich umdrehte, um sie anzusehen. Selbst aus gut einem Meter Entfernung konnte Charles erkennen, dass ihre strahlend blauen Augen voll ungeweinter Tränen waren.
„Was kann ich sagen, damit Sie Ihre Meinung ändern?“, fragte sie leise.
„Lady Anjou, Sie verstehen nicht, wie das für Sie sein würde. Ein Handelsschiff ist nicht der richtige Ort für eine wohlerzogene Dame aus gutem Hause. Ihr Bruder sollte Ihnen eine Überfahrt auf einem Postschiff organisieren, das dafür ausgelegt ist, auch weibliche Passagiere zu transportieren“, sagte Edward mit überraschender Freundlichkeit, die im Gegensatz zu dem Spott stand, den Charles von ihm erwartet hatte.
„Ich verstehe das, und ich verspreche Ihnen, dass ich Ihnen oder Ihren Männern nicht in den Weg kommen werde. Ihr Schiff ist schneller als die Passagierschiffe und ich will so schnell wie nur möglich reisen.“
„Und warum?“, fragte er. In seiner Stimme schwang ein Hauch von Neugierde mit.
„Ich möchte nicht länger auf dem Schiff verbringen als unbedingt nötig. Bitte gestatten Sie mir die Überfahrt, Sir. Ich glaube nicht, dass ich noch einmal den Mut aufbringen werde, wenn Sie Nein sagen.“
Edward sah auf das Meer und nahm einen langen, tiefen Atemzug. Er begann davonzugehen, dann blieb er stehen und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
„Gehen Sie auf das Schiff, bevor ich meine Meinung ändere.“
Anjou spürte, wie ihr Bruder an ihrem Arm zupfte und sie zum Landungssteg führte. Das Schiff erschien ihr so klein, als sie die vielen derben Seeleute sah, die hin und her liefen. Keiner von ihnen sah so aus, als wisse er, was ein Bad oder ein Rasiermesser waren. Einige glotzten, andere spuckten aus, und wieder andere pfiffen - bis ein scharfes „Schluss jetzt!“ von ihrem Kapitän erklang.
Nach diesem Kommando wurde es still, also ging sie davon aus, dass es aus seinem Mund eine schlimme Drohung war. Sie sah nach oben zu den Unmengen an Seilen und Tauen und den hohen Masten, die hin und her zu schaukeln schienen. Wie sollte so etwas aufrecht im Wasser bleiben?
Sie hatte sich bereits damit abgefunden, dass sie zurückgelassen würde, und jetzt konnte sie nicht klar genug denken, um einen Fuß vor den anderen zu setzen. Es war auch nicht besonders hilfreich, dass