»Oh!« echote Anita mit komisch verdrehten Augen so spitzbübisch erfreut hinterher, daß die Mutter gegen ihren Willen wieder lachen mußte.
»Ihr seid schon eine Gesellschaft! Es wird Zeit, daß ihr in strengere Hände kommt. Miß Smith ist nicht energisch genug, besonders nicht für meine Tochter Anita.«
»Und unsere kleine Mammi ist auch nicht energisch – Deutsche sind niemals energisch«, meinte Fräulein Anita in bestimmtem Tone.
»Du mußt es ja wissen, Fräulein Naseweis. Warte nur, wenn du erst mal in Deutschland bei den Großeltern bist. Dann wirst du anders urteilen. Die werden dir schon zeigen, daß Deutsche über genügende Energie verfügen. Alles, was wir bei deiner Erziehung verabsäumt haben – und das ist nicht zu wenig –, werden sie hoffentlich nachholen.«
»Puh« – machte Anita und schüttelte sich. »Lieber gehe ich in ein Mädchenpensionat nach Rio di Janeiro. Elvira kommt auch zu Ostern nach Rio in eine Boarding-school.«
»Ich will nach Deutschland zu den Großeltern, Mammi.« Marietta schmiegte den goldbraunen Kopf an die Schulter ihrer schönen Mutter. »Ich will das alles kennenlernen, was dir so lieb ist. Die Großeltern und das kleine Haus im Rosengarten, in dem jetzt Schnee liegt und in dem die Rosen blühen, wenn es bei uns kalte Jahreszeit ist. Bringst du uns bald nach Deutschland, Mammi, ja?«
»Ja, bald – bald!« Das klang so sehnsuchtsvoll, daß Marietta der Mutter einen klaren Tropfen, der sich fürwitzig von ihren goldenen Wimpern lösen wollte, rasch fortküssen mußte.
Anita waren derartige Gefühlsäußerungen unbehaglich. Sie kamen zum Glück nicht oft vor. Meist sah man Frau Ursel strahlend schön und heiter. Nur ganz selten brach sich die Sehnsucht nach der deutschen Heimat, nach ihren Lieben in weiter Ferne Bahn. Sie war ja eine glückliche, verwöhnte, vielbeneidete Frau. Von ihrem Gatten, der ihr jeden Wunsch von den Augen ablas, wurde sie auf Händen getragen. In dem Bekanntenkreise feierte man la bella tedesca – die schöne Deutsche – nicht minder ihres liebreizenden Wesens, als ihrer gesellschaftlichen Stellung wegen. Sie und ihr Gatte standen an der Spitze des Musiklebens Sao Paulos. Seit Donna Tavares ihren Einzug in die brasilianische Stadt gehalten, hatte sich dasselbe zu ungeahnter Blüte entfaltet. Regelmäßige Kammermusikabende waren eingerichtet worden. Werke der großen europäischen Meister wurden studiert und zur Aufführung gebracht. Kein Wohltätigkeitskonzert fand statt, in dem Donna Tavares nicht durch ihre herrliche Stimme die Zuhörer begeisterte. Frau Ursel hatte sich um die Kunst in ihrer neuen Heimat ganz besonders verdient gemacht. Das Kino bildete früher den Hauptanziehungspunkt in Sao Paulo. Trotzdem die Stadt eine europäische Kolonie war, in bezug auf die Vorliebe für das Kino war sie ganz amerikanisch. Da hatte die deutsche, blonde Frau in Gemeinschaft mit einigen gleichgesinnte Seelen eine höhere, edlere Kunst an Stelle der sensationellen des Kinos zu setzen versucht. Den größten Einfluß aber hatte Frau Ursel auf die Kunst im Hause gehabt. In den meisten einheimischen Familien war dieselbe noch ziemlich unkultiviert. Bunte, schreiende Farben wurden bevorzugt. Die Vasen schmückten Papierblumen, während draußen im Garten die herrlichste Flora in unglaublicher Üppigkeit blühte. Die Alteranda, der balkonartige Vorbau des Hauses, wurde kaum jemals von den Bewohnern betreten und daher auch nicht bepflanzt. Das war etwas ganz Befremdendes für die junge deutsche Frau. War sie es doch gewöhnt, daß man daheim im Sommer alle Mahlzeiten auf der rosenumrankten Terrasse, deren Blumenschmuck der Mutter Stolz war, eingenommen hatte. Freilich, die Tropentemperatur in Brasilien machte den Aufenthalt auf der Alteranda am Tage fast unmöglich. Das lernte Frau Ursel bald einsehen. Aber im schönsten Blumenschmuck mußte sie trotzdem prangen. Ihr Schönheitssinn verlangte dies. Und siehe – bald zeigte es sich, daß sie damit Schule gemacht. Das Beispiel des Tavaresschen Hauses fand Nachahmung. Hatte man zuerst die Nase darüber gerümpft, daß die junge Frau ihre Vasen mit frischen Blüten, anstatt mit Papierblumen, füllte, bald fanden auch andere Freude daran. Die künstlerisch geschmackvolle Einrichtung des Tavaresschen Hauses wurde alsbald zum Muster für viele andere, denn Geld spielte ja bei den reichen brasilianischen Familien keine Rolle.
Frau Ursel verstand einen guten Gebrauch von ihrem Reichtum zu machen. Sie war für die deutschen Auswanderer eine gute Fee geworden, die nicht nur vermöge ihres goldenen Zauberstabes half, nein, deren gütiges, warmes Wort den in der Fremde Verzagten ebenso wohltat wie ihre werktätige Hilfe. Bei allen ihren gesellschaftlichen, künstlerischen und Wohlfahrtsbestrebungen aber war Frau Ursel vor allem Mutter. Die Mutter ihrer Kinder – darin war sie ganz deutsch geblieben. Trotz der vielen Dienerschaft, um ihre Kinder kümmerte sie sich selber. Für ihre Kinder und deren Wünsche und Anliegen hatte sie immer Zeit.
Auch heute. Anita besprach mit der Mutter die Abschiedsbesuche, welche man noch bei den Verwandten und Freunden machen müßte. Marietta wollte durchaus wissen, wann die Reise nach Europa zu den Großeltern denn endlich vor sich gehen sollte. Und Klein-Juan bestürmte die Mutter, ihm eine Taschentuchmaus, die richtig lebendig springen konnte, zu fabrizieren.
Während Frau Ursel Anita einige befreundete Familien, die sie nach dem Essen mit Marietta aufsuchen sollte, vorschlug, während sie Marietta und nicht minder sich selbst auf Ostern für die Reise nach Europa vertröstete und Juans Taschentuchmaus zur hellen Begeisterung des Kindes hüpfen ließ, kamen die schwarzen Dienerinnen mit tausenderlei Anfragen betreffs der in Koffer und Kisten zu verstauenden Sachen zu Donna Tavares. Keinen Finger durfte die Herrin dabei selber rühren, nur ihre Wünsche äußern. Eines aber war davon ausgenommen: ihre Noten, ihre vielgeliebten. Daran wagte sich keiner von der Dienerschaft. Die packte Frau Ursel selbst in Gemeinschaft mit ihrem Manne.
Kam er da nicht schon selber aus Santos, dem Hafen von Sao Paulo, wo er sein Bureau hatte, heim? Das Auto, das ihn jeden Abend vom Bahnhof abholte, hielt vor der Tür. Juan verlor plötzlich sein Interesse für die Taschentuchmaus und eilte dem Vater, der den ganzen Tag fort war, jubelnd entgegen. Wenige Sekunden später betrat Milton Tavares das Zimmer seiner Gattin. Bevor er sich durch eine Dusche erfrischte, mußte ihr Anblick ihn erfrischen. Ihr Lächeln war ihm eine größere Erquickung als jede andere.
»Guten Tag, mein Liebling. Arge Kramerei, was? Nun, um so schöner und erholsamer wird es auf unserer Fazenda werden. Vierzehn Tage habe ich mir Ferien genommen. Da werden wir wieder fleißig musizieren, nicht wahr, Ursel?«
»Vierzehn Tage nur, Milton?« Seine Frau schien enttäuscht. »Du hattest mir doch versprochen, dich dieses Jahr wenigstens einen Monat freizumachen.«
»Ja, Papi, du wolltest doch jeden Morgen mit uns ausreiten«, erinnerte ihn seine Tochter Anita.
»Und Tennis wolltest du mit uns spielen«, fiel Marietta bittend ein.
»Und Schiffchen schnitzen und schwimmen lassen«, rief das Söhnchen energisch dazwischen.
»Freilich Schiffchen schnitzen, Juan, das ist die Hauptsache«, lachte der Vater. »Ja, wenn so viel Arbeit meiner in den Ferien harrt, dann sind vierzehn Tage in der Tat nicht genug. Da werde ich wohl zulegen müssen.« Er nickte seiner Ursel verschmitzt zu.
»Don Tavares, das Bad ist bereitet«, meldete ein Neger.
»Oh, moito bonito! Sehr schön! Auf Wiedersehen bei Tische!« Milton Tavares verließ das Zimmer.
Er war heute noch ein schöner Mann. Ja, seiner Frau gefiel sein gereiftes, männliches Aussehen noch besser als seine dereinstige Jünglingsschönheit. Anita war dem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Nur ihre Augenfarbe verleugnete die deutsche Abstammung ihrer Mutter nicht.
Seit dem Tode des alten Tavares, des Seniors des weltberühmten Kaffee-Exporthauses, hatte Milton eine verantwortungsvolle Tätigkeit. Alle Fäden des großen Betriebes mündeten in seiner Person. Und wenn ihm sein Schwager, Don Fernando Janqueiro, der Gatte seiner Schwester Margarida, auch geschäftlich zur Seite stand, die Hauptperson, der Mittelpunkt des Exporthauses Tavares blieb Don Milton. Die Männer in Brasilien pflegten sich nicht allzusehr bei der Arbeit anzustrengen. Die lähmende Einwirkung der Tropentemperatur trug wohl dazu bei. Auch Don Fernando saß lieber im Kaffeehause als in der Kaffeebörse und überließ seinem Schwager Milton, der in Deutschland ernste, pflichttreue Arbeit kennengelernt hatte, den Löwenanteil