Die Macht der virtuellen Distanz. Karen Sobel Lojeski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Karen Sobel Lojeski
Издательство: John Wiley & Sons Limited
Серия:
Жанр произведения: Экономика
Год издания: 0
isbn: 9783527836352
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      Am 4. März 2020 haben wir unsere endgültigen Freigaben für die Seitenkorrekturen des englischen Original‐Buches verschickt.

      Covid war ein Begriff, mit dem wir anfangs kaum vertraut waren. Es kursierten Gerüchte über ein Virus in China, das ein wenig beunruhigend schien, als es sich den Weg an die Westküste der USA bahnte. Es tauchte nur als Randnotiz in unserem Leben auf, wenn Zeitungsartikel auf diffuse Gesundheitsprobleme in dieser oder jener Region aufmerksam machten.

      Nur wenige Wochen später begannen Nachrichten über eine potenzielle Gesundheitskrise größeren Ausmaßes mehr Aufmerksamkeit zu erregen. Sie erinnerten mich lebhaft an die Sorgen zu Beginn der SARS‐ und MERS‐Ausbrüche vor mehr als zehn Jahren und das Treffen mit dem Topmanager einer namhaften europäischen Bank, der per Flugzeug angereist war. Er wollte mit mir darüber sprechen, wie sich das Konzept der virtuellen Distanz in seiner Organisation und von anderen Finanzdienstleistern für die Führung von Mitarbeitern nutzen ließ, falls sich das Infektionsgeschehen weltweit ausbreiten und die Arbeit von zu Hause erforderlich machen würde.

      Ich unterschrieb eine Vertraulichkeitsvereinbarung vor dem Meeting und der Firmenvorstand ging mit mir eine Reihe unterschiedlicher komplexer Szenarien durch, die seine Organisation erstellt hatte. Als ich die grafischen Simulationen der Verbreitungsmöglichkeiten sah und mir gespannt und mit einem leisen Schaudern die Worst‐Case‐Szenarien anhörte, die von dem ausländischen Konsortium entwickelt worden waren, wurde mir plötzlich bewusst, dass wir uns tatsächlich einer globalen Bedrohung gegenübersehen könnten – die Frage lautete nicht, »ob« sondern vielmehr »wann« es so weit kommen würde.

      Damals dämmerte es mir zum ersten Mal, dass die Metriken, Prinzipien und Praktiken der virtuellen Distanz in Situationen, die von Chaos geprägt waren, für Klarheit und systematische Lösungen sorgten. Die damit verbundenen Lektionen zu verstehen und anzuwenden konnte Organisationen helfen, die Kontinuität ihrer Geschäftstätigkeit zu sichern, bewährte Krisenmanagement‐Methoden umzusetzen und Stress abzubauen, indem sie die Beziehungen zwischen Kunden, Mitarbeitern und Unternehmen generell verbesserten und auf ein gesundes Fundament stellten.

      Zum Glück entwickelte sich die damalige Epidemie nicht in dem befürchteten Maß. Im Verlauf des letzten Jahres habe ich mich oft daran erinnert, wie erleichtert ich war, dass viele Millionen Menschen, die sich damals infiziert haben könnten, verschont geblieben waren. Der Gedanke an die Episode hatte mich seither verfolgt und die aufrichtige Hoffnung geweckt, Unternehmen nie wieder in meinem Leben aus diesem Grund beraten zu müssen.

      Doch es sollte anders kommen.

      Hintergrund

      Eine der ersten Städte in den USA, die in den Lockdown gingen, war Hoboken, New Jersey. Dort trafen Dick und ich uns im Stevens Institute of Technology. In Hoboken befindet sich zufällig auch die Zentrale des Wiley‐Verlags. Kurz danach zogen mein Heimatstaat New York und alle anderen Staaten im Nordosten der USA nach.

      An diesem Punkt schickte ich unserem Lektor eine kurze Anfrage, ob das Buch in Druck gehen würde, bevor man alles dichtmachte. Ich erhielt nicht sofort eine Antwort, aber wenige Tage später trafen meine Belegexemplare ein.

      Obwohl es ein fantastischer Tag war – wir hatten unser drittes Buch mit einer einzigartigen Landkarte der virtuellen Distanz veröffentlicht, die in dieser Krisensituation von Organisationen gleich welcher Art als Orientierungshilfe genutzt werden konnte –, dachte ich mit gemischten Gefühlen an die Möglichkeiten der Verkaufsförderung. Es war nicht gerade der richtige Zeitpunkt, um zu feiern.

      Ab März trafen Tag für Tag dutzende E‐Mails mit der Frage ein, wie man am besten Remote arbeitet. Zuerst stammten sie überwiegend von einzelnen Unternehmensberatern oder Leuten, die als dogmatische Befürworter der mobilen oder standortunabhängigen Arbeit bekannt waren. Ich erinnere mich, dass ich dachte, es sei auch nicht der richtige Zeitpunkt, um dieser spezifischen Sichtweise mehr Schubkraft zu verleihen, denn die unbeabsichtigten Folgen einer solchen Strategie waren (und sind bis heute) aus der Perspektive der menschlichen Gesundheit nicht eindeutig geklärt.

      Obwohl es sich für die meisten Berufstätigen um die einzig sichere Arbeitsform handelt, systemrelevante Arbeitskräfte ausgenommen, hatte man diese Struktur zum Leidwesen einiger Betroffener nie als Standard in Betracht gezogen – außer in Science‐Fiction‐Romanen wie The Naked Sun von Isaac Asimov. Und ich bin nach wie vor der Meinung, dass eine Krise nicht dazu dienen sollte, eine so langfristige Positionierung der Unternehmen zu zementieren – zumindest nicht angesichts der begrenzten Informationen über die damit verbundenen Auswirkungen. Doch als Zwischenschritt, um Leben zu retten, ist Remote‐Arbeit in globalem Maßstab eine der besten Lösungen, auch wenn sie uns einen hohen persönlichen, familiären und gesellschaftlichen Preis in Form physischer und mentaler Folgen für Gesundheit und Wohlergehen abverlangt.

      Bis zu dem Zeitpunkt konnten Remote‐ oder standortverteilte Mitarbeiter ihr Arbeitsgerät ausschalten und ins Fitnesscenter gehen, Nachbarn und Freunden die Hand schütteln, Menschen umarmen, die sie eine Weile nicht gesehen hatten, und ihre Kinder nach Beendigung der außerlehrplanmäßigen Aktivitäten von der Schule abholen.

      Das alles hat sich geändert.

      Und die Realität dessen, was diese Entwicklung beinhaltet und auch in Zukunft beinhalten könnte, ist ein weiteres Gedankenexperiment mit einer schier endlosen Reihe von Tentakeln, die zumindest bewusste Aufmerksamkeit und reifliche Überlegung verdienen, bevor wir als Unternehmergesellschaft zu »permanenten« Entscheidungen gelangen.

      Obwohl damals phasenweise einige interessante und innovative Leitlinien auftauchten, fehlte fast allen das Fundament einer jahrzehntelangen methodisch validen Forschung. Einige erwiesen sich als hilfreiche Tipps und dringend benötigte Erleichterung von den zunehmend stressreichen und traumatischen Erfahrungen, die sich bei jedem Blick auf den Bildschirm aufbauten, wenn die Nachrichten wieder einmal die steil ansteigende Infektionskurve zeigten.

      Zweifellos konnte das Konzept der virtuellen Distanz als stabiles Rahmenwerk genutzt werden, um Licht in das Dunkel der Remote‐Arbeit zu bringen – ungeachtet dessen, wie lange die Covid‐Pandemie andauern mochte. Damit würde ein unumkehrbarer Wandel des Begriffs »zur Arbeit gehen« verbunden sein, sowohl auf struktureller als auch psychologischer Ebene. Das Rahmenwerk konnte außerdem als Orientierungshilfe für diejenigen dienen, die auch weiterhin an ihrem standortgebundenen Arbeitsplatz erscheinen mussten oder irgendwann beschließen würden, in eine sichere Arbeitsumgebung zurückzukehren, um das dringende Bedürfnis nach Sozialkontakt zu befriedigen, wenngleich in eingeschränkter Form.

      Ich beriet auch weiterhin Führungskräfte aus zahlreichen globalen Organisationen. Anfang Februar 2020 wurde ein Personalleiter, mein Ansprechpartner in einem solchen Unternehmen, mit Notfällen aller Art und aus aller Welt überschwemmt.

      In einem anderen Fall waren Arbeitsregeln mit »A« und »B« Tagen aufgestellt worden – die vorsahen, dass jeweils die Hälfte der Belegschaft wechselweise zur Präsenzarbeit am Firmenstandort erscheinen sollte (bevor der totale Lockdown verhängt wurde). Auf diese Weise hoffte man, Ansteckung zu vermeiden. Eine logische Vorstellung im Hinblick auf Schutzmaßnahmen, wie Kontaktnachverfolgung und Quarantäne.