Gesunde Lehrkräfte in gesunden Schulen. Silvio Herzog. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Silvio Herzog
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783170347670
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Motivation erleben.

      2.2.1 Job Demands-Resources-Theorie (JD-R-Theorie)

      Die JD-R-Theorie, die sowohl die beruflichen Belastungen als auch die Ressourcen eines Individuums miteinbezieht, wurde in der Arbeits- und Organisationspsychologie von einem niederländischen Forschungsteam mit dem Ziel entwickelt, systemische und psychologische Theorien zu kombinieren, um auf dieser Grundlage sowohl die negativen als auch die positiven Auswirkungen von Arbeit analysieren zu können (Bakker & Demerouti, 2014). Die JD-R-Theorie geht davon aus, dass bei der Bewältigung von beruflichen Belastungen zwei relativ unabhängige Prozesse ablaufen: Der gesundheitsgefährdende Prozess und der Motivationsprozess (image Abb. 2.2): Während Belastungen kurzfristig zu Stress und mittel- und langfristig zu Erschöpfung, psychosomatischen Beschwerden und Burnout führen können, erhöhen kontextuelle Ressourcen (z. B. Unterstützung, Feedback, Mitbestimmung) und persönliche Ressourcen (z. B. Selbstwirksamkeitserwartung, Kompetenzen) die Motivation und die positive Beanspruchung.

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      Den Annahmen der JD-R-Theorie zufolge sind diese Prozesse darauf zurückzuführen, dass der Umgang mit Belastungen Anstrengung erfordert und Energie kostet. Ressourcen hingegen haben eine positive Wirkung, da sie helfen, Arbeitsanforderungen und die damit verbundenen physiologischen und psychologischen Kosten zu reduzieren, funktional sind bei der Erreichung von Arbeitszielen und/oder persönliches Wachstum, Lernen und Entwicklung stimulieren. Neben diesen direkten Effekten bezieht das Modell auch indirekte Effekte mit ein: Ressourcen tragen zur Bewältigung der Belastungen bei, indem sie die negativen Wirkungen, beispielsweise Erschöpfung, abpuffern (Puffereffekt). Kurz gefasst führen Belastungen in weniger starkem Ausmaß zu negativer Beanspruchung, wenn genügend Ressourcen vorhanden sind. Zudem können Belastungen den Einfluss der Ressourcen sogar noch verstärken: Wenn ein Individuum mit herausfordernden Anforderungen konfrontiert wird, werden die Ressourcen zusätzlich bedeutungsvoll und nützlich (Verstärkereffekt). Ein unterstützendes Kollegium beispielsweise entfaltet seine positive Wirkung insbesondere dann, wenn man die Unterstützung nötig hat, oder die individuelle Fähigkeit, mit Unterrichtsstörungen umzugehen, wird besonders wertvoll, wenn man mit einer unruhigen Klasse konfrontiert ist.

      Ob eine Person positiv oder negativ beansprucht ist, hat Folgen für die Organisation, in der sie arbeitet: Der gesundheitsgefährdende Prozess zieht negative Folgen wie verringerte Leistungsfähigkeit, höhere Kündigungsabsicht und krankheitsbedingte Abwesenheit nach sich. Der Motivationsprozess und das positive Erleben der beruflichen Aufgabe hingegen sind zentral für die Leistung, die emotionale Bindung an die Organisation, das organisationale Engagement, die Leistung und den Verbleib in der Organisation.

      Diese beiden Prozesse werden in den nachfolgenden Unterkapiteln vertieft beleuchtet, indem zwei Theorien, auf welchen die JD-R-Theorie aufbaut, herangezogen werden. In Bezug auf den Erschöpfungsprozess handelt es sich um die Transaktionale Stresstheorie von Lazarus (1990), welche das Zusammenspiel von Belastungen und Ressourcen im Entstehen von negativer Beanspruchung beschreibt. Zur Erklärung des Motivationsprozesses ist demgegenüber insbesondere die Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 1993) grundlegend, da sie beschreibt, unter welchen Umständen der Mensch motiviert ist.

      2.2.3 Erschöpfungsprozess: Die Transaktionale Stresstheorie

      Der Erschöpfungsprozess hat seinen Ausgangspunkt in Belastungen, die grundsätzlich neutral aufzufassende Anforderungen darstellen und objektiv, das heißt unabhängig vom Individuum, bestehen (image Kap. 2.2). Nicht jede Anforderung führt automatisch zu negativer Beanspruchung. Dies ist in der Regel nur bei Anforderungen der Fall, die subjektiv als wichtig eingeschätzt werden und bei denen man unsicher ist, ob Bewältigung gelingen kann. Ob eine Anforderung Stress auslöst und gesundheitlich relevant wird, hängt somit von der subjektiven Bewertung ab. Dieser Prozess wird im transaktionalen Stressmodell von Lazarus und Launier (1981) systematisch beschrieben (image Abb. 2.3).

      Entlang eines fiktiven Beispiels der Studentin, das im nachstehenden Fallbeispiel geschildert wird, beschreiben wir im Folgenden die einzelnen Elemente des transaktionalen Stressmodells im Detail.

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      Fallbeispiel

      Julia hört von Nachbarinnen, dass ihre zukünftige Klasse die »schwierigste« des ganzen Schulhauses sei. Diese Information wird von ihr wahrgenommen (Wahrnehmungsfilter) und damit zum potenziellen Stressor. Die Anforderung wird nun – automatisch und unbewusst – einer ersten Interpretation unterzogen (primäre Bewertung). Diese Ersteinschätzung bezieht sich auf die Anforderung sowie auf die diesbezüglich entscheidende Frage, ob diese Anforderung subjektiv bedeutsam ist. Sie könnte Julia »kaltlassen«, weil sie nichts auf Klatsch gibt und die Aussage anzweifelt (Anforderung ist neutral). Oder Julia könnte die Information positiv bewerten, weil es ihr einfacher erscheint, eine schwierige Klasse zu übernehmen als eine, die einer geliebten Lehrerin nachtrauert (»Dann kann ich es ja nur besser machen«) (Anforderung ist positiv). Julia hingegen nimmt die Aussage ernst und macht sich grosse Sorgen, dass sie bei der Arbeit mit ihrer ersten Klasse scheitern könnte. Damit wird die Anforderung potentiell bedrohlich. Erst die individuelle Bewertung der realen Aufgabe löst somit potenziell Stress aus. Da Julia noch wenig Erfahrung hat, ist sie nicht sicher, ob sie über genügend Kompetenzen verfügt, um eine schwierige Klasse zu führen, weshalb sie den Stressor als bedrohlich einschätzt und sich Sorgen macht. Zudem weiß sie noch nicht, auf welche sozialen Ressourcen wie Förderlehrkräfte oder unterstützende Teamkolleginnen sie an der Schule zurückgreifen kann. Eine solche Einschätzung der verfügbaren Ressourcen für die Bewältigung wird sekundäre Bewertung genannt. Julia schätzt die Anforderung sowohl in der primären als auch in der sekundären Bewertung als bedrohlich ein und hat das Gefühl, über zu wenige Ressourcen für die Bewältigung zu verfügen, was den Stress verstärkt.

      Um empfundenen Stress zu reduzieren, hat sie nun zwei Möglichkeiten: 1) Problemorientierte Stressbewältigung: Die zu diesem Typ der Stressbewältigung zählenden Bewältigungsformen beziehen sich konkret auf die Beseitigung der Belastung. Julia würde in diesem Fall mithilfe direkter Handlungen aktiv versuchen, ihre Stressgefühle zu reduzieren, indem sie zum Beispiel ihre Unterlagen der Ausbildung nochmals konsultiert oder mit erfahrenen Lehrkräften oder Beratungspersonen spricht und nachfragt, wie man mit »schwierigen« Klassen umgeht. Solche Bewältigungsformen sind dann funktional, wenn die Bewältigung einer Anforderung oder einer Situation in der eigenen Macht steht, das heißt, wenn man Gestaltungsmöglichkeiten hat. Da Julia die Klasse noch gar nicht unterrichtet, sind ihre Möglichkeiten der problemfokussierten Bewältigung in der gegenwärtigen Situation allerdings beschränkt. Sie kann dem Stress deshalb zusätzlich mit 2) emotionsorientierten Bewältigungsformen entgegenwirken: Bei diesen Strategien steht nicht die Bewältigung der (potenziellen) Anforderung im Zentrum, sondern sie setzen bei den eigenen Gefühlen und oder der Interpretation der Anforderung an. Julia kann ihren Stress beispielsweise minimieren, indem sie der Anforderung weniger Gewicht beimisst. Sie kann ihre primäre Einschätzung der Information kognitiv verarbeiten und sich bewusst dafür entscheiden, nichts auf diese Gerüchte zu geben und den beiden Nachbarinnen vorerst aus dem Weg zu gehen, um keine weiteren unerwünschten Informationen zu erhalten. Diese indirekte Form von Bewältigung ist insbesondere funktional bei Anforderungen und Situationen, deren Bewältigung