Lerntheoretisch stützt sich das didaktische Konstrukt Projekt zunächst wesentlich auf Erkenntnisse, die aus der Analyse menschlichen Verhaltens resultieren. Zielgerichtetes Verhalten, die Handlung, trägt demnach ein fundamentales lerntheoretisches [26] Paradigma in sich: Das Leben lehrt in der realen Handlung unmittelbar und direkt. Projekte des realen Lebens integrieren in einem dialektischen Verständnis Denken und Handeln, Wissen und Wollen, Theorie und Praxis, Inhalt und Methode sowie Emotionen und Erfahrungen. Handlungstheoretische Überlegungen zeigen, dass dabei das Überwinden von Schwierigkeiten als Implikation aus Denken und Handeln in der Innensteuerung eine zentrale didaktische Kategorie darstellt (vgl. Adolph 1992: S. 168; Aebli 2006; Gudjons 2008; Dewey & Oelkers 2010; Nolting & Paulus 1999: S. 113). „Wer beginnt, Schwierigkeiten kognitiv zu strukturieren, der beginnt zu suchen und zu forschen, zu beobachten und nachzudenken“, schreibt Gottfried Adolf in einem Aufsatz mit dem Titel Projektorientierung – eine Möglichkeit ganzheitlichen Lernens (Adoph 1992: S. 168). Problemhaltige Situationen reizen und motivieren danach – unter bestimmten Bedingungen – zum Nachdenken und Forschen.
Den Überlegungen zu Verwertungsmöglichkeiten der skizzierten handlungstheoretisch gestützten Befunde im Kontext von Aus- und Weiterbildung liegt nun die Vorstellung zu Grunde, dass die Lerner*innen auch in künstlichen, zugleich methodisch geschaffenen und entsprechend rhythmisierten Handlungssituationen (Einstieg, Planung, Erarbeitung, Präsentation, Reflexion), intrinsisch motivierte (Lern-)Handlungen vom Ziel her, also von der Problemlösung – Methode und Inhalt weitgehend eigenständig integrierend – planen und diese Situationen als aktivierend empfinden. Diese Annahme inspiriert auch die Entwicklung von Designprojekten. Die Orientierung von Designprojekten an Handlungen des realen Lebens stellt ein zentrales Paradigma der Planungsüberlegungen dar. Konkret bedeutet dies aber, dass eine aus der Realität ‚herausgelöste‘ Handlungssituation (Aufgabe-/Problemstellung) den Ausgangspunkt für ein didaktisiertes Lern- bzw. Designprojekt darstellt. Die Aufgabenstellung wird im Lernprojekt, aktiv handelnd, weitestgehend selbstständig durch die Lerner*innen bearbeitet bzw. aufgelöst. Das aktive Handeln der Lerner*innen bezieht sich dann aber nicht primär auf die Arbeit mit den realen Artefakten; es bezieht sich vielmehr auf den Prozess der Wissensaneignung in einer virtualisierten Lernumgebung.
Die Projektpädagogik liefert neben der Problemorientierung noch weitere Merkmale, die für Designprojekte nutzbar gemacht werden können. Gudjons konzentriert die Merkmale auf den Situationsbezug, die Orientierung an den Interessen der Beteiligten, die Praxisrelevanz, die Zielgerichtetheit, die Produktorientierung und den Einbezug möglichst vieler Sinne (vgl. Gudjons 2008: S. 79 ff.). Kremer und Sloane nennen Ganzheitlichkeit, kooperatives Lernen und Metakommunikation (vgl. Kremer & Sloane 2001: S. 131). Über Gemeinsamkeiten, Verschränkungen und Schnittmengen können die Merkmale mit Blick auf Designprojekte [27] in einer digital geprägten Lernkultur zu folgender Matrix verdichtet werden (vgl. Schäfer 2012: S. 105):
Tabelle 2: Merkmale einer projektorientierten Pädagogik in der digitalen Welt
Lfd. Nr. | Merkmale | Didaktische Entscheidungen | Operationalisierungsmöglichkeiten in Lern- bzw. Designprojekten | Skalierung |
1. | - Problemorientiert- Situationsbezogen- von gesellschaftlicher Praxisrelevanz | - Wie kann eine Orientierung der Lernsituation an einem konkreten Erlebnis, Faktum, Problem realisiert werden?- Welche realweltlichen Handlungsfelder werden simuliert bzw. sollen simuliert werden? | - Vorgabe von ,realen’ Situationen- Auswahl von Lerngegenständen, die bei den Lerner*innen verbreitet/bekannt/beliebt sind- Problemorientierte Einstiege in die Lehrgangssituation, z. B. Fehlersuche, Messanweisung- etc. | Selbstorganisation (Auswahl der Inhalte)&Selbststeuerung (Organisation der Lernprozesse) |
2. | Zielgerichtet bezüglich des Einsatzes von Ressourcen | Welche Ressourcen und Lernträger sind bereitzustellen?- sächlich- zeitlich- räumlich | - Hard- und Software- Zeitlich: von zwei Unterrichtseinheiten an einem Seminartag bis hin zu mehrtägigen Projekten- Lern- und Produktionsräume zur Verfügung stellen- etc. | |
3. | - Kollaborativ- Kommunikativ- Kritisch | Wie ist das soziale Lernen zu organisieren? | Pädagogische Netzwerke, Kommunikationssoftware, Gruppen-, Einzel- und/oder Partnerarbeit | |
4. | Produktorientiert | Wie erfolgt die Ver- gegenständlichung der Inhalte in den Projekten? | - Produktion von digitalen Designprodukten- Veröffentlichung und Distribution der Produkte |
Tabelle 2 bündelt die Merkmalsspezifik, die der Projektpädagogik zugrunde liegt. Die Merkmale Situationsbezug und gesellschaftliche Praxisrelevanz (Problemorientierung), Planung und Bereitstellung von Ressourcen, kommunikative, kooperative und kollaborative Erarbeitung und Produktorientierung können dabei über den Grad der Selbststeuerung im Anforderungsniveau skalierbar variiert werden. Dieses Lehrbuch stützt sich auf ein Begriffsverständnis, das davon ausgeht, dass der Grad der Selbstorganisation curriculare Vorgaben bzw. Freiheiten adressiert, wobei sich der Begriff Steuerung auf den Lernprozess an sich bezieht (vgl. Dubs 2009). Demnach lernt ein Autodidakt, der seine Inhalte und seine Lernstrategien eigenständig definiert und anwendet, zu 100 % selbstorganisiert und selbstgesteuert (vgl. Schäfer 2012; S. 106). In diesem Verständnis zeigt die Spalte „Skalierung“ [28] in Tabelle 2, dass die genannten Merkmale in ihrem Anforderungsniveau über den Grad der Selbststeuerung variiert werden können. Eine 100%ige Selbststeuerung setzt dabei ideale Lerner*innen voraus. In der Praxis fordert eine inklusive Projektumsetzung in der Regel die Moderation unterschiedlichster Niveaus. Hier ist die pädagogische Professionalität der Lehrkräfte gefragt. Professionell bedeutet dabei, dass die Lehrkräfte ein selbstgesteuertes Lernhandeln bei Bedarf temporär in die Fremdsteuerung überführen, um Feinjustierungen vorzunehmen und eine demotivierende Überforderung der Lerner*innen zu vermeiden (vgl. Schäfer 2012). Designprojekte unterstützen diesen Prozess, indem sie Freiräume für die individuelle Moderation schaffen. Das betrifft praktisch alle Phasen von Designprojekten (vgl. Kapitel 6).
Zum didaktischen Prinzip Lernen durch Lehren: Jede Präsentationsphase setzt lerntheoretisch auf das Prinzip, dass nur das präsentiert werden kann, was auch tatsächlich verstanden bzw. durchdrungen wurde. Designprojekte setzen dieses Prinzip in einer technisierten Lernumgebung um.
Wenn man jemandem etwas erklären möchte, muss man ein mehr oder weniger tiefes Verständnis von den Inhalten entwickelt haben, die transportiert werden sollen. Es erscheint also absolut plausibel, wenn dieses Prinzip im pädagogischen Kontext nutzbar gemacht wird. Entsprechend hat das in diesem Lehrbuch ausdifferenzierte mediendidaktische Konzept ein analoges Pendant, das in der Pädagogik unter der Bezeichnung Lernen durch Lehren (LdL) diskutiert wird. Lernen durch Lehren oder auch Lernen durch Erklären wird dabei als lerner*innenaktive Methode beschrieben, bei der die Lerner*innen ihre Kompetenzen weiterentwickeln, indem sie sich gegenseitig die Inhalte vermitteln.
Die designorientierte Didaktik greift den LdL-Ansatz auf und entwickelt ihn zu einem mediendidaktischen Konzept weiter, bei dem das Lernen durch ‚Filmproduktion‘ bzw. Erklären im Medium Film umgesetzt wird. Digitalen Medien und Technogien kommt dabei eine besondere