Mr. Bingley hatte ein Vermögen von beinahe 100000 Pfund von seinem Vater geerbt, der eigentlich einen größeren Herrensitz hatte erwerben wollen, aber durch seinen Tod daran gehindert worden war. Auch Mr. Bingley hatte dies vor und suchte hin und wieder nach einer geeigneten Gegend dafür; aber da er nun mit einem angemessenen Haus versorgt war und die Freiheit des damit zusammenhängenden Jagdrechts genoss, fragten sich viele, die seine Unbeschwertheit am besten kannten, ob er nicht den Rest seines Lebens in Netherfield verbringen und den Kauf der nächsten Generation überlassen würde.
Seine Schwestern wollten unbedingt, dass er einen großen Besitz sein Eigen nannte. Aber obwohl er sich jetzt nur als Pächter angesiedelt hatte, war Miss Bingley durchaus gewillt, an seiner Tafel die Rolle der Hausherrin zu übernehmen, und auch Mrs. Hurst, die eher einen Mann von Mode als von Vermögen geheiratet hatte, war nicht abgeneigt, sein Haus als ihres zu betrachten, wann immer sie Lust dazu verspürte. Mr. Bingley war erst knapp zwei Jahre volljährig, als er durch eine zufällige Empfehlung dazu verleitet wurde, sich Netherfield anzusehen. Er sah sich den Besitz an, eine halbe Stunde lang auch von innen, war angetan von der Lage und den Wohnräumen, einverstanden mit dem, was der Besitzer zu seinem Lob vorbrachte, und nahm ihn sofort.
Zwischen ihm und Darcy bestand trotz des großen Gegensatzes ihrer Charaktere eine sehr feste Freundschaft. Seine Ungezwungenheit, Offenheit und Anpassungsfähigkeit zogen Bingley zu Darcy hin, obgleich dessen Anlagen keinen größeren Kontrast zu seinen eigenen bilden konnten, mit denen er doch nie unzufrieden schien. Zu Darcys Ansichten hatte er unbegrenztes Vertrauen und vor seiner Urteilskraft die größte Hochachtung. An Intelligenz war Darcy ihm überlegen. Bingley war zwar keineswegs dumm, aber Darcy war gescheit. Dennoch war er hochmütig, reserviert und anspruchsvoll, und sein Benehmen, wenn auch untadelig, war nicht entgegenkommend. In dieser Hinsicht war ihm sein Freund weit überlegen. Bingley konnte sicher sein, Sympathie zu finden, wo immer er erschien; Darcy erregte ständig Anstoß. Die Art und Weise, wie beide über den Ball in Meryton urteilten, war bezeichnend dafür. Bingley hatte in seinem Leben nie angenehmere Leute oder hübschere Mädchen gesehen; alle seien außerordentlich freundlich und aufmerksam zu ihm gewesen; es habe weder Formalität noch Steifheit gegeben; er habe sich mit allen im Saal gleich gut verstanden; und was Miss Bennet betreffe, ein Engel könne nicht schöner sein. Umgekehrt hatte Darcy eine Ansammlung von Leuten von wenig Ansehnlichkeit und Geschmack erlebt. Keinem konnte er auch nur das geringste Interesse abgewinnen, und keiner war ihm aufmerksam oder freundlich begegnet. Er gab zu, dass Miss Bennet hübsch sei, aber sie lächle zu viel.
Mrs. Hurst und ihre Schwester gaben ihm darin recht – aber sie fanden Jane sympathisch und mochten sie gern. Sie nannten sie ein reizendes Mädchen und hatten nichts dagegen, sie näher kennenzulernen. So wurde denn Miss Bennet zum reizenden Mädchen erklärt, und ihrem Bruder stand es nach diesem Kompliment frei, von ihr zu halten, was er wollte.
Kapitel 5
Nur einen kurzen Spaziergang von Longbourn entfernt wohnte eine Familie, mit der die Bennets besonders gut befreundet waren. Sir William Lucas hatte früher ein Geschäft in Meryton betrieben, wo er ein ansehnliches Vermögen erworben hatte und als Bürgermeister nach einer Ansprache an den König geadelt worden war. Diese ehrenvolle Auszeichnung war ihm vielleicht zu Kopf gestiegen, jedenfalls flößten ihm seine Firma und sein Wohnsitz in einer Kleinstadt nun Widerwillen ein; er hatte beides aufgegeben und sich mit seiner Familie in ein Haus – seitdem Lucas Lodge genannt – sieben Meilen vor den Toren Merytons zurückgezogen, wo er sich seiner eigenen Bedeutung widmen und, unbehindert von Geschäften, ausschließlich freundlich zu allen Leuten sein konnte, denn obwohl sein neuer Rang seine soziale Stellung erhöht hatte, war er nicht hochmütig geworden, sondern im Gegenteil liebenswürdig zu jedermann. Seine Einführung bei Hof hatte ihn, der von Natur verträglich, freundlich und entgegenkommend war, galant gemacht.
Lady Lucas war eine gutmütige Frau, und ihre Klugheit hielt sich so in Maßen, dass sie für Mrs. Bennet eine unentbehrliche Nachbarin war. Sie hatten mehrere Kinder. Die älteste Tochter, eine vernünftige, kluge junge Frau von etwa 27 Jahren, war Elizabeths beste Freundin.
Dass die Töchter der beiden Familien sich trafen, um über einen Ball zu sprechen, lag auf der Hand; und am Morgen danach kamen die Damen von Lucas Lodge nach Longbourn, um ihre Eindrücke auszutauschen.
»Für dich fing der Abend großartig an, Charlotte«, sagte Mrs. Bennet mit höflicher Selbstbeherrschung zu Miss Lucas, »du warst Mr. Bingleys erste Wahl.«
»Ja, aber anscheinend zog er seine zweite Wahl vor.«
»Oh, du meinst sicher Jane, weil er zweimal mit ihr getanzt hat. Es sah zwar so aus, als ob er sie wirklich anhimmelte – ja, ich glaube, das tat er wirklich –, ich habe so etwas gehört, aber ich erinnere mich nicht, was – irgendetwas über Mr. Robinson.«
»Meinen Sie das Gespräch zwischen ihm und Mr. Robinson, das ich mit angehört habe? Habe ich es Ihnen nicht erzählt? Wie Mr. Robinson ihn fragte, ob ihm der Ball in Meryton gefalle und ob er nicht auch finde, dass es viele hübsche Mädchen hier gebe, und wen er am schönsten finde, und wie er auf die letzte Bemerkung sofort antwortete: ›Na, Miss Bennet natürlich, keine Frage; daran gibt es nichts zu deuteln.‹«
»Was du nicht sagst! Das klingt ja wirklich sehr vielversprechend, das klingt, als ob … aber, wer weiß, vielleicht wird ja gar nichts daraus.«
»Ich hatte mehr Glück beim Mithören als du, Eliza«, sagte Charlotte, »bei Mr. Darcy macht es sicher nicht so viel Spaß wie bei seinem Freund. Arme Eliza! Gerade nur passabel zu sein.«
»Bitte, rede Lizzy nicht ein, sich Gedanken über diese Flegelei zu machen, denn er ist ein so widerlicher Mann, dass es ein richtiges Unglück wäre, wenn er sie leiden möchte. Mrs. Long hat mir gestern Abend erzählt, dass er eine halbe Stunde neben ihr gesessen hat, ohne auch nur ein einziges Mal den Mund aufzumachen.«
»Bist du sicher, Mutter? Hast du dich nicht verhört?«, sagte Jane. »Ich habe gesehen, wie Mr. Darcy mit ihr gesprochen hat.«
»Ja, aber nur, weil sie ihn schließlich gefragt hat, wie ihm Netherfield gefällt, und da konnte er nicht anders als antworten; aber sie hatte den Eindruck, er war ärgerlich, dass sie ihn angesprochen hatte.«
»Miss Bingley hat mir erzählt«, sagte Jane, »dass er nie viel sagt, außer zu guten Bekannten. Zu ihnen ist er ungewöhnlich nett.«
»Ich glaube kein Wort davon, Kind. Wenn er wirklich nett wäre, hätte er mit Mrs. Long gesprochen. Aber ich kann mir schon vorstellen, wie es war. Alle sagen, er weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, und wahrscheinlich hatte er gehört, dass Mrs. Long keine Kutsche besitzt5 und deshalb mit einer Mietdroschke gekommen war.«
»Ob er mit Mrs. Long spricht oder nicht, ist mir egal«, sagte Miss Lucas, »aber er hätte mit Elizabeth tanzen müssen.«
»Wenn ich du wäre, Lizzy«, sagte ihre Mutter, »würde ich beim nächsten Mal nicht mit ihm tanzen.«
»Du kannst dich drauf verlassen, Mutter, dass ich nie mit ihm tanzen werde.«
»Ich finde den Stolz bei ihm nicht so schlimm«, sagte Miss Lucas, »weil es eine Entschuldigung dafür gibt. Dass ein so vornehmer junger Mann von Familie und Vermögen und mit vielen anderen Vorzügen eine gute Meinung von sich selbst hat, wundert mich gar nicht. Ich finde, es ist sein gutes Recht, stolz zu sein.«
»Einverstanden«, antwortete Elizabeth, »und ich könnte ihm seinen Stolz leicht verzeihen, wenn er meinen nicht verletzt hätte.«
»Stolz«, bemerkte Mary, die sich etwas auf ihre tiefgründigen Einsichten zugutehielt, »ist, glaube ich, ein weitverbreiteter Fehler. Durch meine Lektüre bin ich sogar überzeugt, sehr weit verbreitet. Die menschliche Natur ist besonders anfällig dafür, und nur wenige von uns hegen nicht aufgrund des einen oder anderen eingebildeten oder wirklichen Vorzugs ein Gefühl der Selbstgefälligkeit. Eitelkeit und Stolz sind allerdings verschiedene