Seismische Tomographie
Die Methode der seismischen Tomographie beruht darauf, dass mit Hilfe einer großen Anzahl von seismischen Wellen im dreidimensionalen Raum des Erdmantels festgestellt wird, ob eine bestimmte Zone des Mantels etwas heißer oder etwas kühler ist als ihre Umgebung [Anderson & Dziewonski 1984]. Dabei werden jeweils Laufzeiten von Wellen verglichen, die zwar unterschiedliche Wege zurücklegen, aber alle einen räumlich eng umgrenzten Bereich im Mantel durchlaufen. Durch Vergleich der Laufzeiten kann geschlossen werden, ob die Wellen in dem betrachteten Bereich die erwartete Geschwindigkeit aufweisen oder beschleunigt oder verzögert werden. Ist das Gestein heißer, dann werden die seismischen Wellen, deren Geschwindigkeiten in Kilometern pro Sekunde gemessen werden, verzögert, ist es kühler, werden sie beschleunigt (Abb. 2.19). Es können dabei unterschiedliche Wellentypen herangezogen werden.
Die Unterschiede in den Geschwindigkeiten variieren, je nach Wellentyp, um einige zehntel bis zu maximal drei Prozent. Kühlere Mantelregionen können mit absteigenden Strömen korreliert werden, heißere mit aufsteigenden. Auf diese Weise erhält man ein dreidimensionales Bild des Strömungsmusters des Erdmantels. Die Untersuchungen zeigen, dass dieses Strömungsmuster äußerst kompliziert ist (Abb. 2.20). Allerdings lassen sich dort, wo lang anhaltende Subduktion ge herrscht hat (unter Amerika, dem Alpen-Himalaya-Gürtel und dem westlichen Pazifik), kalte, schräg abtauchende Bereiche bis in die Tiefen des Unteren Mantels (Abb. 2.21) und sogar bis an die Kern Mantel-Grenze verfolgen (Abb. 2.22). Obwohl Subduktionszonen seismisch nur im Oberen Mantel (bis etwa 660 km Tiefe) nachgewiesen werden können, induzieren die kalten, abtauchenden Platten wieder kalte Ströme im Unteren Mantel. Die subduzierten Platten werden zwar gr0ßteils schon im Oberen Mantel resorbiert, doch sind andere Teile sehr beständig und können wegen ihres hohen spezifischen Gewichts die Grenze zum festeren Unteren Mantel, die eine Barriere darstellt, durchbrechen. Das Durchdringen des Unteren Mantels erfolgt mit weit geringeren Geschwindigkeiten: Unter Südamerika wurden Sinkraten von 1 – 1,5 cm/Jahr errechnet [Grand et al. 1997]. Durch den hohen Widerstand des Unteren Mantels werden die Reste der subduzierten Platte gestaucht und deformiert (Abb. 2.22).
Abb. 2.19: Prinzip der seismischen Tomographie. Temperaturanomalien im Erdmantel bewirken Erhöhungen bzw. Erniedrigungen der Laufzeiten seismischer Wellen. Aus einer Vielzahl von Laufzeitmessungen können heiße bzw. kühle Körper im dreidimensionalen Raum relativ genau lokalisiert werden.
Abb. 2.20: Dreidimensionale Darstellung der Ergebnisse der seismischen Tomographie im Erdmantel (https://igppweb.ucsd.edu/~shearer/mahi/SEDI/main/images/Tomo_earth.jpg).
Abb. 2.21: Abweichungen der Geschwindigkeiten der seismischen Primärwellen vom Normalwert in je einem Horizontalschnitt durch den Oberen Mantel in 350 km Tiefe [Anderson & Dziewonski 1984] und im Unteren Mantel in 1350 km Tiefe [Grand et al. 1997]. Rote Bereiche markieren heißere, aufsteigende Zonen, blaue Bereiche kühlere, absteigende.
Unter den Mittelozeanischen Rücken lassen sich hingegen keine heißen Strömungsäste in die Tiefe verfolgen, da die Rücken nur von den höheren Teilen des Oberen Mantels gespeist werden. In 350 km Tiefe unter dem Ostpazifischen Rücken ist die Temperaturverteilung unregelmäßig und für die Tiefenlage nicht sehr hoch (Abb. 2.21 oben). Unter dem äquatorialen Mittelatlantischen Rücken und dem östlichen Indischen Rücken ist sie sogar ausgesprochen niedrig. Einzelne Heiße Flecken sind mit der seismischen Tomographie schwer nachzuweisen, da die relativ dünnen, fingerartigen heißen Ausstülpungen mit dieser Methode schwer zu erfassen sind.
Abb. 2.22: Profil durch den Erdmantel unter Nordamerika mit Ergebnissen der seismischen Tomographie [Grand et al. 1997]. Der schräg nach Osten abtauchende kühle Bereich (blau) wird als Überrest subduzierter ozeanischer Lithosphäre der Farallonplatte interpretiert, die über einen Zeitraum von etwa 100 Millionen Jahren unter die Nordamerikanische Platte subduziert wurde.
3. Kontinentale Grabenbrüche
Ein kontinentaler Grabenbruch, auch Rift (engl. Spalte, Riss) genannt, ist eine schmale und lang gestreckte Struktur in der Erdkruste, die an der Erdoberfläche ihren Ausdruck in einer zentralen Einsenkung entlang der Grabenachse findet (Abb. 3.1, 3.2). Die Grabenschultern flankieren den Graben und stellen hochgehobene Zonen dar, die steil nach innen (zum Grabenbruch hin) abfallen und eine flache Abdachung nach außen hin aufweisen. Das bekannteste Beispiel ist das Ostafrikanische Grabenbruchsystem. Manche Grabenbrüche werden von Transformstörungen abgeschnitten und setzen sich an anderer Stelle fort. Ein Beispiel hierfür ist der Oberrheingraben, dessen südliche Fortsetzung im Bresse- und Rhônegraben zu finden ist (siehe unten). Grabenbruchsysteme stellen Dehnungszonen in der Erdkruste und dem lithosphärischen Mantel dar, die Kruste bzw. Lithosphäre wird entlang dieser Zonen ausgedünnt (Abb. 3.3). Es gibt aber auch breite Dehnungszonen, die ihren Ausdruck nicht in einem lang gestreckten Grabenbruch, sondern in einer flächigen Krustenzerrung mit hintereinander gestaffelten Gräben finden. Das beste Beispiel hierfür ist die Basin-and-Range-Provinz im westlichen Nordamerika. Es gibt auch Grabenbrüche in ozeanischer Kruste. Hierher gehören vor allem die lang gestreckten Mittelozeanischen Rücken, auf die in Kapitel 5 eingegangen wird.
Der Dehnungsbetrag von Grabenbrüchen quer zur Grabenachse kann sehr unterschiedlich sein und bewegt sich zwischen etwa 5 km beim Oberrheingraben und 50 km beim Rio-Grande-Rift in New Mexico. Bei den kontinentalen Grabenbrüchen geht die Dehnung in der Oberkruste bis in etwa 15 km Tiefe durch Bruchbildung vor sich, was sich durch Erdbeben bemerkbar macht. In der tieferen Kruste findet hingegen plastische („duktile“) Verformung statt, da die dort heißeren Gesteine vorwiegend bruchlos deformiert werden: Sie sind plastisch knetbar, ohne jedoch geschmolzen zu sein. Die Störungen oder Verwerfungen in der Oberkruste, die zur Einsenkung des Grabens führen, sind Abschiebungen, die typischerweise Einfallswinkel von 60 bis 65° zum Grabeninneren aufweisen (Abb. 3.2). Der Hangendblock, das ist jener Block, der oberhalb jedes beliebigen Punkts auf der Störungsfläche liegt, wird dabei