Die einsame Mühle fernab vom Dorf hallte wider von fröhlichem Getöse.
Hannes war der Lustigste von allen. Hatte er denn nicht auch Grund dazu? Eine feine, eine zierliche Braut war sein, eine von anderer Art als die starkknochigen Eifeldirnen, so hübsch die am Ende auch waren! Und daß sie nebenbei Geld hatte, war gerade kein Unglück; freilich, er selber machte sich nicht viel daraus, des Geldes hatte er ja auch so genug. Aber daß sie gebildet war, erst ein halbes Jahr aus der Kloster-›Pensjohn‹ der lieben Nönnchen von Trier zurück, das stach ihm in die Augen.
Der Vater steckte ihm einen Taler zu, nach alter Eifeler Sitte, von der die Jugend nichts mehr weiß – das Handgeld für die Braut. Übermütig warf der Bursche der Jungfrau den Taler in den Schoß, und sie nahm ihn errötend. Nun waren sie einander versprochen. Im Mai, wenn alles grünte, sollte die Hochzeit sein.
Das Essen hörte gar nicht auf. Der Nachmittag fing an, sich zu neigen, da mußte man doch noch ein gediegenes Nachtmahl halten, ehe der Nelles mit seiner Gesellschaft sich auf die Rückreise machte. Unterwegs würden sie dann Quartier nehmen, wie letzte Nacht in Gillenfeld; denn es bringt kein Glück, wenn Brautleute vor der Hochzeit im selben Haus übernachten.
Die Alten stopften sich voll an gesüßtem Mus, an Bratwurst und Schinken und am besonderen Leckerbissen: dem gräucherten Kuheuter. Schade nur, daß man jetzt keinen der fetten Aale hatte erwischen können, die zur Frühjahrszeit, wenn das Maar beim Dorf aus seinen Ufern steigt und die Wiesen überwässert, wie Schlangen durch die Gräben glitschen, mit Händen zu greifen.
Hannes und Tina aßen nicht so viel wie die anderen. Jetzt, da sie wußten, daß sie einander angehören sollten, loderte ihre Verliebtheit. Tina saß bebend auf ihrem Stuhl und schaute unverwandt in ihren Schoß; ihr Herz pochte, wie es noch nie gepocht. Das hatten sie die Nonnen nicht gelehrt, wie man sich benimmt, wenn man verliebt ist; und eine Mutter hatte sie schon lange nicht mehr. So zeigte sie es ihm offen, wie sehr er ihr gefiel. Als er ihr das alte Lied ins Ohr summte:
»Wann alle Brünnlein fließen,
so soll mer trinken,
Wann ech mei’ m Schatz net rufen därf,
Tu ech em winken.
Jao, winken mit den Augen
On treten mit dem Fuß:
’t is eine in der Stuben,
Die mein werden muß –«
litt sie den Druck seines Knies und wich nicht dem Fuß aus, der unterm Tisch den ihren suchte. Und als er ihr ein Zeichen machte, folgte sie ihm willig hinaus in den dunklen Flur. Er zog sie gegenüber in die Mahlstube. Dort schaukelte die Oellampe unter der Decke und warf heimlich zwinkernde Lichter auf die, teils mit Korn, teils schon mit gemahlenen Früchten gefüllten Säcke längs der Wand, auf das schmale Lager des Müllerburschen, auf den großen Mehlkasten in der Ecke und auf die Spinneweben, die vom Mehlstaub wie mit silbernem Reif umsponnen, gleich Festons, von Balken zu Balken hingen.
Es war frisch aufgeschüttet; alle beiden Gänge waren in Tätigkeit. Die Verlobten lehnten sich gegen das kleine Holzgeländer, das die ein wenig erhöhte Diele von dem tiefer liegenden Werk abschloß. Hannes wies dem Mädchen, wie die Schälmühle arbeitete, aus der sich in unablässigem, goldenem Fluß die gereinigte Frucht ergoß. Stolz zeigte er ihr die riesigen Mahlsteine, die das Korn in nimmerrastender Arbeit zerrieben, bis es fein und weiß durch die seidene Müllergaze hindurchstäubte. Hei, wie das klapperte und schaffte! Und ganz unten regte sich’s unsichtbar und rauschte und schlug und pochte und stampfte – das war das große Rad, das alles trieb: das Herz der Mühle.
Tina hatte ihren Spaß daran, sie klatschte in die Hände: ach, wie das hier lecker roch, so mehlig, so nahrhaft, so nach Fülle und Sattsein! Hannes zog sie nach sich, da vergaß sie ganz, ihr Kleid wieder zu raffen, das sie beim Eintreten sorgfältig aufgehoben. Mochte es weiß werden, war sie doch nun bald eine Müllersfrau. Und er setzte sich auf die schmale Pritsche des Müllerknechtes und nahm sie auf seinen Schoß. Sie ließ sich nehmen, sie war wie betäubt. Unwillkürlich suchte ihre Hand nach dem kleinen Herrgöttchen, das ihr an schwarzer Schnur um den Nacken hing; daran hielt sie sich fest. Alles ging mit ihr rundum im lustigen Geklapper der Mahlstube, in dieser großen Glückseligkeit.
Hannes küßte sie ab; seine warmen Lippen suchten ihren wenig gebräunten, weichen Hals, ihre noch kindlich-runden Wangen, das Grübchen am Kinn, die schmalen, etwas blassen Lippen. Man konnte ihm nichts abschlagen. Wenn er bettelte: »E Küßche!«, so mußte sie ihm eins geben – nein, nicht eins, hundert!
»Haste mech lief?«
Da schmiegte sie sich wortlos fester an ihn.
Klingling! Bei dem blechernen Klang des Läutwerks fuhr Tina erschrocken auf. Jetzt kam auch schon der Knecht gerannt auf das Signal, das der hungrige Trichter gegeben, um dem ein paar Wannen voll Korns ins Maul zu schütten. Und über den Flur dröhnte die derbe Stimme des Müllers: »Kobes, Nikla, spannt an eweil!«
Eilig wollte Tina hinaushuschen, aber Hannes hielt sie fest. Was ging’s ihn an, wenn auch andere dazukamen? Das war jetzt sein gutes Recht! Und er nahm sein Mädchen um so fester in den Arm und schmatzte es noch einmal ordentlich ab. –
Tina war ganz verstört, als ihr zukünftiger Schwiegervater ihr auf den Wagen half. Ihr Kleid war zerdrückt, ihre glatten Zöpfe rauh. Vorn bei den ungeduldigen Pferden stand Hannes und hielt sie beim Kopf; im trüben Licht der flackernden Stallaterne, die der Knecht hochhielt, suchte Tina noch einmal, halb schüchtern, halb verlangend, ihres Bräutigams Blick. Wenn sie jetzt wieder gefahren kam – herrje, dann war sie schon seine Frau!
Sie konnte ihr Glück kaum zähmen. Der Wind war ihr eben recht, der vom Maar her dem Gefährt in den Rücken schnaufte und wie ein böses Tier, eingesperrt zwischen den Bergen, fauchte. Der Ohm und die Tante fingen an zu jammern, und der Vater hieb auf die Gäule, die in dem halb gefrorenen, halb geweichten Märzschnee nur mühsam vorankamen. Das konnte noch eine böse Fahrt werden bis Gillenfeld! Die Tant’ Angenies fürchtete sich vor dem Umwerfen; das Wägelchen kippelte höchst bedenklich und schaukelte wie ein Schiff von einer Seite zur andern.
Jetzt, da sie die Mühlenschlucht verließen und einbogen ins Tal der Kleinen-Kyll, stieß die Tante einen lauten Kreischer aus und fuhr sich mit beiden Händen an die Ohren: hinter ihnen krachte und knallte es plötzlich und donnerte gefährlich in vielfachem Echo von den felsigen Wänden wider. Nun noch einmal und noch einmal! Die Pferde bäumten sich.
Aber Tina lächelte still selig in sich hinein, streifte das verhüllende Tuch vom Kopf und lauschte, die heißen Wangen frei dem kalten Eifelwind bietend – das tat ihr Hannes, ihr Bräutigam, der weckte die toten Berge mit Freudenschüssen und zeigte ihnen seinen Hillig[1] an.
Der Abend war sehr dunkel geworden, so dunkel, daß Hannes, der noch spät die Mühle verließ, beinahe ins Maar gepatscht wäre, hätte er nicht so genau gewußt, daß man hier, wo die finsteren Berge der Talschlucht auseinandertreten und sich jäh erweitern zum Kessel des Maars, nicht rechts umbiegen muß beim Steinkreuz, sondern links, wo das Heiligenbild den Pfad durch die moorige Wiese zum Dorf weist.
»Kotzdonner noch ehs!« Hätte er sich doch eine Laterne mitgenommen! Die Hände in den Hosentaschen, schrill pfeifend, trabte er voran. Vom Maar her zog’s, der Maarwind kam und stieß ihn in die rechte Seite. Da blieb er einen Augenblick stehen. Allerhand Getöns war in der schwarzen Nacht, der auch der Schnee kein Licht gab. Aber sein scharfer Blick sah doch das Maar, den farblosen Spiegel, umkränzt von nackten Höhen, die jetzt, ins Ungeheuerliche vergrößert, an den Himmel stießen. Und dort, ganz im Winkel, dem steilen Hange angequetscht, in nächtigem Flor: Maarfelden.
Wanderer gehen nicht gern hier bei Nacht, der Boden schwankt eigen unter der Last der Trittes. Es war vor Zeiten hier einmal alles Maar gewesen – Maar, wo jetzt die Hütten stehen und die Kirche mit dem tiefblauen Schieferdach – Maar, wo jetzt die schilfigen Wiesen sich breiten –