Nun hatten die Pferde die Höhe gewonnen. Da war schon das Waschhaus, das, wie auf Vorposten hinausgeschoben, die Nähe des Dorfes kündet. An der Quelle, die, durch die Mauer geleitet, drinnen in die steinernen Tröge plätschert, stand ein Mädchen und spülte Leinzeug. Sie war jung und drall und rief lachend: »Gud Zeit!«
Da machte der Müller: »Brr!« Die Pferde standen.
War wo ein Strählchen Sonne hinter den Wolken, hier oben am Waschhaus traf das. Hier sangen den ganzen Sommer über die Grillen im Gemäuer, und waren die im Winter gestorben, so sangen noch die jungen Mädchen von Manderscheid, und ein Summen und ein Gurren tönte weithin von emsig sich rührenden Zungen. Heut war die eine allein hier, aber sie galt für zehn, Hannes glaubte lange nicht, eine so hübsche gesehen zu haben. Sie bespritzte ihn zwar mit Wasser und schwenkte ein nasses Handtuch zur Abwehr vor sich her – aber es war ja der Müller-Hannes, dem schlug man ein Küßchen nicht ab.
Die Pferde scharrten schon ungeduldig, und der Hund bellte dumpf, da stieg ihr Herr endlich wieder auf. Noch ein Nicken, ein schäkernder Gruß, ein Lachen, das das Echo am Mosenkopf herausforderte, und Müller-Hannes raste dem Dorf zu. Nun war er wieder wohlgemut. Ihn dünkte schier, die Kleine am Waschhaus hatte die Sonne hervorgehext. Richtig, da guckte die bleiche Novembersonne auch schon aus den Nebeln! Jetzt zur Mittagszeit hatte sie noch Kraft und brannte ihn förmlich auf den breiten Rücken. Ein Behagen sondergleichen durchrieselte ihn: ah, nun war’s pläsierlich!
Aus dem ersten Häuschen des Dorfes rief ihn einer an. Es war der Bäcker Driesch; dürftig nur war sein Lädchen, dem Mann standen die Sorgen auf der Stirn. Schon lange war er schuldig fürs Mehlmahlen und für manchen Scheffel Korn, den er noch dazu beim reichen Müller entlehnt.
An die zwanzig Taler machte die Rechnung. Nun konnte er heut endlich zahlen, wenn es dem Hannes genehm war, das Geld selber mitzunehmen. Der sprang vom Wagen und ließ es sich in blanken Talern auf die Theke zahlen; fast reute es ihn, das einzustecken, denn dem Driesch schien das Geld an den Fingern zu kleben, und die Frau mit dem verarbeiteten Gesicht, die durch die Türspalte zusah, folgte jedem Talerstück mit einem langen Blick. Wie konnte man nur so an den paar Talern hängen!
Pfeifend schwang sich Müller-Hannes wieder auf seinen Wagen und hielt bald danach vor des Laufeld Haus.
Jakob Laufeld wohnte der Kirche gerade gegenüber. Sein Haus war stattlich und fein zartgrün gestrichen; Stallung und Remise gehörten dazu, und auf dem Hof breitete sich ein stattlicher Misthaufen.
Auf der Bank vor der Tür saß ein halbwüchsiger Knabe; Nero sprang vom Kutschsitz und fuhr ihm an die Hose. Aber da bekam er einen Tritt mit dem nägelbeschlagenen Absatz gegen die Schnauze, daß er winselnd unter den Wagen kroch. Diesmal hatte er sich geirrt, dies hier war kein armseliger Handwerksbursche oder ein elendes Bäuerlein, dies war des Laufeld Joseph.
Die Hände in den Hosentaschen, stand das Josephche und starrte den Müller an.
»Es Dein Vadder zo Haus?«
»Gieht sälwer kucken!«
Der Junge rührte sich nicht. Es blieb Hannes nichts übrig, als selber die Zügel der Pferde um den Haken in der Mauer zu schlingen und schweren Trittes in den Flur zu stampfen. Niemand kam ihm entgegen.
Der Laufeld saß in der großen Stube zu ebener Erde am Zylinderbureau, über dem die große Lithographie des Abgeordneten Windthorst hing, und hatte durchs Fenster alles draußen gesehen. Was, der von der lumpigen Mühle kam zweispännig, der wollte sich wohl gar vermessen, er sei reicher wie er? Oho, wenn die Leute auch sprachen: »Der reiche Müller – der reiche Laufeld« – der einzig Reiche in Wahrheit war doch nur er, er allein! Mochte der Hannes nur immer draußen ein wenig warten.
Mit leisen Schritten ging Jakob Laufeld rasch durch die Stube und machte die Tür zum Nebenzimmer breit auf, damit der Besucher die roten Plüschmöbel sehen könnte, die goldgerahmte Öldrucke an den Wänden und das breite Tafelklavier, das Prachtstück der Einrichtung, die im Dämmerlicht der immer geschlossenen Läden wie neu erschien.
Es pochte.
»Angtree!«
Müller-Hannes trat ein.
»Boschur,« sagte er unbefangen. Er hatte den schlechten Empfang wohl übel vermerkt, aber er war zu stolz, um das zu zeigen. »Boschur, Laufeld.«
Jakob Laufeld tat sehr überrascht.
»Ihr seid et, Hannes – nä, ech saon doch, esu en Üwerraschung! Ech haon neist gehört. Plaziert Eich! Wuh stechen dann de Knecht? Michel, Lorenz, Steffen!« Er machte die Tür zum Flur auf, und nun schrie er auch noch nach den Mädchen: »Bäbbche, Kättche, Adelheid! spannt dem Müller de Perd’ aus! Bringt des Bernkastler on zwei Gläser!«
»Laoßt nor dat Ausspannen,« sagte Hannes hochfahrend. Er hatte sich nicht gesetzt, aber während der andere ihm den Rücken kehrte, einen Blick in die gute Stube nebenan geworfen. Hei, war die nobel, viel nobler als seine zu Haus! Und ein Klavierchen! Kotzdonner, wahrhaftig ein Klavierchen! Schwer riß er den Blick davon los.
Aus der rechten Hosentasche zog er einen Beutel mit Geld, aus der linken auch einen. Mit einem Plumps ließ er beide auf die Platte des Zylinderbureaus fallen. »Hei, zählt noren, et stimmt,« sagte er nachlässig. »On dann, hei« – aus der Brusttasche brachte er nebst einem Bündel verknüllter Kassenscheine die ihm von der Bank vorgeschriebene Quittung zum Vorschein – »hei, unnerschreiwt dat, on dann sein mir quitt!«
»Hm,« machte der Laufeld; und dann fing er an, nachzuzählen: »Zwanzig, vierzig, sechzig, achtzig, hunnert,« bis die Fünftausend voll waren. Dabei ärgerte er sich; wahrhaftig, der Hannes machte ein Gesicht, als seien die Fünftausend ein Gassendreck! War der wirklich reicher, als man dachte? Das hätte er gern gewußt. Er schlug auf den Strauch.
»No, Müller-Hannes, Ihr seid sao gud geteert?«
»Gud geteert, noch besser geschmeert,« sprach der.
»Ihr haot woll dat gruße Los gezillt, dat Eich de Goldstückelcher esu ahfgiehn, wie annern Leit die Würm?«
»Kann sein!« Der Müller-Hannes lachte: nun wußte er’s, der Laufeld ärgerte sich, hatte wohl gar gedacht, er solle kommen und betteln und jammern. »En Zehr-, en Ehr-, en Not-, en Wehrpfennig muß mer immer im Haus haon,« sagte er höchst ehrenwert und klapperte mit den Talern, die er beim Driesch eingenommen, in der Hosentasche, während der Laufeld sein Geld packte und sorgfältig ins Zylinderbureau verschloß.
Die unterschriebene Quittung steckte nun Hannes gelassen ein und griff nach seinem Hut. Eben kam ein Mädchen herein, das die Flasche Bernkastler unterm Arm trug und ein Tablett mit zwei Gläsern vor sich her. Hinter ihr kam der Junge, der vorhin draußen auf der Bank gesessen.
»Meine Joseph,« sagte der Laufeld, gleichsam vorstellend.
Es gab Hannes einen Stich durchs Herz: was hatte der Laufeld für einen hübschen, strammen, kecken Jungen, und er – er hatte keinen! Alles Blut schoß ihm zu Kopf. Er starrte den Knaben an, und dieser starrte wieder mit dem dreisten Blick des verwöhnten Jüngsten. Die älteste von den Schwestern des Josephchen war verheiratet, die andere: Nönnchen im Kloster; der Junge wußte es wohl, ihm allein fiel hier das Anwesen zu.
Draußen fing jetzt das Glöckchen der Kirche an zu läuten. Jakob Laufeld schlug rasch ein Kreuz und sah dann etwas verlegen nach Hannes hin: sollte er wegen dem da die Mittagsandacht versäumen, noch dazu am Tage des mildtätigen Heiligen, des Bischof Martinus?!
Hannes bemerkte seine Unruhe.
»Ech giehn schuns,« sagte er. Und dann mit gutmütigem Spott: »Lauft noren, Laufeld, lauft, dat Ihr net zu spiet kommt. Ech denken, dat sein net alleweil de Frömmsten, die in der Kerch dat größte Kreiz schlaon!«
Dem Laufeld wurde heiß, gern wäre er dem frechen Lästerer übers Maul gefahren, aber er bezwang sich. Groß Maul und Übermut tun selten gut – der würde schon die Heimzahlung kriegen!
Die Flasche Bernkastler blieb ungetrunken.
Auf