Vom Müller-Hannes. Clara Viebig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Clara Viebig
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения: Контркультура
Год издания: 0
isbn: 9783898017541
Скачать книгу

      Clara Viebig

      Vom Müller-Hannes

      Eine Geschichte aus der Eifel

      RHEIN-MOSEL-VERLAG

      Danksagungen des Verlages

       Bedanken möchten wir uns bei allen, die bei der Wiederauflage dieser bekannten Eifelnovelle von Clara Viebig geholfen haben: Herrn Prof. Gelhaus und Herrn Gerd Bayer für ihre Beratung; Frau Dr. Charlotte Houben für die Durchsicht der Texte und Frau Regina Melsheimer für die Gestaltung der Titelgrafik.

      1.

      Draußen lag der Schnee, und die zu Tal rinnenden Bergwasser tröpfelten halb vereist, aber in der Staatsstube der Maarfeldener Mühle war es warm. Da sprühte der Ofen, mit gewaltigen Buchenkloben geheizt, die Kuckucksuhr tickte behaglich, und die Gevatterschaft saß um den Tisch bei Wein und Schnaps und besprach die Heirat. Man war endlich übereingekommen: der Müller-Matthes verheiratete seinen einzigen Sohn, den Hannes, mit der einzigen Tochter von Joseph Helles, dem Weinbauern unten an der Mosel. Fünftausend Taler bar kriegte die Christina mit und eine Aussteuer, so reich an Linnen und Gewandung, daß sie ihr ganzes Leben nicht nötig haben würde, etwas zuzukaufen.

      Und doch war der Müller-Matthes des lange nicht zufrieden. Ihm dünkte, noch höhere Ansprüche machen zu können. Übergab er denn nicht seinem Hannes die große Schneide- und Mahlmühle mit allem Inventar? »Schuldenfrei«, wie er sagte; kein Schiefer auf dem Dach fehlte, das Wasserrad schaufelte, die Kreissäge kreischte ohne Unterlaß, drei Knechte hatten zu schaffen. Und war vor allem nicht sein Hannes der stattlichste Freier Eifel auf, Eifel ab?!

      Dem hatte schon in der Wiege das Glück gelacht. An einem Sonntag war er geboren, als Pfingstmusik das Dorf durchfiedelte und der Mai selbst das Maarfeldener Tal mit Blüten überschüttete. Zur Zeit, da andere Kinder nur erst greinen konnten, hatte der Hannes schon gejauchzt und mit den Händchen nach den Sonnenstrahlen gegriffen, die über sein Stechkissen tanzten. Und diesen Jung’, dessen rundes Gesicht so frisch und rot überm weißen Müllerkittel lachte, diesen Jung sollte er so billig weggeben?!

      Müller-Matthes hatte gefeilscht und gefeilscht: noch tausend Taler zu – sechstausend im ganzen – dann konnte die Sache perfekt werden. Sonst – er hatte die Riesenfaust schwer auf den Tisch gelegt – sonst würde nichts daraus, bei Gott nicht!

      Der Weinbauer, einen Kopf kleiner als der Müller, dürr und mager wie ein Rebstecken, ließ sich aber nicht einschüchtern: keinen Pfennig mehr, seine Christina kriegte ja noch mal was zu erben! Das Handeln mit dem Matthes war er gewohnt, denn wenn er gen Alf heruntergefahren kam, um die bestellten Faßdauben zu bringen, hatten sie oft so miteinander geeifert, sich so verzürnt, daß der Eifelaner stumm wütend vom Hofe fuhr und der Moselaner lebhaft erregt hinter ihm dreinfuchtelte. Jedoch der neue Wein hatte sie immer wieder versöhnt.

      Der Gedanke, ihre Kinder miteinander zu verheiraten, hatte keinem von ihnen ferngelegen. Aber ausgesprochen hatten sie ihn nicht. Letzten Herbst nun war auf einmal statt des Vaters der Hannes unten erschienen in seiner ganzen kraftvollen Größe, mit der freien und doch strammen Haltung, die er von seiner vierjährigen Freiwilligenzeit bei den Deutzer Kürassieren noch bewahrt hatte.

      Joseph Nelles hatte den Gast in den Keller geführt, wo der Heurige in den Fässern rumorte und berauschende Düfte das niedere Felsgewölbe erfüllten. Die beiden hatten gewaltig probiert; aber der starke Eifelaner ließ sich nicht schmeißen, weder vom abgelagerten noch vom neuen, weder durch den von der Sonnenseite noch durch den sauersten Rachenputzer. Das hatte dem Moselaner mehr imponiert als der ganze schöne Junge selber mit seinem Krauskopf und mit seinem zähneblitzenden Lachen – hau, konnte der saufen!

      Auch der Tina gefiel der Hannes, und die war doch sonst zag mit Mannsleuten. Aber nun hatte sie nichts dawider gehabt, mit dem Vater hinaufzufahren in die Eifel; denn besehen mußte sie sich die Mühle erst, ehe sie »Ja« sagte.

      Und doch dachte sie heute nicht ans Besehen. Kaum guckte sie hin, wenn Hannes, der sie herumführte, ihr etwas wies, während drinnen in der Staatsstube die Väter und die beiderseitigen nächsten Anverwandten, die jeder von den zweien zur Unterstützung hinter sich hatte, verhandelten. Sie hatte keine Augen für die Stattlichkeit der vier Rotbunten, die im Stall standen, und gab doch sonst was auf gute Milchkühe. Sie sah nur die wenig verarbeitete, muskulöse Männerhand, die den Tieren freundschaftlich auf die Lenden patschte, daß sie sich mit leisem Erschauern wendeten und mit fast zärtlichen Blicken ihrer feuchten, sanften Augen und mit gedämpften Muh ihren jungen Herrn begrüßten. Auch das Pferdchen, das, rund und glatt, vom Heu der Krippe raufte, hörte auf mit Fressen und spitzte die Ohren; es kannte den raschen, festen Tritt. Es hob das Maul und zeigte die langen, gelben Zähne, als ob es lachte.

      »Dau Leckermaul«, scherzte Hannes und ließ sich willig Taschen und Hände beschnobern. Er hatte Zucker eingesteckt, und der Gaul rieb schmeichlerisch den blanken, braunen Kopf an seiner Schulter.

      Der Spitz draußen vor der Hundehütte erhob ein bittendes Gewinsel, duckte den Kopf auf die Vorderpfoten und scharrte mit den Hinterfüßen im Schnee. Hannes löste ihn von der Kette, da sprang er hoch in die Höhe mit Freudengebell und suchte das ihm zugeneigte Gesicht zu lecken. Die Knechte, die Säcke auf einen Wagen luden, zwinkerten mit den weißbestäubten Lidern und zogen mit freundlichem Grinsen die Mütze von den mehlbestaubten Haaren.

      Ja, alle waren sie ihm gut! Das sah Tina. Und sie fühlte ihr Herz klopfen.

      Verstohlen reckte sie sich – war sie doch klein und reichte dem Hannes kaum bis zur Schulter –, aber sie wollte gern ein stattliches Paar mit ihm abgeben. Wenn er auf sie niederschaute, wurde sie rot; und wie vorhin die Kühe im Stall, so wendete sie die schwarzbraunen, sanften Augen ihm zu.

      Er sprach viel und laut und lustig; umständlich erzählte er, wie sie vergangenes Jahr die Mühle mit Schiefer gedeckt, anstatt des gemeinen Strohs, und wie sie das Getriebe mit allerhand Neuerungen versehen. Ja, da konnte man sich blind suchen, zum zweiten Mal gab’s solch eine Mühle nicht in der Eifel und auch im Moseltal nicht! Aber der Neuerungen waren noch lange nicht genug: wenn er hier erst allein zu kommandieren hatte, wurde es noch viel feiner. Die Fenster waren zu klein, da stieß man sich ja den Kopf, wenn man herausgucken wollte. Und die Tür war zu schmal, die ließ er breiter machen. Und ein Wagen mußte her, zweisitzig, mit weichen Kissen. Und die Auffahrt vom Hof zu der höher gelegenen Straße wurde mit schönen, weißen Steinen eingefaßt, daß man sicher fuhr auch mit übermütigen Pferden. Und dort im Garten – er wies auf das schmale Streifchen Land diesseits des Baches, jenseits stiegen die Höhen gleich steil an –, dort würde er Obstbäume anpflanzen lassen, feine Sorten aus der Baumschule zu Trier: Reinetten, Herrenbirnen und süße Reineclauden; die alten Strünke taugten ja nichts mehr, die waren schon vermoost. Und leiser fügte er hinzu, mit seinem Lachen, das die tadellosen Zahnreihen zeigte, daß auch Rosen dort blühen sollten und Lilien und Brennende Liebe für seine junge Frau.

      Da hob sich Tinas Brust in zittrigem Atemzug unter dem sonntäglichen Kaschmirkleid. Sie sah hin zum schmalen Gartenstrich und hinauf zu den Bergen, die drohend über der Mühle hingen – Schnee bedeckte alles, es war kahl, kalt und unlustig –, aber oben über den steilen Hängen sah sie schon den Himmel blauen, unterm Schnee Rosen blühen und die rote Dolde der Brennenden Liebe. Sie ließ dem Burschen ihre Hand, die er gefaßt, und stapfte zuversichtlich an seiner Seite zum Haus zurück. Alles gefiel ihr wohl, sie hatte nichts auszusetzen.

      Des Hannes Mutter erschien jetzt unter der Haustür, sprach von Kälte und lud zu einem warmen Kaffee. Tina wunderte sich, daß die Frau fror; warm und rot ging sie mit Hannes in die Staatsstube.

      Drinnen konnte man vor Qualm gar nichts sehen. Sie hatten wacker Wittlicher Tabak geraucht, und getrunken hatten sie auch gehörig. Auf dem Kanapee, das man extra zu diesem Tage angeschafft, schmauchten die beiden Väter, Schulter an Schulter. In ihre Stühle zurückgelehnt, schmauchten auch des Nelles alter Ohm, ein Schlaufuchs, den der Moselaner sich mitgebracht hatte, und des Matthes Gefreundte aus Maarfelden. Die Tante, der Tina als Chaperonne beigegeben, nickte schon ein wenig auf der Ofenbank.

      Mit lautem Hallo wurden die jungen Leute begrüßt. Man war jetzt einig, war vergnügt und hielt Verspruch. Immer neue Getränke schleppte die Müllerin heran, viel Branntwein, und dazu wahre Berge von Kuchen.