Im weiteren Verlauf der Angelegenheit wäre sicherlich nichts Dramatisches mehr passiert, wenn nicht plötzlich ein ganzer Trupp von Söldnern auf der Bildfläche erschienen wäre. Ehe Hasard, Shane, Batuti, Gary, Matt oder die Zwillinge hatten eingreifen können, war Dan überwältigt worden, und der wütende Stephens hatte ihn sogleich abführen lassen. Hasard hatte es für klüger gehalten, erst einmal die Entwicklung der Dinge abzuwarten, als ein gewaltiges Handgemenge vom Zaun zu brechen, bei dem er mit seinen Leuten doch den kürzeren zog.
So hatten sie Dan erst nach Einbruch der Dunkelheit befreit, und das Unternehmen war ihnen auch so gelungen, wie Hasard geplant hatte. Trotzdem gab es keinen Grund zum Frohsinn: Sie saßen hier fest, konnten jetzt weder zu Mulkenny, dem klotzigen Wirt des „Morris’ Arms“, noch zu Sally, weil sie sie auf keinen Fall gefährden durften. Galway war ein heißes Pflaster für sie geworden, wo der Tod in jeder Gasse und in jedem Winkel lauerte.
„Hör mal, Shane“, sagte Gary Andrews, um das beklemmende Schweigen zu brechen. „Ich kriege auch noch was von dir, wegen der. Wette, meine ich. Ich hatte zwei Piaster mit in den Topf geworfen und gegen dich gesetzt, vergiß das nicht.“
„Du Stint“, brummte der graubärtige Riese. „Hab ich vielleicht ein Loch im Schädel, daß mir was entfällt? Aber ich will dir was verraten, du Schlauberger: Ich bin dir nichts schuldig, nicht mal ’nen müden Copper. Du solltest froh sein, daß du deine Piaster behalten darfst. Die hätte nämlich ich gekriegt, falls ich gewonnen hätte.“
„Moment mal“, sagte Gary. „Wir brauchen einen Schiedsrichter.“
„Ich melde mich freiwillig“, sagte Matt. „Dan müßte dir eine der Dublonen abgeben, Gary, damit wäre der Gewinn gerecht aufgeteilt.“
Dan stieß einen Seufzer aus. „Na schön, hier hast du deine Münze, Gary. Ich hatte mir schon eingebildet, ich könnte dich leimen.“
„Nein“, sagte Gary Andrews. „Die behalt mal schön, Mister O’Flynn. Ich bin nicht so scharf aufs Geld, wie du vielleicht denkst.“
„Warum hast du denn dann die Sprache darauf gebracht, Mister Andrews?“ wollte Big Old Shane wissen. „Nun?“
„Hölle, mir ist es hier ganz einfach zu stumm“, entgegnete Gary. „Man fühlt sich ja wie in einem Grab. Merkt ihr das gar nicht? Zum Teufel, ich will über etwas quatschen, über was, ist mir ganz egal.“
„In Ordnung“, sagte der Seewolf. „Dann erzähle Dan doch, wie unsere Begegnung mit Norman Stephens und dessen Truppe verlaufen ist. Wenn ich mich nicht irre, sind wir irgendwie vom Thema abgekommen.“
„Stimmt!“ stieß Gary hervor, und dann begann er zu berichten, froh darüber, einen Gesprächsstoff gefunden zu haben.
Dan seinerseits schilderte im Anschluß daran ausführlich, wie es ihm im Kerker der Burkes ergangen war. Die anderen Männer lauschten aufmerksam, und nur manchmal stieß der eine oder andere einen saftigen Fluch aus.
Schweigen trat erst wieder ein, als Gary und Dan mit ihren Berichten am Ende angelangt waren und Schritte, die sich durch die Gasse oberhalb des Kellergewölbes näherten, eine mögliche Gefahr verkündeten.
Die Schritte verharrten nicht weit von einem der winzigen Fenster, durch die schmale Streifen blassen Mondlichts hereinfielen. Die Seewölfe konnten die Stimmen zweier Männer vernehmen.
„Hier stecken sie bestimmt nicht“, sagte der eine.
„Woher willst du das so genau wissen, Mark?“ fragte der andere.
„Ich habe nicht gesagt, daß ich es weiß. Ich behaupte nur, daß es unwahrscheinlich ist, sie hier aufzustöbern.“
„Und wo sollen wir deiner Meinung nach suchen?“
„In der Herberge ‚Morris’ Arms‘. Vielleicht kehren sie dorthin zurück, um ihre Sachen abzuholen.“
„Na, dann los, Mark“, sagte der zweite Sprecher. „Hoffentlich verdienen wir uns heute nacht noch die Prämie, die George Darren Burke auf die Köpfe dieser englischen Galgenstricke ausgesetzt hat.“
Langsam entfernten sich die Schritte. Hasard und seine Männer mußten unwillkürlich grinsen. Sie hatten den einen Söldner wiedererkannt: Es war jener Mark, der von Hasard und Batuti im Keller von Sallys Haus vernommen worden war. Bereitwillig hatte er alles über die Hausanlage der Burkes preisgegeben, als der Gambia-Mann mit seinem Morgenstern gedroht hatte.
Später hatte Hasard sowohl Mark als auch dessen gefangenen Kameraden weit genug von Burkes Anwesen freigelassen – sie hatten nicht mehr rasch genug zurückkehren und Stephens vor dem geplanten Überfall warnen können.
„Kopfgeld für unsere Ergreifung also“, sagte Dan grimmig. „Das sieht diesem Burke ähnlich.“
„Eins steht fest“, sagte Hasard. „Wir müssen so schnell wie möglich aus Galway verschwinden, sonst nimmt die ganze Sache ein übles Ende. Wir können uns weder hier noch bei Sally auf die Dauer verstecken, sonst gerät sie womöglich auch noch in Teufels Küche – und bei Mulkenny können wir auf keinen Fall unterkriechen.“
„Wie wäre es mit der ‚Rosa de los Vientos‘?“ fragte Big Old Shane. „Die liegt doch noch am Long Walk. Wenn es uns gelingt, zurück an Bord der Galeone zu schleichen, sind wir die Söldner vorerst los.“
„Ja, mit den Spaniern will Burke es sich nicht verderben“, sagte Dan O’Flynn. „Bestimmt wagt er nicht, an Bord der ‚Rosa‘ eine Durchsuchung anzuordnen. Das Schiff ist für ihn so etwas wie ein neutrales Territorium.“
„Und was tun wir, wenn wir wieder bei Don Juan Bernardo Orosco sind?“ fragte der Seewolf.
„Es muß doch einen Weg geben, auf andere Weise nach England zurückzukehren“, sagte Dan.
Hasard begann, über diesen wichtigsten Punkt angestrengt nachzusinnen. In Galway hielt sie nichts mehr, hier mußten sie so schnell wie möglich verschwinden und durften dabei keine Spuren hinterlassen. Sie mußten ein Schiff finden, mindestens eine einmastige Schaluppe, mit der sie die Weiterfahrt antreten konnten. Herrgott, irgendwer mußte doch zu überreden sein, sie zu unterstützen – und wenn es ein heißblütiger irischer Rebell war.
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