„Wir sind aber auch unbequeme Zeugen“, sagte der Kapitän. „Weißt du, was aus Cajega geworden ist? Er ist in Havanna nicht wieder aufgetaucht. Ich glaube, daß er tot ist.“
„Das ist anzunehmen“, sagte Gutierrez. Er hob seinen Humpen an die Lippen und trank – ebenso geräuschvoll und gierig wie sein Kapitän. „Und es ist mir jetzt auch klar, auf was du rauswillst, Diego. Ich finde aber, du kannst es dir aus dem Kopf schlagen. De Escobedo kann uns nicht alle aus dem Weg räumen.“
Machado brummelte etwas Unverständliches. Dann meinte er: „Fähig dazu wäre er. Aber er kann nicht wagen, sich mit uns anzulegen. Trotzdem vermute ich, daß er versuchen wird, uns irgendwie auszubooten.“
Gutierrez schob die Unterlippe vor und überlegte. Dann erwiderte er: „Wie wäre es, wenn der umgekehrte Fall eintreten würde?“
„Wie meinst du das?“
„Das ist doch ganz einfach“, sagte der Zweite grinsend. „Unser lieber, guter Gouverneur verschwindet plötzlich von Bord. Keiner hat gesehen, in welche Richtung er verschwunden ist. Keiner findet ihn. Höchstens die Haie, meine ich, aber die schweigen ja.“
Machado grinste ebenfalls. „Du bist ein verfluchter Hurensohn, Freund Felipe. Aber das können wir nicht riskieren. Es könnte uns den Kopf kosten.“
„Das Risiko entspricht dem Gegenwert. Denk an den Schatz.“
„Ich denke daran“, entgegnete der Kapitän. „Aber wir wissen nicht, bei wem de Escobedo in Havanna hinterlassen hat, wohin er sich wendet.“
„Vielleicht hat er’s keinem hinterlassen.“
„Und er ist heimlich aus Havanna verschwunden?“ fragte Machado zweifelnd. „Also, das glaube ich nicht ganz. Zumindest haben wir keine Beweise dafür. Wir könnten uns ganz höllisch die Finger verbrennen.“
„Jetzt übertreibst du“, sagte Gutierrez spöttisch. Er trank noch einen Schluck und dachte: Zur Hölle mit dem Gouverneur. Wir sollten den Spieß umdrehen und die Schätze für uns vereinnahmen.
Machado stieß einen leisen Fluch aus. „Werd nicht frech!“ zischte er. „Glaubst du etwa, ich scheue davor zurück, dem Hund ein Messer ins Kreuz zu jagen? Da irrst du dich gewaltig.“
„Das habe ich nicht sagen wollen“, erklärte der Zweite.
„Schon gut“, brummte Machado. „Aber ich weiß immer noch, wie weit ich gehen kann. Ich bin kein Hitzkopf, Felipe. Klar?“
„Das bin ich auch nicht“, erwiderte Gutierrez. „Ja, du hast recht. Man sollte vernünftig sein und sich vom Wein nicht zu losen Reden verleiten lassen. Aber ich finde, wir sollten die Entwicklung abwarten. Irgendwas tut sich noch.“
„Drück dich gefälligst deutlicher aus.“
Der Zweite blickte in seinen leeren Humpen, dann griff er nach dem Krug. Er füllte seinen Humpen zur Hälfte, dann den des Kapitäns. „Es gärt in der Mannschaft, mein lieber Freund. Die Kerle sind auf den Schatz gierig. Kann man es ihnen verübeln?“
„Wenn sie zu gierig werden, kriegen sie was auf ihre dreckigen Pfoten“, erwiderte Machado. „Glaubst du, de Escobedo weiß nicht, daß einer von ihnen eine Extratour unternehmen könnte? Das ist doch der Grund dafür, warum er angeordnet hat, daß keiner nachts von Bord geht.“
„Die Frage ist, ob sich die Kerle daran halten“, sagte der Zweite.
Machado hatte seinen Kelch geleert und wollte nachschenken, doch auch der Krug war leer.
„Auf meinem Schiff sorge ich für Ordnung und Disziplin“, sagte er schroff. „Und du weißt auch, daß ich nicht lange fackle, wenn einer aus der Reihe tanzt. Es soll nur einer versuchen, heimlich von Bord zu gehen und an Land zu schwimmen. Der kriegt von mir persönlich die Neunschwänzige.“ Machado hob den Krug und streckte ihn seinem Zweiten Offizier entgegen. „So, und jetzt hol gefälligst noch ein bißchen Wein. Von dem vielen Quatschen wird mir die Kehle ganz trocken.“
„Mir auch“, sagte Gutierrez grinsend. „Das muß mit der Luft in Batabanó zusammenhängen.“
Machado gab ein grunzendes Lachen von sich. „Hörst du endlich auf, Blödsinn zu faseln? Her mit dem Wein!“
Felipe Gutierrez verließ die Kapitänskammer und suchte den Proviantraum auf, in dem die Weinfässer lagerten. Routinemäßig lauschte er den Geräuschen im Schiff. De Escobedos. Schnarchen war auch hier unten zu vernehmen. Außer dem Plätschern des Seewassers an den Bordwänden und dem Knarren der Blöcke und Rahen herrschte aber sonst Ruhe. An Bord der „Trinidad“ schien alles ruhig und friedlich zu sein. Hoffentlich, dachte der Zweite.
Daß es auf der „San Sebastian“ keine Unregelmäßigkeiten geben würde, war ohnehin sicher. Don Gaspar de Mello war ein aufrichtiger, ordentlicher Mensch, wie es sich für den Capitán einer Kriegsgaleone Seiner Majestät geziemte. Der ging lieber mit Mann und Maus unter, statt auch nur eine Goldmünze anzurühren. So ein Narr, dachte Gutierrez verächtlich, wie kann man nur so dumm sein!
In dieser Nacht, der Nacht vom 24. auf den 25. Mai 1595, wurde an Bord der Galeone „Trinidad“ ein Komplott geschmiedet. Doch davon bemerkten weder Alonzo de Escobedo noch Kapitän Machado oder der Zweite Offizier Gutierrez etwas. Wüste Kerle waren es, die im Vorschiff beisammenhockten und tuschelten, Galgenstricke, die es mit Machado oder Gutierrez an Skrupellosigkeit durchaus aufnehmen konnten. Das war die „Trinidad“ – ein Handelsschiff zwar, doch alles andere als ein biederer Kauffahrer. Die komplette Besatzung vom Kapitän bis zum Moses bestand aus üblen Strolchen, die auf jeden Piratensegler gepaßt hätten.
Ganz anders die Kriegsgaleone „San Sebastian“. Capitán Don Gaspar de Mello war ein geradlinig denkender, korrekter Offizier der Armada. Seine Männer richteten sich strikt nach seinen Befehlen. Disziplinlosigkeiten gab es nicht. De Mello konnte sich auf seine Männer verlassen, und auch umgekehrt wußten die Offiziere des Achterdecks und die Seeleute und Seesoldaten, daß sie in Don Gaspar de Mello einen vorbildlichen Kommandanten hatten.
De Mello hatte dem angeblich „geheimen Auftrag“ des Gouverneurs von Anfang an mißtraut. Für de Escobedo war er nichts weiter als ein nützlicher Narr, der den Beschützer für die „Trinidad“ spielen sollte. Machado hingegen war von Anfang an in alles eingeweiht gewesen. In Havanna hatte de Escobedo schon so manches krumme Geschäft mit Machado getätigt – allerdings nicht in dem Umfang wie dieses Mal.
Bei dem Stand der Dinge war es nur zu verständlich, daß Don Gaspar de Mello argwöhnisch und obendrein verärgert war. Goldmünzen befanden sich in der einen Truhe, die an Bord der „Trinidad“ gebracht worden war. Soviel wußte er inzwischen. Und wie ging es weiter? Wie sah der „geheime“ Auftrag tatsächlich aus? Nun, es würde noch zwei Tage in Anspruch nehmen, bis alles aus der Höhle geborgen und an Bord der Schiffe gebracht worden war. In dieser Zeit, so dachte de Mello, konnte noch einiges geschehen.
Die beiden Schiffe lagen in Windrichtung mit dem Bug nach Nordosten – der Wind wehte aus Nordosten – und parallel zueinander. Die Steuerbordseite der „San Sebastian“ war der Backbordseite der „Trinidad“ zugekehrt. Das Kriegsschiff ankerte also mehr westlich, der Handelssegler mehr östlich in der Bucht. Auf beiden Schiffen war eine Ankerwache aufgezogen.
Für beide Schiffe galt die Order Alonzo de Escobedos, daß niemand nachts von Bord durfte. Der sehr ehrenwerte Señor Gouverneur hatte ja seine guten Gründe dafür. Er war der Meinung, „seinen“ Schatz in den Höhlen hinter dem Wasserfall unbewacht lassen zu können. Aber das war ein Irrtum.
Die Kerle an Bord der „Trinidad“ wie auch die Männer der „San Sebastian“ hatten aufgrund der Truhen-, Kisten- und Fässerverladung auf die Handelsgaleone längst spitz, was sich in dem Höhlensystem hinter dem Wasserfall befand. Und die Mannschaft der „Trinidad“ war gegenüber der disziplinierten Crew der Kriegsgaleone nun mal ein rüder Haufen – ein Spiegelbild ihres Kapitäns. Bei diesen Kerlen war die Gier geweckt, die einmalige Chance, reich zu werden. Sie brauchten ja nur zuzulangen.
Fünf