Das Flaggschiff des spanischen Konvois war ein harter Brocken für die Männer des Bundes der Korsaren gewesen. Der Kommandant hatte sich dem Seewolf, Thorfin Njal und Ben Brighton gestellt. Der Geleitzug und seine restlichen fünf Bewacher, Kriegsschiffe waren unterdessen weitergesegelt. Das Gefecht zwischen den vier Seglern hatte vom Morgen bis zum Mittag dieses 2. Mai 1595 gedauert. Dann war der Gigant gesunken.
Die „Isabella“, „Eiliger Drache“ und die „Chubasco“ hatten leichte bis mittlere Treffer. Diese konnten allerdings mit Bordmitteln behoben werden. Gegen zwei Uhr nachmittags, während an Bord der Schiffe noch gehämmert und gezimmert wurde, nahm der kleine Verband seine Fahrt wieder auf und setzte dem Konvoi der Spanier nach.
Hasard hockte auf dem Rand seiner Koje und befaßte sich mit seinem linken Arm, als Mac Pellew anklopfte.
„Komm rein, Mac“, sagte der Seewolf. „Ich habe schon auf dich gewartet.“
Mac trat mit todtraurigem Gesicht ein. Was er sah, war nicht dazu angetan, seine Stimmung zu heben.
„Ich habe eben noch schnell Sam versorgt“, erklärte er. „Im Logis. Er hatte einen leichten Kratzer am Kinn abgekriegt, von dem er zuerst gar nichts gemerkt hat.“
Hasard schaute auf. „Auch ein Splitter?“
„Ja. Aber – Sir, ich hatte Ruhe verordnet.“
„Ich ruhe mich ja aus“, erwiderte der Seewolf. „Los, wechsle schon den Verband aus.“
Mac seufzte zum Steinerweichen, setzte seinen Feldscherkasten ab und begab sich ans Werk.
„Liegen wäre viel besser“, sagte er. „Dann hört das Bluten nämlich schneller auf.“
„Das weiß ich auch“, entgegnete Hasard. „Aber nach Liegen ist mir nicht zumute.“ Er musterte Mac, während dieser den durchtränkten Notverband löste und die Blessur mit einer Tinktur reinigte. „Was ist eigentlich los mit dir? Du ziehst ein Gesicht wie vier Wochen Regenwetter.“
„Ach, mir geht’s gut.“ Mac behandelte die Wunde mit Alaun und Kampfer, dann legte er straff und fest den neuen Verband an.
„Raus mit der Sprache“, sagte Hasard. „Dich bedrückt doch was.“
„Es ist so – ich hab’ dich eigentlich noch nie richtig verarztet“, erklärte Mac mit dumpfer Stimme. „Wenn was schiefgeht, was dann?“
„Was soll schiefgehen?“
„Na ja, der Kutscher …“
„Der Kutscher ist nicht an Bord, und du erfüllst die Aufgaben, die ihr sonst zu zweit verseht“, sagte der Seewolf. „Das ist zwar mehr Arbeit für dich, aber ich sehe, daß alles bestens klappt. Warum sollst du also an dir selbst zweifeln?“
„Nun, der Kutscher versteht sich besser aufs Quacksalbern“, erwiderte Mac mit einem Gesicht, das jeden etwas rührselig veranlagten Menschen in Tränen hätte ausbrechen lassen.
„Unsinn“, sagte Hasard. „Du kannst das genauso gut wie er. Du hast mein volles Vertrauen. Und sieh mal – der Verband hier ist der beste Beweis für dein Können. Das Bluten hat aufgehört.“
Mac betrachtete sein Werk. „Stimmt, ja.“ Vor Stolz wurde er rot. „Na, dann – um so besser.“
„Das finde ich auch“, sagte der Seewolf, erhob sich von der Koje und bewegte probeweise den linken Arm. „Morgen fängt die Wunde an zu vernarben. Also los – auf zu neuen Taten. Wir müssen zusehen, den Konvoi so schnell wie möglich wieder zu packen.“
„Was, du willst schon wieder an Deck?“ stieß Mac entsetzt hervor. „Zu früh! Der Arm …“
Hasard klopfte ihm freundlich auf die Schulter. „Mac, übertreibe es nicht. Ich bin schon wieder auf dem Damm und habe nicht einmal sonderlich große Schmerzen. Ich habe schon Schlimmeres erlebt, erinnerst du dich?“
„Ja. Trotzdem solltest du nicht leichtsinnig sein.“
„Das bin ich auch nicht“, erwiderte Hasard lächelnd. „Ich schone den Arm, das verspreche ich dir.“
Gemeinsam kehrten sie an Oberdeck zurück. Mac sah ungemein erleichtert aus – was sofort auch seinen Kameraden auffiel. Als er seinen Kasten zur Kombüse trug, trat Blacky ihm entgegen und fragte: „Na, Mac, alles in Ordnung?“
„Was soll denn nicht in Ordnung sein?“
„Du hast vorhin ziemlich trübe dreingeschaut“, sagte Blacky grinsend. „Als ob du Angst hättest, am verkehrten Ende zu ziehen.“
„Ich? Angst? Vor was denn?“ Mac stieß einen verächtlichen Laut aus. „Kümmer dich lieber um deinen eigenen Kram. Was stehst du überhaupt hier rum? Hast du nichts anderes zu tun, als Maulaffen feilzuhalten?“ Mit diesen Worten ließ er Blacky stehen und verschwand in der Kombüse.
Hasard stand unterdessen auf dem Achterdeck bei Big Old Shane, Ferris Tucker und Dan O’Flynn. Er blickte durchs Spektiv und spähte aufmerksam zur nördlichen Kimm. Dann bewegte er das Rohr leicht nach rechts und forschte in nordöstlicher Richtung weiter. Doch von dem Konvoi war nichts zu sehen.
Die „Isabella IX.“, der Schwarze Segler und die „Chubasco“ befanden sich in dem Seegebiet nördlich der Bahamas. Sie segelten unter Vollzeug nordostwärts. Der Wind fiel handig bis frisch aus Norden ein.
Der Konvoi, der zu Beginn des Gefechts am Morgen an der nordöstlichen Kimm Richtung Bermudas verschwunden, war, hatte zwar einige Stunden Vorsprung, aber sein Marschtempo war vergleichsweise „schneckenlangsam“, wie Shane es ausgedrückt hatte.
Es stand also außer Zweifel, daß die „Isabella“, der Schwarze Segler und die „Chubasco“ die Schiffe mit Leichtigkeit wieder einholen würden.
Allerdings war es verfrüht, schon jetzt nach den Mastspitzen Ausschau zu halten. Das sah auch Hasard ein. Er ließ das Spektiv wieder sinken, steckte es weg und trat zu Will Thorne, der inzwischen ein neues Besansegel angeschlagen hatte. Das alte war im Gefecht gegen das spanische Flaggschiff völlig zerschossen und zerfetzt worden.
Die Instandsetzungsarbeiten an Bord der „Isabella“ waren fast abgeschlossen. Das schien auch an Bord der „Chubasco“ und des schwarzen Schiffes der Fall zu sein. Von „Eiliger Drache“ tönten allerdings die wildesten, übelsten Flüche herüber.
Was war dort los?
An Bord des Schwarzen Seglers herrschte Gewitterstimmung. Auch Thorfin Njal war nicht ganz unversehrt aus dem Gefecht gegen das spanische Flaggschiff hervorgegangen. Sein Kupferhelm – das gute Stück – hatte eine Beule!
Der Wikinger hatte den Helm dem Stör übergeben mit dem Auftrag, ihn wieder auszubeulen. Schließlich konnte der Kapitän eines Schiffes nicht mit einer Delle im Helm herumlaufen. Einen Ersatz gab es nicht. Und ohne seinen Helm fühlte sich Thorfin irgendwie nackt. Das versetzte ihn in einen Zustand der Unruhe und eines nur mühsam bezwungenen Grolls.
Der Stör stand auf der Kuhl und hämmerte an dem Helm herum. Mal stützte er ihn am Schanzkleid ab, mal drückte er ihn gegen den Großmast oder auf die Nagelbank, denn er brauchte eine solide Unterlage. Aber all das Hämmern und Klopfen nutzte nichts. Die Delle wollte nicht richtig verschwinden, und weitere kleinere Beulen bildeten sich rundherum.
Thorfin Njal stand an der Querbalustrade des Achterdecks und verfolgte mit dem Blick jede Bewegung des Störs. Er wurde immer ungeduldiger.
„Sag mal!“ stieß er schließlich barsch hervor. „Was stellst du da eigentlich mit meinem Helm an?“
„Ich beule ihn aus“, erwiderte der Stör.
„Und warum, bei Odin und seinen Raben, dauert das so höllisch lange?“ fragte der Wikinger drohend.
„Alles braucht seine Zeit“, sagte der Stör mit grimmiger Miene.