Sarmiento sperrte den Mund auf. Er brachte kein Wort hervor. Dieses Vorhaben der Iren war ungeheuerlich.
Coronel Rubio brachte ein müdes Lächeln zustande.
„Lassen Sie nur, Sarmiento. Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Ich habe mein Leben gelebt. Dieses Schicksal ist für mich weniger schwer als für einen jungen Mann.“
„Schluß jetzt“, befahl O’Connell. „Das reicht.“ Er wandte sich dem Capitán zu. „Dein Kommandant hat noch eine Kleinigkeit vergessen, Don Juan. Du hast die Aufgabe, die Nachricht so schnell wie möglich weiterzuleiten. Du weißt, wo eure nächsten Stützpunkte sind. Dort wirst du allen maßgeblichen Leuten mitteilen, daß sie bloß nicht den Fehler begehen sollen, Ferro anzugreifen. Unter jedem Angriff würde nämlich euer lieber alter Coronel sehr zu leiden haben. Begriffen?“
„Ja“, sagte Capitán Sarmiento heiser. „Ich habe verstanden.“
Sein Blick traf sich mit dem seines Vorgesetzten, und sein Mitgefühl steigerte sich so sehr, daß er sich beherrschen mußte, um seine Empörung nicht herauszuschreien. Diese Iren wußten nicht, was sie taten. Die Einfachheit ihrer Gedanken spotteten jeder Beschreibung.
Glaubten sie allen Ernstes, daß man ihre Drohung überhaupt zur Kenntnis nehmen würde?
Die Zitadelle von Ferro hatte als westlichster Stützpunkt eine überragende strategische Bedeutung für Spanien. Vielleicht wuchs diese Bedeutung noch, wenn in den nächsten Jahren die Pläne verwirklicht wurden, nach denen der Seeweg nach Indien erschlossen werden sollte.
Wie konnten diese Phantasten annehmen, daß ein einzelner Mann der spanischen Krone wichtiger war als das große politische und wirtschaftliche Ziel?
Im übrigen spielte Coronel Rubio als Offizier längst keine entscheidende Rolle mehr. Er war zu alt. Den Posten auf Ferro hatte er gewissermaßen als Gnadenbrot erhalten, und er wußte das selbst. Die eigentliche Arbeit hatte stets Sarmiento in seiner Funktion als stellvertretender Kommandant geleistet.
Persönlich tat Rubio dem Capitán leid. Mehr als das. Ließ er seine Überlegungen jedoch von seinem Denken als Offizier der spanischen Krone leiten, dann war dieser Mann bereits abgeschrieben.
2.
Old Donegal Daniel O’Flynn legte den Kopf in den Nacken und versuchte den Morgenhimmel zu erkennen. Dunstschwaden verhinderten es noch immer. Der Nebel wollte nicht weichen. Er hing wie eine zähflüssige Suppe über dem Atlantik.
„Und ich sage euch, wir kriegen eine Flaute, bei der die Segel auf und nieder stehen! Verdammt, ich merke das in jeder Faser von meinem Holzbein. Dieses Kribbeln, dieses verfluchte Kribbeln …“
Den alten Seebären störte es nicht, daß niemand hinhörte. Er wußte auch, daß sie sich alle eins grinsten. Es war immer das gleiche mit diesen jungen Kerlen. Nie nahmen sie ernst, was er ihnen prophezeite. Wenn es aber dann tatsächlich passierte, kriegten sie regelmäßig das große Schlottern.
Immerhin hatte er die sieben Weltmeere schon befahren, als die meisten von ihnen noch in den Windeln lagen. Logisch also, daß er eine Menge mehr Geschichten kannte als alle zusammen auf der „Isabella VIII.“.
Die Männer auf dem Achterdeck der schlanken Galeone gaben sich denn auch keine Mühe, ihr Grinsen zu verbergen.
„Keine besondere Leistung“, meinte Ben Brighton, „bei diesem Luftzug auf eine Flaute zu tippen.“
Noch standen die Segel der „Isabella“ prall, aber ihre Fahrt hatte in den frühen Morgenstunden mehr und mehr nachgelassen. Die zuvor kabbelige See hatte sich auf beunruhigende Weise beruhigt.
„Mal den Teufel nicht an die Wand, Ben.“ Philip Hasard Killigrew gab dem Schiffszimmermann die aufgerollten Zeichnungen zurück. Alle Instandsetzungsarbeiten, von Ferris Tucker geplant und peinlich genau festgehalten, waren erledigt. Nichts erinnerte mehr an die Narben, die die Galeone vor den Caicos-Inseln davongetragen hatte. Laut und deutlich fügte der Seewolf hinzu: „Für Schwarzmalerei und Zukunftswunder ist letzten Endes Old Donegal allein zuständig.“
Die Männer, die an der vorderen Schmuckbalustrade des Achterkastells standen, drehten sich nicht um. Der zornige Knurrlaut, der vom Besanmast herübertönte, war indessen nicht zu überhören. Old O’Flynn und die beiden Söhne des Seewolfs waren dort damit beschäftigt, Tauwerk aufzuschießen und die Nagelbank zu klarieren.
Ferris Tucker deutete mit dem Daumen über die Schulter. Der Schiffszimmermann der „Isabella“ war ein rothaariger Riese mit einem Kreuz so breit wie ein Rahsegel.
„Das mit dem Holzbein“, sagte er gedehnt, „würde ich schon glauben.“
Ben Brighton konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Der breitschultrige Erste Offizier und Stellvertreter des Seewolfs schüttelte den Kopf, daß die dunkelblonden Haare flogen.
„Holz lebt nicht, Ferris. Es dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Aber daß es lebt, kannst nicht einmal du mir erzählen.“
„Habe ich auch nicht behauptet“, entgegnete Tucker. „Es geht um etwas ganz anderes. Leute, denen irgendwo ein Körperteil fehlt – ein Arm oder ein Bein –, die haben manchmal die merkwürdigsten Schmerzen. Ich erinnere mich an einen Kerl in der ‚Bloody Mary‘ in Plymouth. Dem hatten sie schon vor zehn Jahren das rechte Bein abgesägt. Trotzdem juckte ihm regelmäßig der rechte große Zeh, den er gar nicht mehr hatte. Immer bei Wetterumschwung.“
„Phantomschmerzen.“ Hasard nickte. „So nennt man das. Eine bekannte Tatsache.“
„Hm“, brummte Ben Brighton. „Laß das den Alten bloß nicht hören, sonst kommt er aus dem Phantasieren nicht mehr heraus.“
Philip Hasard Killigrew nickte. Seine klaren blauen Augen blitzten amüsiert. Mit seiner Körpergröße von mehr als sechs Fuß überragte er die anderen Männer. Breite Schultern und schmale Hüften unterstrichen sein imposantes Äußeres, und seine schwarzen Haare hatten manchen verblüfft, der ihn für einen typischen Engländer hielt.
Das Ziel der „Isabella“, die vor der afrikanischen Küste auf Nordostkurs segelte, war die Straße von Gibraltar.
Im Mittelmeer, so hoffte Hasard, würden sie jener geheimnisvollen Seekarte auf den Grund gehen können, deren Zeichen ihnen bislang immer noch ein Rätsel waren. Jetzt allerdings, nachdem der handige Südwest über Nacht abgeflaut war, sah es nicht mehr so aus, als ob sie Gibraltar in einem zügigen Törn erreichen würden.
Wie zur Bestätigung ließ das Großsegel plötzlich ein müdes Klatschen hören.
Die Blicke aller Männer richteten sich nach oben, und da war sie, diese häßliche Wellenbewegung, die durch das Tuch lief. Noch einmal blähte es sich, als wollte es sich gegen das Unvermeidliche auflehnen. Aber dann folgte wieder jenes Klatschen, und es pflanzte sich wie eine ansteckende Krankheit auf die übrigen Segel fort.
Großmars-, Fock- und Vormarssegel und schließlich auch das Lateinsegel am Besanmast stimmten in das Konzert ein, dessen schlagende Lautmalerei der gesamten Crew einen Schauer über den Rücken jagte.
„Seht ihr!“ Old Donegal Daniel O’Flynn blickte die beiden Söhne des Seewolfs triumphierend an. „Habe ich nun recht gehabt oder nicht?“
„Natürlich, Mister O’Flynn“, sagte Hasard junior artig.
„Du hast doch meistens recht, Sir“, fügte Philip junior hinzu.
Der alte O’Flynn lächelte geschmeichelt. Die Zwillinge waren so ziemlich die einzigen an Bord, die seinen Geschichten noch immer mit Spannung lauschten. So störte es ihn wenig, daß er kaum noch erwachsene Zuhörer fand. Dafür entschädigte ihn die Begeisterung in den Augen der Jungen.
Äußerlich ähnelten sich die beiden wie ein Ei dem anderen. Schlank und schwarzhaarig, hatten sie den unverwechselbar gleichen Gesichtsschnitt wie der Seewolf. In ihren Bewegungen waren sie geschmeidig wie Katzen, und schon jetzt,