„Natürlich kannst du bei mir bleiben“, sagte Selim. „Du bist ja mein Neffe, und ich habe meinen Bruder sehr geliebt. Leider haben wir uns sehr lange nicht mehr gesehen, und leider ist er jetzt tot. Das betrübt mich sehr, mein lieber Ahmed.“
Der Onkel gab ihm zu essen und zu trinken. Er hatte eine winzige Tartane, mit der er Perlen suchte, meist weit draußen vor Quatar.
„Eigentlich bin ich sehr froh, daß du hier bist“, sagte er später. „Mein Gehilfe ist nämlich von mir gegangen. Er hieß Ali und war ein unerschrockener Mann, aber er hat nie eine der Schwarzen Tränen Allahs gefunden.“
„Warum hat er dich verlassen, Onkel Selim?“
Selim räusperte sich verlegen und strich seinen Bart mit den silbrigen Fäden darin. Das tat er immer, wenn ihm eine Frage nicht gefiel und er nicht gleich antworten wollte.
„Ja, weißt du, Ali, nun – er tauchte immer sehr tief an den Riffen, wo die großen Fische sind. Die bewachen nämlich die Schwarzen Tränen, damit niemand sie heraufholt.“
„Haie?“ fragte Ahmed zaghaft.
„Nun ja, Haie. Wie das eben so ist.“
„Sie haben Ali getötet?“ fragte Ahmed schaudernd.
„Möglich, daß es Haie waren“, sagte der Onkel. „Ich fand von Ali später nur ein Bein, mehr nicht. Ja, und sein Messer noch, das lag auf dem Meeresgrund.“
Dem Jungen mit den braunen Augen lief ein eisiger Schauer über den Rücken.
„Das Perlenfischen ist gefährlich, nicht wahr?“
„Nicht so schlimm. Man lernt es schnell und leicht. Man muß nur lange genug die Luft anhalten können. Ich selbst bin schon zu alt dazu, ich kann nicht mehr so lange tauchen wie früher. Aber ich werde es dir beibringen, Ahmed, und eines Tages, da bin ich ganz sicher, wirst du eine der Schwarzen Tränen Allahs finden, und dann sind wir reich. Ich werde sie dem Sultan verkaufen. Du mußt dich nun entscheiden, ob du bei mir bleiben oder weiter deiner Wege ziehen willst.“
Ahmed überlegte nicht lange. Er hatte nichts zu verlieren, er hatte keine Eltern mehr, aber der Onkel war da und würde für ihn sorgen. Warum sollte er nicht den Beruf des Perlenfischers erlernen, zumal es dem Onkel gar nicht so schlecht ging? Er hatte genug zu essen, zu trinken und ein Dach über dem Kopf. Allein hätte er das nie geschafft.
Also sagte er zu.
Schon am anderen Tag begann Selim damit, ihn auszubilden. Sie tauchten immer zusammen, und Ahmed erwies sich als sehr geschickt.
Er hatte nur immer Angst vor dieser grenzenlosen schrecklichen Tiefe, wenn es immer dunkler um ihn herum wurde, wenn Schatten auftauchten, die ihn belauerten.
Aber nach und nach verlor sich die Angst vor der Tiefe, nur die Angst vor den Ungeheuern war geblieben, denn die waren wirklich unberechenbar, und Ahmed mußte immer an den armen Ali denken, von dem Selim nur noch ein Bein gefunden hatte.
Mit der Zeit wurde er ein sehr geschickter Perlentaucher.
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