Eingedenk des nicht vorhandenen Hindernisses konzentrierte sich Sam nun auf das verlockende Ziel, das greifbar nahe war.
Ihr heiteres Geplapper war so rein wie heller Glockenklang. Ihre Haut schimmerte bronzefarben im milden Sonnenlicht, und ihr Haar glänzte wie Seide. Von jener bronzenen Haut zeigten sie überhaupt sehr viel, und sie taten es auf eine so natürliche Weise, daß es den Arwenacks keinen Moment als Grund für krumme Gedanken erschienen war.
Die jungen Frauen hatten sich auf der Back versammelt, wie es der Seewolf angeordnet hatte. Sie genossen die frische Luft, ordneten ihr Haar und besserten ihre Kleidung aus. Das Leben war ihnen wiedergeschenkt worden, und sie würden die stickigen Unterdecksräume der spanischen Handelsgaleone rasch vergessen.
Eine ihrer Leidensgefährtinnen war von dem teuflischen Capitán Vargas erschossen worden – als Geisel, um den großen schwarzhaarigen Engländer an seiner Rettungsaktion zu hindern. Die Trauer der überlebenden Frauen gehörte nicht etwa der Vergangenheit an. Aber Vargas hatte für sein Verbrechen bezahlt. Und sie wußten, daß sie sich mit ganzem Mut auf einen neuen Lebensabschnitt vorbereiten mußten.
Mit jedem Schritt, den sich Sam Roskill dem Steuerbordniedergang zur Back näherte, wuchs seine Faszination. Was sich seinen immer größer werdenden Augen da auftat, mußte er erst einmal verdauen. Himmel, diese Ladys waren Schönheiten, eine wie die andere. In der allgemeinen Wuhling bei ihrer Rettung hatte man darauf gar nicht so sehr geachtet. Jetzt aber, da er den Vorzug ausgiebiger Blicke aus unmittelbarer Nähe genießen durfte, wurde Sam Roskill klar, welchen kostbaren Schatz sie hier an Bord genommen hatten.
Die jungen Frauen vom Stamm der Arawak-Indianer waren samt und sonders jung, gutgewachsen und ausnehmend hübsch. Sam Roskill konnte sich nicht erinnern, so etwas jemals an Bord eines Segelschiffes erlebt zu haben. Und er war immerhin schon Pirat in der Karibik gewesen, bevor er sich dem Seewolf und seinen Männern angeschlossen hatte.
Gewiß, da hatte es einige Begegnungen mit der holden Weiblichkeit gegeben. Sam dachte an die Galeone der Komödianten. Eine muntere Schar, in der besonders die männerhungrigen Schauspielerinnen aufgefallen waren. Die Timucua-Indianer waren auf Coral Island mit ihren Frauen unter sich geblieben.
Und jene Galeone, die seinerzeit käufliche Damen aus dem alten Paris nach Tortuga gebracht hatte, war ein Segen gewesen. Manon und die anderen lebten noch immer auf der Schildkröten-Insel, wie sich vor kurzem bei einem Abstecher ergeben hatte. Aber in ihrer besonderen Art von Abgebrühtheit waren sie ein völlig anderer Schlag als diese jungen Arawak-Frauen in ihrer Natürlichkeit.
Sam Roskill bemerkte, daß die ersten von ihnen ihre Gespräche unterbrachen und sich zu ihm umsahen. Das muntere Geplapper verstummte nach und nach, und interessierte Blicke aus glutvollen schwarzen Augen richteten sich auf den schlanken, gutaussehenden Mann, der offenbar mit einem besonderen Auftrag auf die Back zustrebte.
Sam spürte das Interesse, das er erweckte, und ein Gefühl innerer Wärme erfaßte ihn. Er fühlte sich bestärkt in seinem Beschluß, denn natürlich bewunderten ihn die Ladys wegen seines Wagemuts. Bestimmt wußten sie, daß es der Crew ausdrücklich verboten worden war, sich den weiblichen Gästen an Bord mit eindeutigen oder zweideutigen Angeboten zu nähern. Mac Pellew, die Essiggurke, führte sich auf wie ein Gockel, weil Hasard ihn zum Verantwortlichen für das Wohlergehen der Ladys ernannt hatte.
Seitdem spielte der Kombüsenstint den Wichtigtuer, spreizte sich regelrecht und hatte bei Hasard sogar durchgesetzt, daß der Mannschaft das Betreten des jeweiligen Bereichs untersagt wurde, in dem sich die Frauen gerade aufhielten.
Immer noch war das Klappern aus der Kombüse zu hören. Sam Roskill konnte es kaum glauben, aber er erreichte unbehelligt den Niedergang. Die Stille an Bord war wie zum Schneiden. Hinter ihm kriegten die Kerle immer längere Stielaugen. Und vor ihm bestaunten ihn die Ladys wie ein Wundertier.
Mit gewinnendem Lächeln enterte er über den Niedergang auf und verharrte auf der ersten Planke. Beim Klabautermann, das war ein Anblick, der einen zum Jodeln bringen konnte. Diese Glutblicke, diese ebenmäßigen Gesichter, diese jugendlich straffe Haut und diese festen hüllenlosen Brüste! Sam spürte das Verlangen, sich zu kneifen, um festzustellen, ob es nicht vielleicht doch ein Traum war.
Von der Galion war das helle Keckern des Schimpansen zu hören. Arwenack genoß als einziges männliches Wesen an Bord der „Isabella“ den Vorzug, ständig mit den Ladys zusammensein zu dürfen. Einige von ihnen schienen auf der Galion beschäftigt zu sein. Ihre Kleidung mußte nach dem Zwangsaufenthalt in den stickig-stinkigen Laderäumen der Spaniergaleone dringend gewaschen werden. Das Lachen der Indianerinnen begleitete die Laute des Schimpansen. Seine Späße erweckten ihre Heiterkeit.
Sam Roskill gab sich einen Ruck und wandte sich Taina zu, die mit dem Einverständnis ihrer Leidensgefährtinnen so etwas wie eine Anführerin und Sprecherin geworden war. Außerdem beherrschte sie die spanische Sprache, was eine Verständigung mit Hasard und seinen Männern erleichterte.
„Bitte um Verzeihung“, sagte Sam mit einer angedeuteten Verbeugung.
Seine Stimme klang seltsam heiser, er fühlte sich tapsig und unbeholfen wie ein Walroß beim Landgang. Er beherrschte die spanische Sprache ebenfalls perfekt, und so hätte es ihm eigentlich keine Mühe bereiten dürfen, das auszudrücken, was er sagen wollte. Aber angesichts der vielen freundlich-interessierten Blicke aus diesen sinneslähmenden Glutaugen wurde er auf eine Weise verlegen, wie sie ihm völlig unbekannt war.
Er suchte nach Worten und fand sie nicht. Sein Schädel war auf einmal wie leergebrannt, und er brachte nicht mehr als ein langgezogenes „Äh – mhm – äh, also …“ zustande.
Taina richtete sich mit verständnisvollem Lächeln vor ihm auf. Auch ihr Oberkörper war unverhüllt, sie trug lediglich einen Lendenschurz aus inzwischen gewaschenem und getrocknetem buntem Tuch.
„Sie brauchen sich nicht zu verzeihen, Señor“, sagte Taina. „Sie haben eine Arbeit zu erledigen, nicht wahr? Also, fangen Sie nur an, wenn wir Sie nicht dabei stören.“
Sam Roskill mußte lachen. Das Eis war gebrochen.
„Stören? Sie mich?“ entgegnete er nach kurzem Zögern. „Eher umgekehrt, Señorita.“
Taina sah ihn forschend an. Ihr Lächeln wich einem Stirnrunzeln.
„Ich habe etwas Falsches gesagt, nicht wahr? Warum verbessern Sie mich nicht? Ich lerne gern.“
Ihre Offenheit verblüffte ihn. Teufel auch, da dachte man als höflichkeitsbeflissener Gentleman dreimal um die Ecke, um nur niemanden zu beleidigen, und diese Naturkinder sagten es einem rundheraus ins Gesicht, was sie dachten und empfanden. Bestimmt die bessere Art zu leben, dachte Sam Roskill.
„Nur eine Kleinigkeit“, antwortete er. „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, heißt das. Ich bitte zwar um Verzeihung, aber verzeihen können nur Sie mir, nicht ich mir selbst. Das ist so, weil man sich entschuldigt, wenn man jemanden um Verzeihung bittet. Ich meine, ich verzeihe mir – äh – entschuldige mich nicht …“ Er unterbrach sich und kratzte sich mit der freien Hand den Kopf.
Taina lachte voller Heiterkeit.
„Ich habe nichts verstanden, Señor.“
„Sam Roskill“, entgegnete er mit einer erneut angedeuteten Verbeugung. „Aber sagen Sie Sam zu mir, Señorita Taina. Meine Erklärung war großer Mist, das gebe ich zu. Ich werde das hier oben mal sortieren“, er klopfte sich mit der Faust auf den Kopf, „und dann gebe ich Ihnen eine kleine Unterrichtsstunde in Spanisch. Einverstanden?“
„O ja!“ rief Taina begeistert. „Und viele meiner Gefährtinnen werden bestimmt auch gern unterrichten.“
„Unterrichtet werden.“
„Ja?“
„Auch so ein Problemfall“, sagte Sam und nickte, schon ganz mit schulmeisterhafter Miene. „Natürlich beherrschen Sie die spanische Sprache schon hervorragend, Taina, aber die Feinheiten sind es noch, die ein bißchen zurechtgeschliffen werden müssen.“
„Mehr