Joaquin, sein Landsmann, bekreuzigte sich in einer instinktiven Geste. Insgeheim bereute er es schon, nicht bei den Eingeborenen von Tutuila geblieben zu sein. Das Toben des Wetters und das Rufen der Männer erinnerten ihn allzu lebhaft an die Schrecknisse, die er an Bord der „Hernán Cortés“ durchgestanden hatte.
Der Tag wurde zur finsteren Nacht, und das Jaulen und Pfeifen des Sturmes steigerte sich zu einem infernalischen Konzert.
Hasard fuhr auf dem Quarterdeck herum, ließ die Handleiste der Schmuckbalustrade los und hangelte in den Manntauen auf das Ruderhaus zu.
Wenn er verhindern wollte, daß sie mitten in das Korallenatoll rauschten und auf einer Bank hängenblieben, mußte er sehr schnell sein. Schneller als das heranorgelnde Wetter, das sich zu einem der gefürchteten tropischen Wirbelstürme auszuweiten drohte. Und das war, wenn man es nüchtern betrachtete, so gut wie unmöglich, denn die „Isabella“ war den mörderischen Riffen jetzt bedrohlich nahe.
Keine halbe Meile mehr, und sie lief unweigerlich auf eine Untiefe und schlitzte sich an den scharfen, bizarren Korallenformationen den Rumpf auf.
Rafael Sabicas atmete auf.
Er hatte es geschafft. Bevor die Wasserhose seine Dreimast-Galeone „El Cisne“ hatte einholen können, war er an dem ausgedehnten Korallenatoll vorbei gewesen und hatte gehalst. Auf nördlichem Kurs hatte er seinen „Schwan“ durch die höher und höher wogende See auf die rettende Insel zumanövriert – nach Ngau, dem Schlupfwinkel der Piraten.
Die Wasserhose hatte Ngau verschont, sie war über eine der südlichen Nachbarinseln hinweggeprescht. Ehe sich der nachfolgende Taifun zu seiner vollen Macht entwickelte, war Sabicas, der Andalusier, mit seinem Schiff in der Felsenpassage, die ihn in die geschützt und gut versteckt liegende Bucht führte.
Auf einem abschüssigen Wellenhang glitt die „El Cisne“ bis in die Mitte der Bucht. Hier, im ovalen Felsenkessel, herrschte weitaus weniger Seegang als draußen im offenen Meer. Dennoch mußte Sabicas mächtig aufpassen, von der Sturmdünung nicht gegen die Gesteinswände gedrückt zu werden. Seinem ohnehin schon arg ramponierten Schiff hätte dies zweifellos den Rest gegeben.
So stand er wieder auf dem Achterdeck und schrie auf seine Männer ein, wie er auch vor Tutuila auf sie eingebrüllt hatte. Dort hatte es ihm nichts eingebracht. Bei allem Schneid hatte er das Gefecht gegen den Seewolf doch verloren und konnte noch von Glück reden, mit heiler Haut davongekommen zu sein.
Andrés Ponce hatte ein weitaus schlechteres Los gezogen. Er war Sabicas’ Verbündeter gewesen und hatte als Kapitän der Karavelle „El Gabian“ dem Oberkommando des Andalusiers unterstanden. Jetzt aber lag seine einst so stolze Zweimast-Karavelle auf dem Grund der Südsee, und er, Ponce, hatte sich nur mit wenigen Spießgesellen in einem Boot zu retten vermocht. Wohin? Das wußte der Teufel allein. Sabicas hatte seinen Mitstreiter im Stich gelassen. Ponce mochte auf einer einsamen Insel Polynesiens gelandet sein. Vielleicht waren er und seine Mannen aber auch von Eingeborenen überfallen und niedergemetzelt worden, oder aber sie waren eines anderen Todes gestorben.
Wie auch immer – Sabicas verschwendete keine Gedanken mehr an die ehemaligen Kumpane. Nur sein eigenes Wohlergehen interessierte ihn, wie auch Ponce im umgekehrten Falle ausschließlich an sich selbst gedacht hätte.
„Beidrehen, ihr Hundesöhne!“ schrie er seinen kümmerlichen Haufen Männer an. „Donato, mach diesen dreckigen Bastarden Beine, oder ich rechne nachher mit dir ab! Al diablo, siehst du nicht, daß wir geradewegs gegen die Felsen treiben?“
Donato, der schnauzbärtige Kalabrier, trat seinerseits nach dem Eurasier und fuhr ihn an: „Wird’s bald? Wollt ihr wohl springen, ihr Ratten? Ihr kriegt die Peitsche, wenn ihr nicht pariert. Dreht bei und geit auf die Segel, Lumpenhunde!“
Der wildbärtige Eurasier stolperte auf die Nagelbank an der Steuerbordseite der Kuhl zu und hielt sich daran fest. Nur kurz blickte er über die linke Schulter zu dem Mann zurück, der als der Bootsmann und die rechte Hand von Sabicas auf diesem Schiff galt. In seinen geröteten Augen spiegelte sich dabei jedoch lodernder Haß, und dem Kalabrier entging dieser mörderische Ausdruck auch nicht, denn er beobachtete den Eurasier aus schmalen Augen.
Donato hielt die neunschwänzige Katze in der linken Hand. Die rechte Faust hatte er um den Kolben der Pistole in seinem Gurt geschlossen. Breitbeinig stand er auf der achteren Kuhl und balancierte auf dem schwankenden Deck. Seine Kleidung war teilweise zerrissen und rußverschmutzt, sein derbes Gesicht von einem unmenschlichen Zug beherrscht. Seit drei Tagen hatte er keinen Schlaf mehr gehabt, seit drei Tagen hatte er sich von der Kuhl nicht mehr fortgerührt.
Schon kurze Zeit nach ihrer Flucht von Tutuila hatte es an Bord zu gären begonnen. Die Mannschaft war dezimiert, neun hatte es bei dem Kampf gegen die „Isabella“ erwischt. Außer Sabicas, Donato und dem Eurasier waren nur acht Freibeuter am Leben geblieben, und sie hatten während der Überfahrt von Tutuila nach Ngau die Feuer an Bord löschen, die schlimmsten Gefechtsschäden ausbessern und die Segelmanöver durchführen müssen.
Dieses harte Arbeitspensum konnte eine Handvoll Männer nicht lange durchhalten, schon gar nicht, wenn diese Meute durch ein vorangegangenes Gefecht entkräftet und entnervt worden war.
Wenn der Ausguck dann auch noch feststellte, daß der Feind sich ihnen erneut an die Fersen geheftet hatte, waren alle Voraussetzungen für eine jäh ausbrechende Panikwelle, ja für eine Meuterei gegeben.
Einem neuen Kampf hätte sich Sabicas niemals stellen können. Es wäre ihrer aller Ende gewesen, das wußte er ganz genau. So hatte die Jagd fortgedauert und fürchterlich an ihren Nerven gezehrt: Mal war die „Isabella“ an der östlichen Kimm zu sehen, mal war sie wieder spurlos verschwunden gewesen, als hätte das Meer sie verschlungen.
Heute war sie plötzlich wieder aufgetaucht.
Rafael Sabicas selbst hatte jede Hoffnung aufgegeben, er könnte sich vor den Verfolgern verstecken und in die Felsenbucht von Ngau verholen. Alle Gewandheit und die erstaunlich gute Fahrt, die die „El Cisne“ vor dem Südost-Passat gelaufen war, schienen nichts genutzt zu haben. Augenscheinlich waren sie ihrem Todfeind ausgeliefert gewesen. Ihre innere Spannung hatte den siedenden Höhepunkt erreicht.
Dann aber war die Wetterveränderung eingetreten, und Sabicas hatte seinen letzten Trumpf ausgespielt: seine Kenntnis der Gewässer rund um die Fidschi-Inseln. Nur er konnte in der Sturmsee so schnell und sicher an dem Atoll vorbeilavieren, nur er vermochte auch bei diesem Toben die Bucht von Ngau zu finden.
Trotz aller Widrigkeiten hatten die Piraten es geschafft, aber sie konnten selbst nicht recht daran glauben. Zu hart waren die Schläge gewesen, die sie hatten hinnehmen müssen. Noch immer rechneten sie mit einem Blitzüberfall der Seewölfe, und all ihre Wut über die Niederlage von Tutuila und den Verlust der neun Kumpane richtete sich gegen ihren Anführer und dessen Vertreter.
Donato hatte seinerseits geschworen, daß er dem Andalusier alles heimzahlen würde, was sie erlitten hatten. Er, Donato, hatte vor Tutuila oft genug seine Bedenken angemeldet und geahnt, daß etwas schieflaufen würde. Aber Sabicas hatte ja nicht auf ihn hören wollen. Er hatte sich ungemein stark gefühlt.
Der Kalabrese fühlte sich nicht mitschuldig an dem, was geschehen war. Und so wußte er schon jetzt, wie er handeln würde, wenn die zerschundenen Männer gegen Sabicas aufbegehrten.
Er drehte sich zu dem Andalusier um.
Dieser hatte den Kolderstock herumgelegt, so daß die Galeone ihr Vorschiff nach Backbord wandte und gegen den Sturmwind hielt. Die Männer auf der Kuhl gaben sich redlich Mühe, die Segel schnell genug aufzugeien. Es war ja in ihrem eigenen Interesse, die „El Cisne“ vor einem weiteren Unglück zu bewahren. Es war aber auch nicht leicht, bei diesem Seegang ein derartiges Manöver auszuführen.
Donato verfolgte jede Bewegung seines Anführers.
Sabicas war ein großer Mann mit fast schulterlangem schwarzem Haar, dunklen Augen und harten Zügen in einem Gesicht mit olivfarben