Seewölfe Paket 10. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394999
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      Sie riß sich los – und da drückte er auf sie ab. Hasard schloß in seiner Hilflosigkeit die Augen. Alewa befand sich zwischen dem Franzosen und ihm, er mußte erst an ihr vorbei, um sich auf den Kerl zu werfen, aber jede Aktion kam zu spät. Louis feuerte auf Alewas Rücken.

      Doch das Krachen der Pistole blieb aus.

      Nur das metallische Klicken des Schnapphahnschlosses war zu vernehmen. Hasard riß die Augen wieder auf und glaubte zu träumen. Aber es stimmte: Alewa lebte und taumelte auf ihn zu. Louis’ Pistole war nicht geladen gewesen, und sie mußte das gewußt haben, sonst hätte sie nie so scheinbar wahnwitzig gehandelt.

      Louis schleuderte ihr die Pistole gegen den Rücken, stieß einen lästerlichen Fluch in seiner Mutterprache aus und drehte sich um. Er stellte sich nicht dem Kampf – er suchte sein Heil in der Flucht. Hasard wollte ihn stoppen, aber Alewa fiel ihm um den Hals. Die Pistole konnte ihr keinen großen Schmerz zufügen, und wenn sie es doch tat, dann kümmerte sie sich nicht darum und vergaß alles andere um sich herum unter dem Eindruck des grenzenlosen Glücksgefühls, das sie in diesem Moment durchflutete.

      Sie hatte sich den Knebel aus dem Mund genommen und brachte ihre weichen Lippen dem Mund des Seewolfs näher.

      „Mädchen“, sagte er auf spanisch. Spanisch beherrschte sie ziemlich gut, das hatte er von damals noch in Erinnerung. Thomas Federmann hatte vielen auf der Insel Hawaii diese Sprache beigebracht. „Mädchen“, sagte der Seewolf noch einmal. „Laß mich los. Ich muß diesem gemeinen Hund nach.“

      „Bleib bei mir“, flüsterte sie.

      „Alewa …“

      „Pele hat dich geschickt. Ich lasse dich nie wieder fort. Du hast mir das Leben gerettet, Lobo del Mar.“

      Louis war im Dickicht verschwunden. Hasard wollte sich sanft von Alewa befreien, aber ihre Lippen preßten sich auf seinen Mund, und sie klammerte sich an ihm fest. Er spürte ihren Körper an dem seinen und war mit einemmal wie benommen. Himmel, war dieses Mädchen denn von allen guten Geistern verlassen?

      „Sir“, sagte Big Old Shane irgendwo im Dickicht. „Wo steckst du? Was ist los? Hölle und Teufel, so antworte doch! Ed, Dan, Ferris, habt ihr das gehört?“

      „Ja“, antwortete Ferris Tucker.

      „Mann“, wetterte der Profos. „Dieses verfluchte Scheißdickicht! Ich dreh gleich durch und laufe auf Grund, wenn nicht – he, was wird hier eigentlich gespielt?“

      „Ed“, sagte Dan O’Flynn etwas weiter rechts. „Ganz ruhig bleiben. Profos, du wirst uns doch wohl nicht im Stich lassen, oder?“

      „Wer spricht denn davon?“

      Hasard mußte unwillkürlich lächeln. „Hier bin ich, Männer“, sagte er. „Etwas weiter südlich. Ich habe das Mädchen. Einen Piraten habe ich niederschlagen können, der andere ist getürmt – in Richtung Süden. Versucht, ihn zu fassen.“

      „Aye, Sir“, tönte Carberrys Stimme. „Kurs Süden, Männer, und dann auf ihn mit Gebrüll! Aber wo, zur Hölle, ist Süden?“

      „Hier!“ rief Dan O’Flynn. „Hierher, Leute!“

      „Orientiert euch am Stand der Sonne“, sagte Shane.

      „Wie denn, wenn sie gleich im Zenit steht?“ wollte Carberry wissen. Er fluchte, stapfte voran und ging dicht an seinem Kapitän und dem Mädchen vorbei, ohne sie zu sehen. Er malte sich in Gedanken aus, was er alles mit dem flüchtigen Piraten anstellte, wenn er den Kerl packte. Oh, was hatte er doch für eine Riesenwut im Bauch!

      Shane und Ferris Tucker marschierten auch an Hasard und Alewa vorbei, trafen sich wenig später mit dem Profos, entdeckten aber von dem Piraten Louis keine Spur mehr. Dieser war im Gestrüpp untergetaucht und suchte mit der Angst im Nacken nach seinen Kumpanen, nach Marcel und den anderen, die bald eintreffen mußten.

      Dan O’Flynn stieß genau auf den Seewolf und die befreite Polynesierin. Er blieb dicht vor ihnen stehen, kratzte sich etwas verlegen und leicht belustigt am Kopf und meinte dann: „Also, das ist mal eine gelungene Überraschung. Ich will ab sofort nicht mehr O’Flynn heißen, wenn das nicht die kleine Alewa ist.“

      Alewa ließ vom Seewolf ab, blickte Dan an und stieß einen kleinen, entzückten Laut aus. Sie trippelte zu ihm hinüber, stellte sich auf die Zehenspitzen wie bei Hasard, legte Dan die Hände auf die Schultern und drückte dann auch ihm ein paar Küsse auf.

      Hasard grinste. „Bei den Menschen von Hawaii ist das eine ganz normale Begrüßung“, sagte er. „Man soll sich nicht mehr dabei denken, als unbedingt erforderlich ist.“

      Dan kriegte wieder Luft und rief: „Bei den Mädchen von Hawaii ist alles ganz normal, oder?“

      „Dan, wir sollten das lieber ein andermal erörtern, findest du nicht auch?“

      Dan nickte, lachte, blickte dem bildhübschen Mädchen in die Augen und fragte sie auf spanisch: „Haben die elenden Hunde dir auch nichts getan, Alewa?“

      „Nein“, entgegnete sie. „Aber sie hätten Böses getan, wenn ihr nicht gekommen wäret.“

      „Was ist hier passiert?“ wollte der Seewolf wissen.

      Sie sah zu ihm hinüber, und ihr Blick wurde traurig. „Schlimmes, aber wir müssen hier weg, Lobo del Mar. Andere Männer können jeden Moment auftauchen. Gefahr, große Gefahr …“

      „Alewa“, sagte Hasard. „Waren es nicht drei Kerle, die dich verfolgten?“

      „Ja. Einer ist fort, um die anderen zu holen. Er heißt Marcel.“

      „Ed, Ferris und Shane!“ rief der Seewolf. „Sofort zu mir!“

      „Hier, Sir.“ Carberry war als erster zur Stelle. Er teilte mit seinen mächtigen Händen das Dickicht und trat auf die beiden Männer und das Mädchen zu. Er deutete eine Art Verbeugung zu Alewa hin an und zeigte einen Anflug von Verlegenheit. „Äh, wir haben diesen verlausten Hundesohn nicht mehr packen können“, sagte er.

      „Wir lassen ihn laufen“, erwiderte der Seewolf. „Es hat keinen Zweck, nach ihm zu suchen. Jeden Augenblick kann es hier von Piraten wimmeln, und wenn sie uns erst umzingelt haben, haben wir keine Chance mehr, uns freizukämpfen.“

      „Du vergißt, daß wir noch die zwei Flaschenbomben haben“, sagte Ferris Tucker. Er erschien neben dem Profos, grinste breit und streckte Alewa seine rechte Hand entgegen. Selbstverständlich hielt er dies für die richtige Art der Begrüßung. Aber Alewa schritt lächelnd auf ihn zu, stellte sich wieder auf die Zehenspitzen und drückte ihm einen Kuß auf die Wange. Dasselbe tat sie bei Ed Carberry und gleich darauf auch bei Big Old Shane, der mit Pfeil und Bogen in den Fäusten aus dem Strauchwerk trat.

      Carberry rieb sich verdutzt die Wange. Sein Blick glitt über die Gestalt des halbnackten Mädchens. Ein voll ausgereifter Körper war das, mit allen Attributen, die einen normalbeschaffenen Mann binnen weniger Minuten komplett um den Verstand bringen konnten.

      „Hasard, Sir“, sagte Carberry. „Das, äh, können wir doch nicht dulden. Ich meine, dein Befehl – der, nun …“

      „Laß nur, Ed“, unterbrach der Seewolf sein Gestotter. „Das ist die hierzulande übliche Art, gute alte Freunde zu begrüßen.“

      „Im übrigen hat mein Alter gesagt, daß man für die Mädchen von Hawaii auch väterliche Gefühle entwickeln kann“, erklärte Dan O’Flynn mit spitzbübischem Grinsen.

      „Ja, der alte Donegal“, murmelte Ferris Tucker. „Der hat es auch faustdick hinter den Ohren, das sage ich euch.“

      Shane lachte rauh, auf. „Männer, einen Kuß in Ehren kann niemand verwehren. Ein Schurke ist, wer was Schlechtes dabei denkt.“

      Alewa stand neben ihm und legte den Kopf ein wenig schief. „Was sagt er, Lobo del Mar?“ fragte sie auf spanisch.

      Hasard erklärte es ihr, und sie lachte silberhell.