Seewölfe - Piraten der Weltmeere 303. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954397006
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Dann können wir unversehrt aussteigen. Unsere Lady nimmt dabei auch keinen Schaden, denn Sand ist schließlich weicher als Fels.“

      „Hör sich das einer an“, brummte Pete. „Der Aufenthalt in der Passage zwischen Norderney und Baltrum ist dir wohl auf den Geist gegangen, was?“

      „Wie meinst du das?“ fragte der Däne drohend. „Glaubst du, ich bin so behämmert wie die Ostfriesen? Beim Donner, paß bloß auf, daß ich dir dein Ruderrad nicht um den Hals hänge!“

      Hasard unterbrach ihren Disput durch eine Handbewegung. „Verrate mir lieber, wie weit es noch bis Skagen ist, Nils. Ich habe die Warterei jetzt wirklich satt.“

      „In etwa drei Stunden dürften wir Hirtshals erreicht haben“, entgegnete der Däne. „Dann ist es nur noch ein Katzensprung bis nach Skagens-Grenen, dem nördlichsten Zipfel von Jütland. Bevor es dunkel wird, sind wir am Ziel.“

      „Ben“, sagte der Seewolf. „Teile das bitte auch den Männern mit. Am Spätnachmittag öffnen wir Lord Gerald Clivedens Ledermappe, und dann verlese ich die Order der Königin.“

      Ben Brighton stieg zum Quarterdeck und von dort aus zur Kuhl hinunter. Etwas verwundert blickte er zu Carberry, der in diesem Moment das Steuerbordschott des Vordecks geöffnet hatte und in die Kombüse blickte. Nicht weniger erstaunt nahm Ben zur Kenntnis, daß die Männer der Wache am Grinsen waren.

      „Was geht denn hier vor?“ fragte Ben.

      „Mister Carberry hat Sir John verloren“, erwiderte Blacky. „Er sucht nach ihm, aber der Papagei kann ihm nicht antworten.“

      „Wieso nicht?“ wollte Ben wissen.

      „Weil Sir John erkältet und dadurch so heiser ist, daß er die Stimme verloren hat“, erwiderte Gary Andrews grinsend. „Ist das nicht ein Witz?“

      „Ja“, sagte Ben, aber er rang sich nur ein sparsames Lächeln ab. „Nun hört mal alle her, ich habe euch etwas Wichtigeres mitzuteilen.“

      Ed Carberry hatte unterdessen die Kombüse betreten und hustete, weil ihm Rauchschwaden entgegenschlugen.

      „Kutscher, verdammt noch mal“, sagte er grollend. „Warum hast du den Rauchabzug nicht montiert?“

      „Das habe ich getan“, erwiderte der Kutscher mit Würde. „Und Mac Pellew hat mir dabei geholfen. Aber die Kälte drückte den ganzen Qualm durch das Rohr in die Kombüse zurück.“

      „Das stimmt“, bestätigte Mac Pellew mit der bei ihm üblichen sauertöpfischen Miene. „Und wenn wir nicht aufpassen, verstopft uns das Ding beim nächsten Schneegestöber.“

      „Ihr habt sie ja nicht mehr alle!“ wetterte der Profos. „Kalte Luft drückt nicht auf den Rauch, das hast du dir bloß selbst ausgedacht, Kutscher.“

      „Ich schlage vor, heute nur kaltes Essen aufzutragen“, sagte der Kutscher – diesmal aber wirklich mit der Absicht, Carberry zu ärgern.

      „Das könnte dir so passen!“ brüllte der Narbenmann so laut, daß das Schott wackelte. „Wenn du uns das antust, wanderst du drei Tage lang ab in die Vorpiek – zum Fasten! Und der Schnee? Den kehrt ihr jetzt hübsch säuberlich von der Galion, und wenn er im Rohr steckenbleibt, blast ihr von unten ’rein, verstanden, was, wie?“

      „Aye, Sir“, entgegneten der Kutscher, Mac Pellew und die Zwillinge, die beim Zubereiten des Essens mithalfen. Philip junior und Hasard junior rückten vorsichtshalber etwas von Carberry ab, um sich nicht in seiner Reichweite zu befinden, und sie hielten auch schon nach Gerätschaften Ausschau, mit denen sie den Schnee von der Galion fegen konnten.

      „Mister Carberry“, sagte der Kutscher seufzend. „Was gibt uns die Ehre deines Besuches?“

      „Ich habe da eben so ein merkwürdiges Geräusch gehört“, versetzte der Profos mit grollender Stimme. „So eine Art Niesen. Warst du das, du Hering – oder Sir John?“

      „Das war Arwenack“, antwortete der Kutscher. „Er hat sich einen Schnupfen weggeholt. Das habe ich ja gleich geahnt. Er ist an diese Temperaturen nicht gewöhnt.“

      „Warum zieht ihr ihm nicht was Warmes an?“ fragte Carberry mit erzwungener Ruhe und vorgetäuschter Freundlichkeit. „Wäre doch keine schlechte Idee, was, ihr Schlaumeier?“

      „Das haben wir bereits getan“, sagte Philip junior und wies in eine der Raumecken jenseits der Feuerstelle.

      Erst jetzt entdeckte auch der Profos die kleine Gestalt, die da in sich zusammengesunken kauerte und mehr einem Häufchen Elend glich.

      Arwenack, der Schimpanse – als Bordmaskottchen begleitete er die Seewölfe vom Beginn ihrer Fahrten an. Kein Seegefecht hatte ihn um sein Affenleben bringen können, er war in keinem Sturm über Bord gegangen, hatte Schiffbruch, Orkan und sämtliche Entbehrungen, die man sich nur denken konnte, mit „seinen Menschen“ zusammen eisern durchgestanden. Doch die Jahre waren auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Er war ein bißchen empfindlicher geworden, und die Kälte war sein ärgster Feind.

      Er bewegte die Nase, kräuselte die Lippen, verdrehte die Augen und gab einen Laut von sich, der einem menschlichen Niesen sehr ähnlich klang. Er schnaufte heftig, zog den Kopf wieder ein und kuschelte sich in die Jacke und die Hose aus Segeltuch, die die Zwillinge ihm angelegt hatten.

      „Teufel auch“, sagte der Profos und kratzte sich nachdenklich an seinem mächtigen Rammkinn. „Den hat’s wirklich schwer erwischt. Paßt bloß auf, daß er kein Fieber kriegt. Und Sir John? Wo, zur Hölle, steckt das verdammte Rabenaas?“

      „Sir, wir wissen es nicht“, entgegnete Hasard junior und zuckte mit den Schultern. Philip junior, der Kutscher und Mac Pellew gaben ebenfalls durch Gebärden zu verstehen, daß sie nicht die geringste Ahnung hätten, wo der Papagei sein könnte.

      Carberry schimpfte noch über dieses und jenes herum und stieß seine gewohnten Drohungen gegen den Kutscher, Mac Pellew und die Söhne des Seewolfes aus, dann kehrte er auf das Hauptdeck zurück.

      Er wollte sich gerade Ben Brighton und der Crew zuwenden, die an der achteren Kuhlgräting standen und offensichtlich angeregt über irgend etwas sprachen, da drang wieder ein rätselhafter Laut an seine Ohren – ein Kratzen! Diesmal schien es vom Backbordschott des Vordecks zu kommen.

      „Da wird doch der Barsch in der Pfanne verrückt“, brummte Carberry aufgebracht und riß das Schott auf.

      Sir John, der karmesinrote Aracanga, watschelte aus dem Dunkel des Vordeckraums ins Freie und flüsterte mit heiserer Stimme: „Backbrassen, der Kahn säuft ab!“ Dann stimmte er ein Hüsteln an, das dem eines im Sterben liegenden Hundertjährigen nicht unähnlich war.

      Carberry bückte sich und streckte besorgt beide Hände nach ihm aus.

      „Sir John, alter Junge“, sagte er. „Was ist mit dir los? Komm her, an Carberrys Brust, da wird’s dir schon wieder richtig warm. Was ist? Kannst du nicht mehr fliegen?“

      Sir John krächzte etwas Unverständliches und hüpfte seinem Herrn auf die Hand. Die Antwort auf die letzte Frage ließ er vorläufig offen. Er flatterte nicht, er krabbelte nur den Profosarm hinauf, schlüpfte ins Profoshemd und rollte sich zusammen. Damit war er verschwunden und erschien vorläufig nicht mehr.

      „He, Ed!“ rief Smoky von der Back herab. „Hast du deinen Vogel wiedergefunden? Na, ist ja fein. Aber mach dir keine Sorgen, so schnell krepiert er ganz bestimmt nicht.“

      „Wer spricht denn davon?“ brüllte Carberry. „Mich juckt es nicht, wenn er verreckt! Mir geht’s ums Prinzip! He, Sir John, du alte Nebelkrähe, laß dir bloß nicht einfallen, noch mal abzuhauen, sonst wanderst du ab zum Kutscher in den Kessel!“

      Er drehte sich um und steuerte mit langen Schritten auf Ben und die Gruppe von Männern zu. Smoky und Al Conroy stießen sich mit den Ellenbogen an und grinsten sich zu, dann verließen sie ihre Posten für kurze Zeit und gesellten sich zu den Kameraden auf der Kuhl. Ben gab noch einmal bekannt, was der Seewolf ihm soeben mitgeteilt hatte.