Seewölfe - Piraten der Weltmeere 92. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954394166
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      „So nennen sie ihn, Coleman. Ich nehme an, er ist der Kerl, der den Spaniern schon seit Jahren einen erbitterten Krieg liefert. In den Kneipen von Tortuga und anderswo habe ich die wildesten Geschichten über diesen ‚Lobo del Mar‘ gehört. Aber er ist keiner von uns. Er bildet sich ein, als ‚Korsar der Königin‘ was Besseres als alle anderen Freibeuter zu sein.“ O’Lear grinste plötzlich wieder. „Ein harter Bursche, das muß ich ihm lassen. Wißt ihr, was ich glaube? Er wird uns verfolgen. Aber Maccallion ist auf der Insel zurückgeblieben und wird seine Mission erfüllen. Darauf baut mein weiterer Plan auf.“

      „Das Mädchen“, sagte Coleman. „Sie ist keine Engländerin, wie du gesagt hast. Aber sie gehört zu ihnen, und der Seewolf wird es nicht zulassen, daß wir sie umbringen. Wir können alles von ihm fordern – alles.“

      „Bestimmt hat er Schätze an Bord“, sagte ein anderer. „Wenn er mit Erfolg gegen die Spanier kämpft, muß er ihnen einiges abgenommen haben.“

      „Wir werden ihn töten und seine Schiffe plündern“, erwiderte Brian O’Lear. „Das schwöre ich euch.“

      Severa lag etwas abseits der Versammlung und war bereits wieder voll bei Sinnen. Gleich nachdem O’Lear sie auf die Planken gelegt hatte, war sie zu sich gekommen. Jetzt vernahm sie, wie der wüste Ire seinen Kerlen alle Einzelheiten des Planes auseinandersetzte. Darauf wartete sie nur noch.

      Als er am Ende angelangt war, sprang sie auf. Sie lief zum Backbordschanzkleid. Sie bewegte sich – trotz ihrer Benommenheit – leichtfüßig wie eine Gazelle. Sogar dem Seewolf war sie auf der Insel fast davongerannt, als sie ihre erste Begegnung gehabt hatten.

      „Haltet sie!“ schrie O’Lear.

      „Das Weibsstück darf nicht entwischen!“ brüllte Coleman.

      Fluchend warfen die Piraten sich herum. Sie hetzten Severa nach, aber sie befand sich in diesem Augenblick bereits dicht vor dem Schanzkleid. Zwei Sätze noch, dann ein Sprung, und sie konnte sich über die breite Handleiste stürzen.

      Aber jäh senkte sich ein großer Schatten auf sie.

      Sie spürte ihn mehr über sich, als daß sie ihn fallen sah. Ausweichen konnte sie nicht mehr. Sie versuchte es, doch der Schatten, der die Form eines Mannes hatte, landete auf ihr und warf sie auf das Deck. Sie schrie auf. Unter der Wucht des Aufpralls glaubte sie zerquetscht zu werden. Brennender Schmerz durchfuhr ihren Körper.

      „Auskneifen wolltest du, wie?“ schrillte eine Stimme über ihr. „Aber du hast die Rechnung ohne Fatboy gemacht.“

      Der Mann war so beleibt, wie sein Name besagte. Er kniete über ihr und hielt sie fest. Sie konnte nicht einmal den Kopf wenden und in sein Gesicht sehen.

      Die ganze Zeit über hatte er wie ein dickes Faultier in den Hauptwanten der Backbordseite gehangen und gelauscht, was gesprochen worden war. Severa hatte ihn übersehen. Jetzt bezahlte sie dafür.

      O’Lear trat zu ihnen und klopfte dem dicken Mann auf die Schulter. „Gut aufgepaßt, Fatboy. Du kriegst eine Extraration Rum. Laß das Weibsbild jetzt los, ich will mich mit ihr unterhalten.“

      Fatboy erhob sich und wich grinsend zur Seite. O’Lear bückte sich, packte Severa am Arm und riß sie zu sich hoch. Zweimal klatschte seine Hand in ihr Gesicht. Sie taumelte zurück, stieß mit den Waden gegen den Rand der Kuhlgräting und verlor das Gleichgewicht. Mit einem gequälten Laut sank sie auf die Gräting.

      O’Lear war wieder bei ihr und hielt sie mit einer Hand fest.

      „Du Luder“, sagte er. „Dachtest du wirklich, du könntest dich noch retten? An Land schwimmen wolltest du, wie? Das schaffst du nicht, nie und nimmer. Ich halte dich fest und tu mit dir, was ich will. Bald brauche ich dich nicht mehr als Faustpfand, bald benutze ich dich nur noch als Mätresse.“

      „Lieber sterbe ich“, stieß sie hervor.

      Er lachte wild, riß sie wieder hoch und schleuderte sie auf Coleman zu. „Sperrt sie in eine Kammer! Sorgt dafür, daß sie nicht ausrücken kann. Ich befasse mich später mit ihr, jetzt ist keine Zeit dafür.“ Er senkte die Stimme etwas. „Und noch etwas. Glaubt nicht, daß ihr sie vernaschen könnt. Sie gehört mir.“

      Coleman wandte sich an die Umstehenden. „Habt ihr gehört? Denkt daran.“

      „Natürlich“, entgegnete Fatboy. „Wir sind doch nicht lebensmüde.“

      Die „Isabella“ verließ die Ankerbucht und nahm östlichen Kurs.

      Dicht hinter ihr schob sich der schwarze Segler dahin. Sie gingen platt vor den Westwind und wirkten mit ihrem prall geblähten Vollzeug wie große, wütende Schwäne.

      Hasard suchte kurz das Achterkastell auf, um sich weitere Waffen zuzustecken. Er bezweifelte nicht, daß O’Lears kompletter Schiffsverband vor dem Nordufer der Insel lag. Weiter nahm er an, daß sich die Piraten nach Westen wenden würden – erstens wegen der Windverhältnisse, zweitens, weil dort, irgendwo auf einer der rund zweihundert Inseln des Archipels, nach Euzko und Severa Guerazis Angaben das Versteck der Schufte lag.

      Sie würden sich also treffen, und es mußte zur Auseinandersetzung kommen. Wenn O’Lear Severa auch als Geisel benutzte und sie zu töten drohte, Hasard würde versuchen, seine Galeone „Black Eagle“ zu entern. Irgendwie. Vielleicht mit einem Boot, vielleicht schwimmend. Er mußte es schaffen.

      Hasard wollte sich ein Entermesser holen, das er zusätzlich zu seinem Degen am Körper tragen konnte. Und zusätzlich zu der doppelläufigen Reiterpistole in seinem Gurt brauchte er eine zweite Pistole. In seiner Kammer befand sich ein kleines Arsenal, er brauchte nur die passenden Stücke auszuwählen.

      Er öffnete die Tür und trat in seine Kammer. Und genau in diesem Augenblick nahm er ein winziges Geräusch wahr. Ein feines Schaben, kaum erwähnenswert. Und doch, es gehörte nicht zu den typischen Lauten auf der „Isabella“. Ein Mann, der sein Schiff kannte wie der Seewolf und überdies scharfe Sinne und einen geschulten Verstand hatte, mußte mißtrauisch werden.

      Hasard ließ die Türklinke nicht los. Er verhielt, lehnte sich nach rechts und rammte die Tür mit voller Wucht gegen die Innenwand der Kammer. Nur gelangte sie nicht ganz bis dorthin. Sie traf schon vorher auf Widerstand, und der Widerstand gab einen unterdrückten Wehlaut von sich.

      Hasard warf sich mit der Schulter gegen die Tür. Diesmal glaubte er ein Knacken zu vernehmen – und ein verzweifeltes Ächzen.

      Er wich wieder zurück. Die Tür schwang vor, als pendele sie in ihren Rahmen zurück, blieb dann aber doch auf halber Strecke stehen. Der Kerl, der sich hinter ihr versteckt hatte, wurde sichtbar.

      Er war schlank, muskulös und schien rotblonde Haare zu haben, soweit sich das im hereinschimmernden Mondlicht feststellen ließ. Er neigte sich langsam mit Kopf und Oberkörper vor, dann kippte er der Länge nach Hasard entgegen.

      Hasard rückte zur Seite.

      Fast fiel der Kerl auf Euzko Guerazis aufgebahrten Leichnam. Nur ganz knapp neben ihm landete er mit dumpfem Laut auf dem Bauch, Hasard empfand die Szene als makaber und der Ruhe des toten Waljägers nicht würdig.

      Langsam zog er den Toten zur rechten Kammerwand. Anschließend ging er zu dem Bewußtlosen.

      Er hatte ihn fast zerquetscht und so hart mit der Tür getroffen, daß ihm die Sinne geschwunden waren. Da lag er nun vor ihm, pitschnaß, in Lumpenkleidung gehüllt, ein verwahrloster Galgenstrick. O’Lears Mordgeselle. Zu wem sollte er wohl sonst gehören?

      Hasard bückte sich. Er wollte ihn entwaffnen und dann nach oben schleppen. Die Vorpiek war das richtige Gemach für einen gescheiterten Mörder, dort konnte er sich am stinkenden Bilgewasser erfreuen und Freundschaft mit den Ratten schließen.

      Aber es kam anders.

      Unversehens regte sich der Fremde. Er fuhr hoch, so überraschend, daß Hasard kaum reagieren konnte. Ein haßverzerrtes Gesicht, eine Faust, die auf seinen Kopf zuzuckte, das waren die bruchstückhaften Dinge, die er in diesem Augenblick wahrnahm.