Impressum
© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-735-8
Internet: www.vpm.de und E-Mail: [email protected]
Burt Frederick
Inhalt
1.
Die Luft stand still. Es fehlte nicht viel, und man hätte sie mit dem Cutlass in Scheiben schneiden können. Davon waren die Männer an Bord der „Isabella IX.“ überzeugt. Der Schweiß lief ihnen aus allen Poren, auch wenn sie sich nicht übermäßig bewegten. Denn die Reparaturen waren eine ihrer leichtesten Arbeiten.
Der Sturm hatte der schlanken Galeone etliche Schäden zugefügt. Doch es war nach dem tosenden Unwetter keineswegs kühler geworden. Gerade so, als sei nichts geschehen, lasteten subtropische Hitze und Luftfeuchtigkeit dumpf und schwer über Land und Wasser. Dabei kannten sich die Arwenacks in allen Klimazonen des Erdballs mindestens so gut aus wie ein Bauer aus Cornwall auf seiner heimischen Scholle. Aber dies hier, in den Sümpfen der Südostküste von Florida, war anders als alles, was sie bisher erlebt hatten.
„Himmel, Arsch“, wetterte Edwin Carberry, „am liebsten möchte man sich das eigene Fell abziehen, um es auszuwringen.“
Die Männer konnten ihm nur mit einem müden Nicken beipflichten.
Mächtige Zypressen und Pinien säumten den See, auf dem die „Isabella“ an diesem brütendheißen Spätsommertag des Jahres 1593 vor Anker lag. Ein undurchdringlich scheinendes Schilfdickicht war dem Ufer vorgelagert, von den knorrigen Ästen der Zypressen hing Spanisches Moos als dichter grüner Vorhang.
Seltsame Laute von unbekannten Tieren drangen aus der üppig wuchernden Pflanzenwelt. Da gab es ein ständiges Kreischen und Zetern, Schnattern und Grunzen, Zischen und Pfeifen. Das Sumpfgetier störte sich nicht mehr an den Hammerschlägen und Sägegeräuschen von dem großen Schiff, dessen Art wohl noch niemals in diese Gewässer vorgedrungen war.
Das Leck, das dem Seewolf und seinen Männern einen gelinden Schreck eingejagt hatte, war inzwischen von Ferris Tucker abgedichtet worden. Aber damit waren die Folgen des Sturms noch nicht behoben. Der Schiffszimmermann und eine Gruppe von Helfern waren zur Stunde damit beschäftigt, die im Sturm heruntergekrachte Vormarsrah mit Hilfe des Vordecksspills und von Tauen wieder hochzuhieven. Kleinere Schäden an den Verschanzungen, an den Nagelbänken und an den Balustraden waren mit einfachen Mitteln zu beheben.
Gary Andrews und Paddy Rogers, die im Gefecht um Fort St. Augustine leichte Verletzungen davongetragen hatten, befanden sich dank der Feldscherkunst des Kutschers bereits auf dem besten Weg der Genesung.
Das Schott zur Krankenkammer unter der Back stand weit offen. Dennoch gab es nicht die geringste Luftbewegung, durch die das Atmen erträglicher geworden wäre.
Philip und Hasard, die Söhne des Seewolfs, sprachen nur gedämpft, als fürchteten sie, daß das bedauernswerte Mädchen durch allzu laute Worte nur noch schlimmer von der Krankheit gepackt werden könnte. Tamao, der Junge vom Stamm der Timucua, kauerte neben dem Lager seiner Gefährtin und hielt ihre Hand. Flehentlich war sein Blick auf ihr bleiches, schweißglänzendes Gesicht gerichtet. Sie hatte die Augen geschlossen und atmete tief, doch noch immer nicht regelmäßig.
„Das ist ein gutes Zeichen“, sagte Hasard junior auf spanisch.
„Sie wird sich gesund schlafen“, fügte Philip junior erklärend hinzu.
Die Zwillinge, die neben dem Indianerjungen hockten, wechselten einen Blick. Sie spürten, daß ihre Bemerkung allzu weise klang, denn niemand konnte wirklich genau wissen, wie es um Asiaga stand. Wenn es auch keine Chinarinde an Bord gab, so verfügte der Kutscher dennoch über einige fiebersenkende Mittel, die er dem Mädchen gegeben hatte.
Doch soviel er auch unter der Anleitung von Doc Freemont in Plymouth gelernt haben mochte – diese Krankheit war ihm ebenso unbekannt wie allen anderen Männern an Bord der „Isabella“. Trotzdem war der Kutscher überzeugt, daß es sich nicht um die schwerste Form des gefürchteten Sumpf- oder Wechselfiebers handelte. Ja, er glaubte bereits eine gewisse Besserung im Zustand des Mädchens erkannt zu haben.
Tamao wandte den Kopf und sah die beiden Jungen mit einem matten Lächeln an. Langes, schwarzglänzendes Haar umrahmte sein Gesicht, in dem die schwarzen Augen einen Schimmer von Hoffnung zeigten. Ebenso wie bei Asiaga wiesen Tamaos Rücken und seine Beine schlimme Narben auf. Es war offenkundig, auf welche höllische Weise sein Volk unter der Knechtschaft der Spanier zu leiden hatte.
„Asiaga nicht sterben“, sagte Tamao in seinem gebrochenen Spanisch, „weißer Mann helfen – gut helfen.“
„Sie wird es schaffen“, erwiderte Philip junior mit Bestimmtheit, „auf jeden Fall seid ihr beiden hier an Bord besser aufgehoben als in der verdammten Sumpflandschaft.“
„Wichtig ist, daß sie gesund werden will“, sagte Hasard junior, „der Kutscher hat uns mal erklärt, daß das eine große Rolle spiele. Jemand, der am Leben bleiben will und seine ganze innere Kraft dafür einsetzt, der hat eine bessere Chance als jemand, der sich selbst aufgibt.“
Tamao nickte verstehend. Er wandte sich wieder der Schlafenden zu und strich ihr das Haar aus der schweißnassen Stirn.
Die Zwillinge hatten bereits festgestellt, daß ihr neuer indianischer Freund fast jedes Wort verstand, obwohl sein eigenes Spanisch nicht besonders gut war. Das bewies, wie intelligent er war und daß er imstande sein würde, sehr rasch zu lernen. Doch im Augenblick hatte er andere Sorgen, als an seinen eigenen künftigen Lebensweg zu denken. Die Bindung zwischen ihm und Asiaga war so überwältigend stark, daß sich der Seewolf und seine Männer fragten, ob Tamao überhaupt noch weiterleben konnte, falls seine Gefährtin sterben sollte.
Schweigend setzten die Söhne des Seewolfs jene Arbeit fort, die ihnen der Kutscher aufgetragen hatte: Weiße Leinentücher, die sie in einer Pfütze anfeuchteten, legten sie als Umschläge um Asiagas Fußgelenke, wobei sie die vorherigen, schon fast trocken gewordenen Tücher behutsam entfernten. Immer wieder blickten sie besorgt auf, ob sie das Mädchen durch ihre Tätigkeit nicht etwa aus dem Schlaf rissen.
Asiaga war schlank und dunkelhaarig wie Tamao. Ihre Kleidung bestand lediglich aus einem Fetzen grauen Segeltuchs, das in der Taille von einem aus Pflanzenfasern geflochtenen Gürtel gehalten wurde. Jedem an Bord der „Isabella“ hatte es einen Stich versetzt, die Narben zu sehen, von denen das Mädchen an den Beinen und am Oberkörper gezeichnet war. Die Grausamkeit derer, die selbst vor der Mißhandlung von Frauen und Kindern nicht zurückschreckten, ging über alle Maßen.
Schritte näherten sich mit dumpfem