„Bringt ihn hinaus!“ kreischte der Kadi wild. „Bringt ihn ganz schnell hinaus, damit sich der Fluch eines zum Tode Verurteilten nicht erfüllt.“
Voller Entsetzen sahen die drei Kadis zu, wie sich die Schergen auf Ali Mustafa stürzten und auf ihn einschlugen. Als er zusammenbrach, schleppten sie ihn an den Ketten hinaus.
Und da geschah das Unfaßbare: Der Kadi mit dem Zickenbart regte sich über die Verwünschung und den Fluch derart auf, daß sein Gesicht blau anlief, er am ganzen Körper zu zittern begann und schließlich zu Boden fiel, wo er sich in wilden Zuckungen wand.
Zwei Minuten später war er tot. Sein altes Herz hatte die Aufregung nicht verkraftet.
Die beiden anderen wurden bleich. Fassungslos starrten sie auf den Toten am Boden. Der Kadi lag jetzt auf dem Rücken. Sein Mund war wie zu einem Schrei geöffnet, seine gebrochenen Augen stierten seelenlos durch die Decke hindurch.
„Bei Allah“, stöhnte der eine. „Das hätten wir nicht tun sollen. Er ist Nachfahre Suleiman des Großen. Sein Geist wird nicht eher Ruhe geben, bis sich der Fluch auch an uns erfüllt.“
Der andere Kadi gab keine Antwort. Gebrochen an Leib und Seele stürzte er aus dem Verhandlungsraum. Er fühlte sich sterbenselend.
Für Ali Mustafa begann eine schlimme Nacht. Den Schergen war nicht entgangen, daß der „Fluch“ sofort in Erfüllung gegangen war. Sie waren selbst sehr abergläubisch, und so droschen sie auf Ali Mustafa ein, wenn er sich auch nur leicht bewegte.
„Du wirst Allah danken, wenn morgen die Kanone abgefeuert wird“, sagte sein Wächter. „Der Tod wird dir eine Erlösung sein, denn noch ist die Nacht nicht zu Ende.“
Danach wurde Ali Mustafa in einen stickigen und heißen Raum gebracht, wo man ihm die Augen verband. Es ging weiter in einen anderen Raum, wo er Stimmengewirr hörte. In dem Raum brannten nur ein paar Ölfunzeln, aber Ali sah das schwache Licht nicht. Er konnte überhaupt nichts erkennen.
„Heißt ihn willkommen“, sagte eine dunkle Stimme.
Leises Gelächter erklang. Ali Mustafa erhielt einen Tritt in den Rücken und fiel der Länge nach hin.
„Los, küß den Boden und neige dich vor Allah!“ rief ihm jemand zu.
Als er das unfreiwillig getan hatte, fielen sie wieder über ihn her. Diesmal rissen sie seine Kleidung herunter und zogen ihm die Schuhe aus.
Dann wurde er „willkommen geheißen“, wie sie es nannten.
„Vierundvierzig Hiebe“, sagte ein Mann, der die Bastonade überwachte. „Gebt ihm vierundvierzig Hiebe auf die Fußsohlen. Für jedes Wort der türkischen Eidesformel einen Schlag.“
Eine mörderische Prozedur begann, als der Kerl mit dem Stock zuschlug. Ali Mustafa krümmte sich und versuchte aufzuspringen, doch zwei starke Männer hielten ihn unbarmherzig fest.
Die Schmerzen waren kaum zu ertragen. Er biß sich auf die Lippen, bis er Blut im Mund spürte. Seine Fußsohlen brannten, als würde er durch glutendes Feuer laufen, und jeder weitere Hieb entrang ihm ein gequältes Stöhnen.
Die Schläge hörten nicht mehr auf. Ewigkeiten ging das so weiter, ein Klatschen, ein Zusammenzucken, bis er überhaupt kein Gefühl mehr in den Füßen hatte.
Dann war es endlich vorbei – vierundvierzig Hiebe, für jedes Wort der türkischen Eidesformel einen Hieb.
Sie stellten ihn auf die Beine. Aber er konnte nicht mehr laufen und brach wieder zusammen. Die Schmerzen waren grauenhaft und kaum noch zu ertragen.
„Bringt ihn weg“, sagte die Stimme. „Bringt ihn in den vornehmen Raum mit dem Bad, damit er sich erholen und ausruhen kann.“
Ali Mustafa sah nur rote Nebel kreisen. Er spürte, wie ihn zwei Mann hart bei den Armen ergriffen und wegzerrten. Um ihn her raunten leise Stimmen, alles war wie in dicke Watte gepackt. Nur dieser grauenhafte Schmerz blieb.
Seine Beine schleiften über den Boden. Die Kerle renkten ihm fast die Arme aus.
Dann warfen sie ihn in einen anderen Raum. Es war ein kleines enges Steinverlies, in dem kniehoch übelriechendes kaltes Abwasser stand. In diese stinkende Brühe ließen sie ihn hineinfallen.
„Gib doch zu, daß du mit den verdammten Venezianern paktiert hast“, sagte einer seiner Wächter fast mitleidig. „Du ersparst dir dadurch eine Menge Ärger. Morgen ist sowieso alles vorbei.“
„Ich habe nichts zuzugeben“, keuchte Ali. Stöhnend brach er in der kalten Brühe zusammen und übergab sich.
Wie lange er so gelegen hatte, wußte er später nicht mehr. Aber es mußten wieder Ewigkeiten vergangen sein.
Irgendwann holten sie ihn erneut. Und weil er immer noch nichts zugab, hängten sie ihn an den Füßen neben dem Türstock der Zelle auf und peitschten ihn aus.
Danach warf man ihn wieder in das übelriechende Verlies zurück.
Geschunden und zerschlagen lag er da und konnte sich nicht bewegen. Aus dem Funken Haß, den er anfangs verspürt hatte, war Glut geworden, dann ein Feuer und schließlich eine Feuersbrunst, die ihn fast selbst verzehrte.
Er haßte alle, die Kadis, die Betrüger, die ihn um sein Vermögen gebracht hatten, und die Schergen und Wächter, die ihn alle Augenblicke einer erneuten Folterung unterwarfen.
Er war drauf und dran, alles zuzugeben, damit diese fürchterlichen Torturen endlich ein Ende nahmen. Aber nahmen sie dann wirklich ein Ende? Er glaubte es nicht. Vielleicht würde dadurch alles nur noch schlimmer werden. Außerdem ließ sein Stolz nicht zu, sich selbst zu bezichtigen.
Mit Schaudern dachte er daran, was ihm noch alles bevorstand – morgen, wenn sie ihn vor die große Kanone banden. Zumindest wird es schnell vorbei sein, überlegte er. Nach dem zweiten Gebet des Muezzin hatte alles ein Ende.
Noch lange vor Morgengrauen erschienen sie wieder in seiner stinkenden Zelle. Sie nahmen ihm die Binde von den Augen, aber er sah trotzdem immer noch nichts. Er war auf eine weitere Folterung gefaßt. Doch sie schlugen ihn diesmal nicht.
Statt dessen sagte einer: „Hast du schon gehört, Ali Mustafa? Die beiden Kadis haben dich begnadigt.“
Natürlich hatte Ali das nicht gehört, woher sollte er auch! Er hatte auch nie damit gerechnet.
„Begnadigt?“ sagte er mit schwerer Zunge. „Dann hat Allah Gerechtigkeit geübt?“
„Ja, du wirst erst nach dem vierten Gebet des Muezzin vor die Kanone gebunden.“
Die beiden lachten schrecklich laut, stießen ihn in die Brühe zurück und entfernten sich, immer noch lachend.
Er war wieder allein mit der Dunkelheit, dem übelriechenden Wasser und den Ratten, die in seinem Verlies erschienen.
2.
Istanbul, vormals Konstantinopel, das antike Byzanz, das war der Orient in all seiner vielfältigen Pracht. Istanbul, an der südlichen Einmündung des Bosporus in das Marmarameer gelegen, war durch die Lage zwischen Europa, Asien, dem Mittelmeer und Schwarzen Meer ein Kreuzungspunkt wichtiger und alter Verkehrs- und Handelswege.
In Istanbul ging einem so richtig „das Herz auf“, wie der Profos Edwin Carberry es formuliert hatte. Hier gab es alles, aber auch wirklich alles, was einen Seemann erfreuen konnte.
So waren sie denn auch losgezogen, hatten sich zuerst Üsküdar auf der asiatischen Seite angesehen und waren Zeugen einer wilden Messerstecherei geworden. Danach hatten sie mit einer üblen Bande aufgeräumt, den Brüdern Porceddu.
Heute war ein anderer Trupp der Arwenacks durch Istanbuls Stadtviertel unterwegs, um sich ausgiebig alles anzusehen, es waren der