Augenblicke später drang aus dem Vorschiff lautes drohendes Knurren, dann ein Gewinsel, ein heftiges Jaulen und schließlich wütendes Gebell, das kein Ende mehr nahm.
„Was ist denn da vorn los, Ed?“ rief Hasard vom Achterdeck, wo er zusammen mit Ribault, Dan O’Flynn und Ben Brighton stand.
„Ich sehe mal nach, Sir!“
Smoky ging gleich mit nach vorn. Das Gebell war noch wütender geworden, noch lauter und drohender.
„Was, bei allen verdammten Seeschlangen, ist da nur los?“ fluchte der Profos. „Die spinnen wohl, die Bürschchen?“
Als sie ins Logis stürzten; bot sich ihnen ein seltsames Bild. Die Bordhündin Plymmie benahm sich wie verrückt. Schnüffelnd raste sie über die Decksplanken, voraus, wieder zurück, kratzte wie wild an den Planken und bellte laut. Sie ließ sich überhaupt nicht mehr beruhigen.
Dann wieder knurrte sie mit gefletschten Zähnen die Planken an. Die Hündin hatte die Nackenhaare aufgerichtet, als wolle sie angreifen.
Hasard und Philip standen daneben und hoben entschuldigend die Schultern hoch.
Erst wollte der Profos losbrüllen, dann besann er sich anders und sah die wildgewordene Hündin nachdenklich an. Eine Szene fiel ihm ein, die erst ein paar Tage zurücklag. Da hatte Plymmie sich genauso benommen, als sie den Keller der verlassenen Plantage entdeckt hatten. Auch da waren ihre Nackenhaare aufgerichtet gewesen, und ihr heiseres Knurren hatte kein Ende genommen. Sie hatte Ratten gewittert und verrückt gespielt.
Der Profos schluckte hart. Er rief Plymmie etwas zu, doch sie hörte nicht auf, zu knurren. Immer noch hatte sie den Kopf vorgeschoben und die Zähne gefletscht. Ganz tief aus ihrer Brust drang das wilde gefährliche Knurren.
„Verflucht noch mal!“ schrie Ed. „Die wird wieder eine Ratte erschnüffelt haben! Als ob davon die Welt untergeht! Schließlich gibt es auf jedem Kahn ein paar Ratten. Halt jetzt endlich deine Schnauze!“ schrie er die Hündin an.
Plymmie sah den Profos fast vorwurfsvoll an. Dann drehte sie den Kopf zur Seite und knurrte weiter. Danach begann sie erneut laut zu bellen und zu winseln.
„Das ist ja nicht zum Aushalten!“ rief Ed. „Wenn die mal etwas gewittert hat, dann gibt sie nicht auf, dann läßt sie nicht mehr locker. Das Gekläffe wird die ganze Nacht dauern, und die Freiwächter werden sich freuen, wenn es mit ihrer Ruhe und dem Schlaf vorbei ist. Und das alles wegen ein oder zwei verlauster Ratten!“
„Auf diesem Schiff können jedenfalls keine Ratten mehr sein“, behauptete Smoky fest. „Darauf würde ich wetten.“
„Und woher willst du das so genau wissen?“
„Die ‚Esperanza‘ lag seit über zwei Wochen auf Reede, und an Bord gab es nichts Freßbares, überhaupt nichts. Wenn da noch ein paar Ratten waren, dann haben die sich gegenseitig aufgefressen.“
„Dann muß ja logischerweise eine übriggeblieben sein“, erklärte Ed.
„Und wegen einer Ratte willst du jetzt das ganze Schiff umkrempeln?“
„Es geht um die Nachtruhe der Freiwachen, du Hirsch, weil der Köter ja doch keine Ruhe gibt. Außerdem will ich jetzt, verdammt noch mal, wissen, was unter den Planken ist. Bring mir mal die Laterne her, Philip!“
Philip nahm die Laterne vom Haken und reichte sie dem Profos. Die Wolfshündin benahm sich immer noch wie rasend. Wieder fegte sie schnüffelnd über die Planken, raste zurück, dann wieder nach vorn, sprang vor Wut in wilden Sätzen hoch und kratzte wie wild an den Planken des vorderen Quartiers.
Es gab da ein Schott im Vorschiff, wo ein Niedergang zu den unteren Schiffsräumen führte und sich auch die Proviantlast befand, die reichlich bestückt war. Auf dieses Schott steuerte der Profos jetzt zu, dicht gefolgt von Smoky. Plymmie tigerte zähnefletschend hinterher.
Der Profos fluchte immer noch laut, als die Hündin ihr Geknurre fortsetzte und an ihm hochsprang.
Carberry schlug voller Zorn den Riegel des Schotts hoch, stieß es auf und trat in die Proviantlast. Gleichzeitig hob er die Laterne höher, um in dem milchigen Schein besser sehen zu können.
Der Profos zuckte zusammen, als hätte ihn ein Schlag getroffen. Er wurde ganz grau im Gesicht. Smoky, der hinter ihm stand, sah, daß die Hand mit der Laterne wie ein Lämmerschwanz zitterte und Carberry die Laterne fast hätte fallen lassen.
Was der Profos in diesem Augenblick sah, würde er nie mehr vergessen. Er war vorerst nicht in der Lage, auch nur einen Ton hervorzubringen. Schweigend und entsetzt starrte er auf das ekelerregende Bild.
Ratten!
Es waren so viele Ratten, daß er ihre Zahl nicht einmal schätzen konnte. Hunderte mußten es sein. Da war ein Gewimmel von Leibern, bei dessen Anblick es ihn nur so schüttelte. Die Ratten benahmen sich wie irre.
Die durcheinanderhuschenden Tiere mit den langen Schwänzen waren bei einer wilden Freßorgie. Ganze Knäuel von Ratten hatten sich in die Mehlsäcke gebohrt und fraßen sich die Bäuche voll. Die Ratten, die im Mehl hockten, waren ganz weiß. Wo sie Löcher in die Mehlsäcke gefressen hatten, da stäubte es leicht heraus. Ein weißgepuderte Ratte huschte gerade aus einem Sack und flitzte zum Decksbalken, wo Speck und Schinken an Haken unter dem Balken hingen.
Müller sind das, dachte Carberry wie betäubt. Jedenfalls war das die Bezeichnung der englischen Seeleute für Ratten, weil sie mit Vorliebe Mehl fraßen.
Sie hingen in Trauben und Rudeln an Speck und Hartwürsten und ließen sich in ihrer unheimlichen Freßorgie nicht stören.
Smoky hatte die Augen weit aufgerissen und stierte ebenso ungläubig und entsetzt in die Proviantlast. Das hatte er noch nie in seinem Leben gesehen.
In der Proviantlast waren Kisten mit Bohnen, Erbsen, Schiffszwieback und Käse gestaut, ebenso einige Fässer mit Pökelfleisch und Öl. Tausend scharfe Zähne nagten unerbittlich und gierig an den Kisten und Fässern. Ein ganzer Schwarm dunkelbrauner Ratten hatte es bereits geschafft, die Seitenwände der Kisten zu zernagen. Bohnen und Erbsen rieselten daraus hervor, und in den durchnagten Löchern tummelten sich ganze Trauben von Ratten. Sie fraßen, was sie gerade erwischten, und fielen auch über die Pökelfässer her. Nicht mehr lange, und die Dauben dieser schweren Fässer würden ebenfalls restlos zernagt sein.
Es war ein abscheuliches Gewimmel. Die Vierbeiner huschten von einer Delikatesse zur anderen. Andere wühlten verbissen im Mehl, der Rest hing an den Speckseiten, dem Schinken oder den Hartwürsten und pendelte bei jeder Bewegung des Schiffes in einer dichten Traube von einer Seite zur anderen. Mit den Füßen hielten sie sich fest und fraßen, fraßen, bis es dem Profos den Magen umdrehte.
Er hob die Laterne noch etwas höher. Als der Lichtschein weiter nach achtern in die Proviantlast fiel, begannen die Ratten empört zu pfeifen. Das Licht störte sie bei ihrer Freßorgie.
Das war der Augenblick, in dem Plymmie sich nicht mehr halten ließ. Aber es wollte sie auch keiner halten.
„Pfui Deibel“, würgte Smoky heiser hervor. „Da kann man ja das große Kotzen kriegen.“
„Ich hab schon innerlich gekotzt!“ brüllte der Profos mit erstickt klingender Stimme. Sein Gesicht mit den vielen Narben war immer noch grau, und in ihm hatte sich eine unbeschreibliche Wut angestaut. Er explodierte, der Profos, und begann wie ein Hirsch zu röhren. Hinter Plymmie stürmte er mit einem Wutschrei in die Last und hängte die Laterne an einen Haken.
Dann ging es los.
Als die Hündin mit heiserem Geknurre in die Proviantlast flitzte, begannen die Biester erbärmlich zu pfeifen und stießen Laute aus, die an das Geschrei kleiner Kinder erinnerten.
Plymmie stieß mitten in das erstbeste Rudel Ratten. Dort schnappte sie zu, wütend, alles reißend, was ihr in die scharfen Fänge geriet. Jede Ratte, die sie totgebissen hatte, schlenkerte sie noch einmal wie einen alten Lappen, ehe sie zur Seite flog. Zähnefletschend