Seewölfe Paket 11. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954395002
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befreit. Das Ächzen der Beplankung ließ nach, während die Galeone Fahrt aufnahm.

      Jetzt zeigte sich der Vorteil ihrer ranken Bauweise, wie sie vom besten Schiffsbauer Englands konzipiert und verwirklicht worden war. Dieses Schiff hatte nichts von der Plumpheit einer Seekuh, an die die alten spanischen Galeonen bisweilen erinnerten. Nein, die „Isabella“ war der schlagende Beweis dafür, daß Konstrukteure ihren Grips nur ein wenig anzustrengen brauchten, um die überlieferten Schiffsbauprinzipien in zeitgemäße Pläne umzuwandeln.

      Der Seewolf warf einen raschen Blick durch das Spektiv. In der knappen Zeitspanne, die die Crew zum Ankerlichten und Segelsetzen gebraucht hatte, war der fremde Segler auf etwa sechs Kabellängen nähergerückt.

      Noch einmal setzte Hasard den Kieker ab und legte den Kopf in den Nacken.

      „Bill!“ brüllte er.

      „Sir?“ Der Moses reckte den Oberkörper über die Segeltuchverkleidung des Ausgucks.

      „Runter mit dir! Sofort!“

      „Aye, aye, Sir!“ Bill schwang sich über den Mars und folgte den Männern, die ihre Arbeit am Großmarssegel beendet hatten.

      Immer noch erklangen Ben Brightons Befehle. Zusehends gewann die „Isabella“ an Fahrt.

      Al Conroy und Big Old Shane stürmten auf das Achterkastell und schleppten Pulverhörner und Säcke mit gehacktem Blei heran. Zufrieden registrierte der Seewolf, daß auch seine Söhne mithalfen, so schnell sie konnten. Und sie machten ihre Sache so verdammt gut, als hätten sie ihr ganzes junges Leben nirgendwo anders als auf Schiffsplanken verbracht.

      Pete Ballies Riesenfäuste hielten das Steuerruder wie Schraubstöcke. Geradezu elegant beschrieb die Galeone einen weiten Bogen nach Backbord und lag dann auf Kurs West-Nord-West, wie es der Seewolf angeordnet hatte.

      Hasard nahm sich unterdessen keine Zeit, sich näher mit dem Geschehen auf der Insel zu befassen. Was sich dort möglicherweise abspielte, ließ sich leicht ausmalen.

      Er visierte den Zweimaster mit dem Spektiv an. Die Distanz war mittlerweile auf fünf Kabellängen zusammengeschrumpft. Doch mit zunehmender Fahrt der „Isabella“ blieb die Entfernung zwischen den beiden Schiffen eher konstant, und die Angreifer hatten das Nachsehen. Sie waren zum Kurswechsel gezwungen, wenn sie ihr Vorhaben überhaupt noch in die Tat umsetzen wollten. Andererseits liefen sie aber Gefahr, daß der Gegner den Spieß umdrehte und selbst zum Angriff überging.

      Daß ihnen diese Gefahr drohte, mußten sie inzwischen begriffen haben. Das Überraschungsmoment nützte ihnen nichts mehr. Dafür war die „Isabella“ zu schnell. Und sie hatte einen hellwachen Burschen im Ausguck, der im entscheidenden Moment nicht vor sich hin gedöst hatte.

      Daß der Zweimaster von vornherein nichts anderes als einen Angriff im Sinn gehabt hatte, daran bestand für Hasard nicht mehr der geringste Zweifel. Welche Rolle der Schiffbrüchige in diesem Zusammenhang spielte, war ihm noch nicht vollends klar. Aber so oder so – die wohlgemeinte Hilfeleistung erwies sich jetzt als ein Ding mit Pferdefuß.

      Dieser Zweimaster war mit absoluter Sicherheit nicht in ostasiatischen Breiten gebaut worden. Ohne zweimal hinsehen zu müssen, stellte Hasard fest, daß es sich um eine Karacke handelte, wie sie nach wie vor im Mittelmeerraum gebräuchlich war. Die Beflaggung sagte ihm indessen nichts, nicht das geringste. Phantasiefarben. Oder bestenfalls die Nationalitätszeichen, die sich einer dieser indonesischen Inselstaaten gegeben hatte.

      In der Tat änderte die Karacke jetzt ihren Kurs nach Westen. An den Brassen sah Hasard drahtige, braungebrannte Männer mit nackten Oberkörpern. Indonesier ohne Zweifel. Er spähte zum Achterkastell der Karacke, die bestenfalls einhundertfünfzig Tonnen groß war. Zwei, drei Männer konnte Hasard dort hinter der Balustrade erkennen. Europäer – nach Kleidung und Statur.

      Was, in aller Welt, hatte das zu bedeuten?

      Es brachte nichts ein, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Denn die geöffneten Stückpforten der Karacke sprachen eine unmißverständliche Sprache. Hasard zählte sechs Geschütze auf der Steuerbordseite. Neunpfünder oder allerhöchstens Zwölfpfünder. Angesichts dieser Armierung war es für den Zweimaster mehr als riskant, sich mit der „Isabella“ anzulegen.

      Doch wie es aussah, konnten und wollten sie jetzt nicht mehr zurück. Mit dem neu angelegten Kurs hatten sie die direkte Verfolgung aufgegeben. Behielt die „Isabella“ ihrerseits den jetzigen Kurs bei, kam es unweigerlich zur Konfrontation.

      Spekulierten die Männer auf der Karacke etwa damit, daß der Kapitän der fremden Galeone seine Crewmitglieder auf der Insel ganz gewiß nicht im Stich lassen würde?

      Wenn sie von dieser Überlegung ausgingen, dann mußten sie wahrhaftig einen raschen Sinneswandel vollzogen haben.

      3.

      Edwin Carberry stutzte.

      Die Kraft, die er anzuwenden gedachte, war höchst überflüssig. Wie wenn man ein Schott öffnete, von dem man glaubte, daß es fest verrammelt sei. Und das dann fast von selbst aufflog.

      Der vermeintliche Schiffbrüchige bewegte sich in dem Moment, als Ed Carberry ihn an der Schulter packte.

      „Jetzt laust mich doch der …“ sagte Carberry. Weiter gelangte er nicht.

      Blitzartig drehte sich der eben noch Reglose auf den Rücken.

      Unwillkürlich zuckte der Profos zurück. Doch das hatte noch einen anderen Grund.

      Blanker Stahl funkelte in der Hand des Mannes, der allem Anschein nach nicht die geringste Hilfe nötig hatte. Ein asiatischer Krummdolch. Die rasiermesserscharfe Klinge war der Kehle Ed Carberrys bedrohlich nahe. Der Unbekannte mußte den Dolch unter seinem Körper verborgen gehalten haben.

      Carberry rührte sich nicht.

      Die Hände der Seewölfe fuhren zu den Entermessern. Dan O’Flynn hatte bereits die Pistole unter dem Gurt hervorgezogen. Im selben Moment erstarrten sie alle zur Bewegungslosigkeit.

      „Rührt euch nicht vom Fleck!“ zischte der „Schiffbrüchige“. Sein Englisch hatte einen rollenden Akzent. „Eine falsche Bewegung, und euer Freund hier badet es aus!“

      Den Männern von der „Isabella“ lief ein Schauer über den Rücken. Der Grund dafür war weniger der Krummdolch.

      Nur ein Auge war es, das sie drohend anfunkelte. Dort, wo sich das linke Auge des Mannes befunden hatte, glühte eine furchtbare Wunde. Die Narben waren schlecht verheilt – ein Anblick, der selbst den Seewölfen das Blut zum Gefrieren brachte.

      Edwin Carberry lief rot an vor Wut. Immerhin war er es, der diesen Anblick aus allernächster Nähe ertragen mußte. Im übrigen war er es ganz und gar nicht gewohnt, sich von einem albernen Zahnstocher beeindrucken zu lassen.

      Seine Gefährten standen sprungbereit. Er sah es aus den Augenwinkeln, und er wußte, daß sie nur auf ein Zeichen von ihm warteten.

      „Du lausiger Bastard“, knurrte er, „dir werde ich mal zeigen …“ Was es war, ließ er unausgesprochen.

      Statt dessen schlug er mit der Rechten zu. Blitzschnell und trocken. Die ganze urgewaltige Kraft dieses riesenhaften Mannes lag hinter dem Hieb. Und die Bewegung war kaum mit den Augen zu verfolgen.

      Der Einäugige schrie auf – vor Schmerz und Schreck gleichermaßen. Sein Krummdolch wirbelte in hohem Bogen durch die Luft und landete weit entfernt im dunklen Sand. Der Mann sank zurück und preßte das brennende Handgelenk mit der unversehrten Linken.

      Behende war Ed Carberry auf den Beinen. Er bückte sich noch einmal und packte den Einäugigen bei den weißen Fetzen, die er auf dem Leib trug. Mühelos stellte der Profos den schlanken Mann auf die Beine. Stoff riß prasselnd unter seinen mächtigen Fäusten.

      Dan O’Flynn ließ die Pistole sinken. Matt Davies und die anderen entspannten sich. Hier brauchten sie nicht mehr einzugreifen. Diese Kleinigkeit erledigte der gute alte Ed mit links.