Um sich aus der Affäre zu ziehen und dem weiteren Lamentieren der beiden Chinesen zu entgehen, kaufte der Kutscher den Vorrat an Schlachthühnern auf. Es waren zwölf Stück, wie er gezählt hatte. Da würde jeder ein halbes Brathuhn verspeisen können.
Zum Entzücken der beiden Zopfträger bezahlte er mit einer kleinen Perle, die ausgereicht hätte, einen Hühnerhof zu gründen. Damit standen natürlich auch die vier verschwundenen Kokosnüsse nicht mehr zur Debatte.
Die beiden Zopfmänner waren hingerissen, kicherten, schnatterten, zelebrierten unzählige Verbeugungen und schienen bereit zu sein, den Kutscher mindestens in den Rang eines Kaisers einzustufen, was dem nun wieder peinlich war.
Er begann sich seinerseits zu verbeugen und zu versichern, daß er hocherfreut sei, im Fleische so hochvorzügliches Federvieh kaufen zu dürfen, und das löste nun wiederum allgemeine Heiterkeit auf der „Isabella“ aus, denn die Kratzfüße des Kutschers sahen zum Totlachen aus, zumal er dabei die bereits gerupften Eierleger in die beiden Segeltuchbeutel stopfte, daß da noch ein nackter Hals und dort zwei Hühnerbeine herausschauten.
Immerhin konnten sich die beiden Zopfmänner nun nicht mehr beschweren oder unter den anderen Chinesen das Gerücht verbreiten, sich vor dem fremden Segler zu hüten, denn da passierten unheimliche Dinge. Nein, die Bordehre war gerettet, auch wenn der Seewolf-Affe ein Spitzbube war.
Dem Kutscher stand der Schweiß auf der Stirn, als er über die Stelling an Bord marschierte, links und rechts einen Segeltuchbeutel mit dem gerupften Federvieh in der Hand.
Grinsende Gesichter empfingen ihn.
Carberry rieb sich schmatzend den Magen.
„Mhm“, sagte er, „gibt’s die Piephähne heute abend, Kutscher? Lecker gebraten und so?“
Der Kutscher musterte ihn mit einem vernichtenden Blick.
„Mister Carberry“, sagte er mit Würde, „dürfte ich dich sehr höflich darum bitten, künftig die Bordtiere in einen Käfig zu sperren, bevor ich an Land gehe, um Einkäufe zu tätigen. Dieser Sir John hat sich geradezu unflätig benommen und die beiden Chinesen in übelster Form beschimpft, und dieser Affe Arwenack hat sich wieder einmal an fremdem Eigentum vergriffen, was kein sehr gutes Licht auf die Moral, das Benehmen und die Disziplin an Bord eines englischen Schiffes wirft …“
„Irischen“, sagte Carberry.
„Wie bitte?“
„Auf die Moral, das Benehmen und die Disziplin an Bord eines irischen Schiffes“, sagte Ed Carberry. „Und auf einem irischen Schiff darf ein Papagei ruhig schimpfen und ein Affe klauen, das ist bei irischen Schiffen so, klar?“
„Nein, mir auch egal, was auf irischen Schiffen ist. Ich stelle nur fest, daß mich dein verdammter Sir John und der Spitzbube Arwenack in Teufels Küche hätten bringen können, wenn die beiden Zopfmänner den Diebstahl bemerkt oder Sir Johns Aufforderung verstanden hätten, sie mögen sich die Affenärsche kalfatern – von den anderen Unanständigkeiten ganz abgesehen. Das geht mir wirklich zu weit, Mister Carberry. Und ich frage mich, wer hier an Bord eigentlich der Profos ist.“
„So? Fragst du dich?“ Der Profos stemmte die Fäuste in die Hüften. „Ich will’s dir verraten, Mister Kutscher!“ Er reckte sein Rammkinn. „Ich bin’s. Aber leider kann ich nicht hinter Papageien herfliegen, weil ich keine Flügel habe. Und daß Affen Kokosnüsse klauen, ist ihr gutes Recht. Das haben bereits ihre Urahnen getan, sonst gäb’s nämlich keinen Arwenack mehr. Die leben von so was, verstehst du? Und jetzt wird ein Zopf daraus, da wir gerade von Zopfmännern sprechen. Deine Chinesen haben die Kokosnüsse geklaut, und Arwenack hat sich nur geholt, was ihm von Rechts wegen zusteht! So ist das nämlich, und das hat überhaupt nichts mit Moral, Benehmen oder Disziplin zu tun. Außerdem kann ich mich erinnern, daß Arwenack des öfteren mit Kokosnüssen erfolgreich irgendwelche Rübenschweine bombardiert hat, die uns an den Kragen wollten. Kokosnüsse sind seine Munition. Auch das hat er von seinen Urahnen gelernt, jawohl …“
Und so hielt der eiserne Profos eine flammende Verteidigungsrede für Papageien und Affen, insbesondere für Sir John und Arwenack, die mit der höhnischen Frage endete, ob er, der Kutscher, vielleicht Schiß vor den beiden Zopfmännern gehabt habe, nur weil Sir John „ein bißchen“ geplaudert und Arwenack „ein bißchen“ zugelangt habe.
Der Kutscher blieb ihm die Antwort schuldig, weil Smoky, der ganz achtern Trossen klariert hatte, einen Mann meldete, der soeben die niederländische Galeone hinter der „Isabella“ verlassen und Kurs auf die „Isabella“ genommen habe.
Offenbar wollte der was.
Dieser Mann war groß und stiernackig, hatte ein Gesicht wie ein Hauklotz und ein Benehmen wie die Axt im Walde. Außerdem schwitzte er.
„Kapitän an Bord?“ raunzte er Matt Davies an, der an der Stelling Posten bezogen hatte.
Matt konnte ihn verstehen, weil die Frage auf englisch gestellt wurde. Es war ein etwas kehliges und unsauberes Englisch, aber durchaus verständlich.
Getreu seiner Rolle als irischer Seemann stellte sich Matt ein bißchen dämlich und erwiderte: „Hä?“
„Kapitän an Bord?“ brüllte ihn der Stiernackige an.
Matt Davies hauchte auf seinen Prothesenhaken, der ihm die rechte Hand ersetzte, und begann ihn aufmerksam zu polieren, obwohl es da kaum etwas zu polieren gab. Der scharfgeschliffene Haken war immer blitzblank, genau wie bei Jeff Bowie, dem anderen Prothesenträger der Crew. Beide waren furchtbare Nahkämpfer.
„Ich habe etwas gefragt!“ brüllte der Stiernackige, sein Hauklotzgesicht war inzwischen hochrot angelaufen.
Ruhig und in brüchigem Englisch erwiderte Matt: „Wer hat was gefragt?“
„Pieter de Jonge, Kapitän der ‚Zwarte Leeuw‘, Kommodore der hier versammelten niederländischen Schiffe!“ brüllte der Stiernackige. Matt Davies wurde mit Blicken aus blaßblauen Augen erdolcht, was ihn aber keineswegs erschütterte. „Und ich habe gefragt“, brüllte de Jonge, „ob der Kapitän an Bord sei!“
„Kannst du nicht etwas leiser sprechen, Kapitän?“ fragte Matt Davies höflich. „Wir Iren sind nämlich nicht schwerhörig.“
„Iren? Wieso Iren?“ schnauzte der Kapitän. „Ihr seid doch Engländer!“
„Nicht daß ich wüßte. Seh ich vielleicht so aus?“ Matt drehte sich um und deutete auf Batuti, der grinsend am Steuerbordschanzkleid lehnte, die Ellenbogen aufgestützt. „Sieht der schwarze Mann dort vielleicht wie ein Engländer aus?“ fragte er.
Kapitän de Jonge musterte Batuti verächtlich. „Das ist ein dreckiger Nigger, aber kein verdammter Ire!“ Plötzlich grinste er gemein. „Ihr handelt mit den Niggern, wie? Also seid ihr doch Engländer.“ Und dann wurde ihm wieder bewußt, daß er sich schon viel zu lange von einem Kerl aus dem gemeinen Schiffsvolk aufhalten ließ, der ihm im übrigen nicht den geringsten Respekt zollte, und darum schnauzte er: „Ich will den Kapitän sprechen, verdammt noch mal. Wird’s bald, Mann? Beweg dich, sonst laß ich dich mal an diesem Ding hier riechen!“ Er hielt Matt die rechte Faust unter die Nase.
Das hätte er nicht tun sollen. Matts Haken schlang sich plötzlich um sein Handgelenk und zog die Hand mit unheimlicher Kraft nach unten, obwohl de Jonge sich gegen den Zug stemmte.
„Hör zu, du Käsefresser“, knurrte Matt, „wenn du dich hier aufpusten willst, bist du bei mir genau richtig. Ich könnte dich zum Beispiel an diesem Eisenhaken riechen lassen, aber wenn deine Nase Bruch ist, riechst du nichts mehr. Also sei friedlich. Bei uns meldet man sich höflich an Bord und bittet, den Kapitän sprechen zu dürfen. Hier wird