Hasard prüfte nach, ob die „Isabella“ so optimal wie nur möglich segelte, und ließ noch etwas nachbrassen. Mehr Tuch brachten sie nicht an die Rahen, denn von der Blinde bis zum Besan war alles gesetzt.
Jetzt hätte nur der Wind kräftiger wehen müssen.
Auf dem Achterdeck hielten sich jetzt Big Old Shane, Donegal Daniel O’Flynn junior, Ben Brighton und der Rudergänger Pete Ballie auf.
Die Männer starrten erschüttert zur Kuhl hinunter, auf der sich das ganze Drama zum größten Teil abspielte, auf der der Kutscher verzweifelt hin und her rannte und sich die anderen bemühten zu helfen, wo es gar nichts zu helfen gab. Die Ohnmacht jedes einzelnen trat immer deutlicher zutage, und so standen sie herum und wußten nicht, was sie unternehmen sollten, um ihre Kameraden aus ihrer totenähnlichen Starre zu erwecken.
„Kurswechsel, Pete“, befahl der Seewolf plötzlich. „Wir segeln so, daß wir den Wind voll achterlich kriegen. Vielleicht können wir den Fühlungshalter dadurch abschütteln, denn augenblicklich steht er hinter der Kimm.“
„Aye, aye, Sir“, sagte Pete müde.
„Profos! Klar zum Vierkantbrassen!“ rief der Seewolf. „Wir gehen platt vor den Wind!“
Carberry bestätigte umgehend. Er erfaßte sofort, was der Seewolf vorhatte. Wenigstens wollten sie den lausigen Piraten nicht gleich den Weg zur Schlangen-Insel zeigen.
Jeder Handgriff saß wie im Schlaf, die Rahen schwangen herum, bis sie vierkant standen und die „Isabella“ etwas später platt vor dem Wind lief.
„Wenn der Fühlungshalter vor einer Stunde nicht auftaucht“, rechnete Dan O’Flynn laut vor, „dann sind wir ihn los, dann segelt er auf dem alten Kurs weiter.“
„Davon bin ich noch nicht ganz überzeugt“, widersprach Ben. „Wir werden wohl schon zwei Stunden Vorsprung brauchen, denn wir bewegen uns ja nicht schneller von ihm fort. Aber das – verdammt“, unterbrach er sich. „Blacky hat es auch erwischt.“
Entsetzt und entnervt blickten sie Blacky an, der sich zusammenkrümmte. Carberry war mit einem Satz bei ihm, hielt ihn fest, winkte den Kutscher herbei, und der goß Blacky aus der Tonkruke wieder von dem Essigzeug in den Hals.
Der Profos schleppte ihn im Sturmschritt zum Schanzkleid, wo Blacky sich erbrach.
Danach sackte er endgültig zusammen.
„Die Essigbrühe hilft nicht“, sagte Ben tonlos. „Hier scheint überhaupt nichts mehr zu helfen, wir stehen der Tatsache ohnmächtig gegenüber.“
Der Seewolf kniff wieder die Augen zusammen. Sein Blick fiel auf den jetzt auf den Planken liegenden Blacky, dann wanderte er weiter zu Pablo.
Schien es nur so, oder hatte der Neue seine Stellung geändert? Hasard wollte das nicht beschwören, aber er glaubte, Pablo habe vorhin anders dagelegen.
Quatsch, dachte er ärgerlich. Seine Nerven spielten ihm einen Streich, und das war verständlich nach all der Aufregung, die innerhalb kürzester Zeit entstanden war.
Warum, zum Teufel, mißtraute er dem Neuen immer noch? Dem ging es doch auch nicht besser als all den anderen, und nur weil seine Symptome anders verliefen als bei den anderen, mußte er dem Mann doch nicht unbedingt mißtrauen.
Er warf einen verstohlenen Blick auf den alten O’Flynn, der Pablo nicht ausstehen konnte, und überlegte, welche Gedanken wohl im Schädel des Alten kreisen mochten, denn Donegal warf ebenfalls immer wieder einen giftigen Blick zu dem reglosen Mann.
Dann, wie aus heiterem Himmel, erwischte es nacheinander Stenmark, Bob Grey und Jeff Bowie. Während Jeff lautlos am Schanzkleid zusammenbrach, stieß der Schwede einen lauten Schrei aus, als hätte ihn die Klinge eines Messers getroffen.
Bob Grey allerdings entdeckte etwas Erstaunliches als er zusammebrach. Er konnte das aber leider nicht mehr weitergeben, denn die Stimme versagte ihm den Dienst. Aber er wußte, daß er sich nicht geirrt hatte. Dicht vor Pablo brach er zusammen und sah genau in dessen Gesicht.
Dieses sonst ehrlich und offen wirkende Gesicht war jetzt zu einem hämischen Grinsen verzogen, zu einem schadenfrohen, teuflischen Feixen, und da wußte Bob schlagartig, daß sie allesamt einem satanischen Spiel zum Opfer gefallen waren.
Zu spät, sein Körper wurde steif, und ein heißer Fieberschauer jagte durch sein Blut.
„Hasard!“ schrie er, so laut er konnte, und er glaubte, diesen Ruf laut in seinen Ohren dröhnen zu hören.
Doch niemand reagierte darauf, keiner schien dieses laute Schreien nach dem Seewolf zu hören.
Danach fiel Bob Grey in einen bodenlosen Abgrund, aber er glaubte trotzdem, immer noch, viele Stimmen zu hören und Geräusche deutlich unterscheiden zu können. Er spürte auch noch, daß ihm etwas ekelhaft Saures in den Hals gegossen wurde, dann versank er in einer Art merkwürdiger Finsternis, die kein Ende hatte und auch keinen Anfang.
Es war unausweichlich, daß immer mehr Leute umfielen, sogar die Stärksten und Härtesten erwischte es schnell und unvorbereitet wie Blitze aus heiterem Himmel.
Als es den eisenharten Profos traf, zuckte der Seewolf zusammen. Eben noch sah er das narbige Gesicht vor sich, hörte die gemurmelten, hilflosen Flüche des riesigen Mannes und sah plötzlich, wie sich das Gesicht krampfartig verzerrte.
Im selben Augenblick preßte der Profos die Hand auf den Magen, riß den Mund auf und ging in die Knie.
Er versuchte, dagegen anzukämpfen, er unternahm alle Anstrengungen, schüttelte sogar noch die Hand des Kutschers ab, der ihm wieder auf die Beine helfen wollte, und versuchte es dann allein.
Er schaffte es nicht. Das einzige, was er in seiner grenzenlosen Wut hervorbrachte, waren harte Flüche und Verwünschungen, die ihm immer schwerer von den Lippen kamen. Dann krümmte er sich zusammen, streckte sich auf den Planken aus und lag still.
Hasard sah zu ihm hin und zitterte vor unterdrückter Wut. Die Angst um seine Leute fraß ihn bald auf, trieb ihn wütend, hilflos und ziellos von Backbord nach Steuerbord und zeigte ihm hart und deutlich die Grenzen seiner Macht.
Erneut wollte er zur Kuhl hinunter, doch da hielt ihn Dan O’Flynn am Arm fest und zeigte zur Kimm.
„Der Fühlungshalter, Sir“, sagte er nur.
Der Seewolf fuhr herum, Erbitterung in den eisblauen Augen. Er zitterte vor unterdrückter Wut und fühlte sich so hilflos wie nur selten in seinem Leben.
„Es hat keinen Zweck mehr“, sagte er, „wir werden uns stellen, denn wir können das Schiff ja kaum noch segeln. Aber diesen Halunken bescheren wir noch die Hölle auf Erden.“
Dan O’Flynn sah sich gehetzt um.
„Weißt du, wie viele noch auf den Beinen stehen, Sir? Wir sind nur noch sieben Mann. Sieben Mann!“ wiederholte er. „Und die verdammten Kerle werden vor ein oder zwei Stunden nicht heran sein. Das bedeutet, daß wir dann nur noch ein oder zwei Leute sind, wenn überhaupt noch jemand auf den Beinen steht.“
„Ja, das ist unausbleiblich, Dan. Wir versuchen es trotzdem. Zunächst spannen wir ein Sonnensegel über die Kuhlgräting, damit die Männer wenigstens im Schatten liegen und nicht dieser verdammten Hitze ausgesetzt sind. Danach nehmen wir die Segel weg.“
„Aber dann können wir nicht mehr manövrieren“, wandte Dan ein.
„Wir haben noch die Brandsätze. Selbst wenn wir vor dem Wind laufen, sind wir nicht so leicht anzugreifen, denn die überbrücken weitere Distanzen als die Culverinen. Los, beeilt euch!“
Batuti, Big Old Shane, Rasard selbst und der Kutscher brachten das Sonnensegel an und legten die bewußtlosen Kameraden in den kühlen Schatten.
„Sollen wir sie nicht lieber nach unten bringen?“ fragte auch Dan O’Flynn. „Wenn es losgeht, können sie hier verwundet